Streiten
Cluster 2022/09 von Gordon Kampe
Ein Artikel von Gordon Kampe
Diese sehr bundesrepublikanische Streitkultur herrschte auch in meinem Studium: Was haben wir uns (nach Klassenabenden) die Ohren langgezogen! Aber am Tag darauf war der Rauch verflogen, niemals (!) wurde es persönlich.
Das ist noch heute so: Ich bin mir sehr sicher, dass die wenigsten ehemaligen Kommilitonen mögen, was ich so treibe – das macht aber nichts. Ich freue mich immer (!), sie zu sehen und zu knuddeln. Nun … bei einem nur verschämten Blick in die Bubble, ins Facebook, ins Feuilleton – dorthin, wo der Streit um die üblichen drei, vier Themen der Identitätspolitik, der „Wokeness“ die wildesten Blüten treibt, dort scheint die von mir geschätzte Streitkultur aufgebraucht. Gerade ritt ich noch mit wehenden Fahnen als aufrechter Streiter für die gute Seite der Macht auf einem rüstigen Ross, da schallt es von überallher: Absteigen, Klappe halten, weg mit Dir. Ich bin – let’s face it – ein weißer, mittelalter, heterosexueller, katholischer, verbeamteter, verheirateter Mann mit einem Kind im Reihenhaus: Ich bin der Feind. Meine Biografie ist egal, meine Taten sind egal, meine Worte sind egal, meine Überzeugungen sind egal. Alles egal. Ich bin der Feind. Und ich sage das hier ohne den sonst üblichen heiter-ironischen Clusterton: Das betrübt mich. Das muss aufhören. Sprecht mit mir.