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Stuttgarter Appell des VdM zeigt Wirkung

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Verbesserung der Beschäftigungssituation an Musikschulen
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Nicht überall, aber doch an mehreren Musikschulstandorten ist derzeit eine positive Entwicklung der Stellen beziehungsweise eine Umwandlung von Honorar- in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu beobachten. Wir haben bei einigen größeren Musikschulen nachgefragt.

Leipzig

Der Leipziger Stadtrat hat in seiner Sitzung am 30. Januar 2019 entschieden, im Rahmen des Beschlusses zum Doppelhaushalt 2019/2020 für die Stadt Leipzig einen deutlich höheren Zuschuss für die städtische Musikschule „Johann-Sebastian-Bach“ bereit zu stellen. Mit den erhöhten Mitteln sollen in beiden Jahren je zwei zusätzliche TVöD-Stellen geschaffen sowie die Honorare um jeweils drei Euro je Unterrichtsstunde erhöht werden. Beide Maßnahmen sind ein weiterer wichtiger Schritt auf dem kontinuierlichen Weg der Stadt Leipzig zur Stärkung der Arbeit ihrer Musikschule.

Skadi Jennicke, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig erklärte: „Die Musikschule Leipzig leistet mit dem Unterricht für zirka 8.000 Schülerinnen und Schüler einen äußerst wichtigen Beitrag in der kommunalen Bildungslandschaft der Stadt. Seit dem Amtsantritt von Matthias Wiedemann als Musikschulleiter im Jahr 2015 wurden zur Verbesserung der Bedingungen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Honorarlehrkräfte an der Musikschule eine Vielzahl konstruktiver Gespräche mit der Verwaltungsspitze und den Stadträtinnen und Stadträten geführt. Zentraler Aspekt war dabei stets eine schrittweise Erhöhung von Festanstellungsverhältnissen im pädagogischen Bereich sowie die Erhöhung der Honorare für freie Lehrkräfte, um die geforderte Qualität der Arbeit öffentlicher Musikschulen auch in Zukunft gewährleisten zu können.“

In den vergangenen vier Jahren wurden an der Musikschule sieben zusätzliche TVöD-Vollzeitstellen geschaffen. Die inhaltlich-strategischen sowie die sozialen Argumente und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden im für die Musikschule zuständigen städtischen „Betriebsausschuss Kulturstätten“ vorgestellt und erläutert. Parallel zu den Bemühungen um eine Zunahme von TVöD-Anstellungsverhältnissen hat die Stadt Leipzig gemeinsam mit der Musikschule auch Vorschläge zur Anhebung der Honorare in die Haushalts- und Wirtschaftsplanung eingebracht. Neben der Schaffung neuer TVöD-Stellen im pädagogischen Bereich konnten die Honorare in 2018 bereits um 20 Prozent im Vergleich zu 2017 auf 24 Euro erhöht werden. In den Jahren 2019 und 2020 steigen sie auf 27 beziehungsweise 30 Euro je Unterrichtsstunde. „Im konstruktiven Zusammenwirken von städtischer Verwaltungsspitze, Musikschule und dem Stadtrat“ werde auch weiterhin am Ziel der Verbesserung der Bedingungen für Honorarlehrkräfte gearbeitet, schreibt das Kulturdezernat der Stadt in einer Pressemeldung. Deren Sorgen würden von der Stadt Leipzig ebenso ernst genommen wie die Verantwortung für die Qualitätssicherung der Musikschularbeit.

Hamburg

In Hamburg wurden dreieinhalb Stellen im Bereich EUS (Ergänzender Unterricht an Schulen) aufgestockt. Zum Sommer soll es eine weitere Stelle geben. Auch im Veranstaltungsbereich gibt es eine zusätzliche Dreiviertelstelle sowie personelle Verstärkung in der Verwaltung und der Öffentlichkeitsarbeit. Immerhin ist die Schule mit ihrem Konzertsaal auch Konzertveranstalter in der Stadt. Und es gibt, so Guido Müller, seit viereinhalb Jahren Leiter der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg, die Perspektive auf weiteren Zuwachs im Schuljahr 2021/2022. Warum engagiert sich die Stadt Hamburg in dieser Weise für die Musikschule? Das politische Sig-nal, so Müller, ist eindeutig: Hamburg ist stolz auf seine Musikschule. Man schätzt die gute Arbeit; erst kürzlich war Staatsrat Rainer Schulz in der Sitzung des Leitungsteams und betonte dort, wie zufrieden die Stadt mit den Entwicklungen ist. Nicht zuletzt, weil es in den letzten fünf Jahren gelungen ist, bei etwa den gleichen öffentlichen Ressourcen fast 5.000 Schüler dazuzugewinnen. Gefördert wird dabei sowohl die Spitze als auch die Breite. Was Müller das „Hamburger Modell“ nennt, ist das aktive Zugehen auf die allgemeinbildenden Schulen. Interessant dabei ist auch, dass es für Lehrkräfte, die über die Hälfte ihres Deputates im Bereich Begabtenunterricht oder an Brennpunkten arbeiten, eine bessere Bezahlung nach E 10  gibt.

Münster

An der Westfälischen Schule für Musik freut man sich über einen Ratsbeschluss, der der Schule je acht zusätzliche volle Stellen in 2019 und 2020 zusichert: nicht für eine Ausweitung des Unterrichtsangebotes , sondern die Umwandlung von freien in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Derzeit weist die Musikschule ein Verhältnis von zirka 60 Lehrkräften in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen gegenüber etwa 180 Pädagoginnen und Pädagogen mit Honorarvertrag auf. Viele dieser Lehrkräfte, ob angestellt oder frei, sind mit einem relativ geringen Stundendeputat an der Musikschule tätig. Diese Situation wollte man ändern. Anfang der 2000er-Jahre verzeichnete die Schule eine Schülerexplosion; Grund dafür waren und sind die zahlreichen Kooperationen mit Schulen sowie Projekte wie JeKits oder Jekiss. Nachdem sich Musikschulleiter Ulrich Rademacher in der nmz 3/2017 in seinem Artikel „Geht doch gibt‘s nicht“ zunächst persönlich und dann mit dem Stuttgarter Appell als VdM Bundesvorsitzender deutlich für einen Aufwuchs an Festanstellungen eingesetzt hatte, nahm seine Nachfolgerin Friedrun Vollmer den Ball engagiert auf und startete gemeinsam mit den um den Saxophonisten Christoph Berndt versammelten Honorarkräften eine Offensive in die Stadt und Stadtpolitik hinein. Sie schufen ein Bewusstsein für die prekäre Situation der Honorarkräfte, Unsicherheit zum Beispiel bei Krankheiten und Aussicht auf die Armut im Alter. Auch für die Musikschule gilt: Je mehr Honorarkräfte, desto fragiler wird das Gebilde, das auch davon lebt, das Festangestellte sich im Rahmen der Zusammenhangstätigkeit um mehr als „nur“ den Unterricht kümmern. Die Offensive der Honorarlehrkräfte richtete sich an alle Fraktionen im Stadtrat. Zeitgleich startete Friedrun Vollmer eine Umfrage unter den Honorarkräften. Diese ergab, dass etwa zwei Drittel der „Freien“ eine Festanstellung anstrebt.

Das zentrale Argument der Musikschule gegenüber der Stadt richtete die Aufmerksamkeit dann auf die Schulkooperationen. Gerade hier ist eine zeitliche, inhaltliche und organisatorische Abhängigkeit gegeben, die Festanstellungen zwingend nach sich zieht. Aufgrund der anhaltenden Beharrlichkeit von Seiten der Musikschule und nach einem zähen Ringen entschied der Stadtrat schließlich einstimmig für die Umwandlung von Honorarverträgen in 16 Vollzeitstellen. „Phänomenal“ findet Vollmer das. Demnächst sollen die Stellen ausgeschrieben werden, auf die sich sowohl interne als auch externe Pädagoginnen und Pädagogen bewerben können.

Stuttgart

Die Musikschule Stuttgart hat in den vergangenen zehn Jahren 20 feste Stellen zusätzlich erhalten. 113 Stellen werden derzeit von knapp 200 Lehrkräften besetzt. Angesichts eines Schüleraufwuchses von 4.500 Schülerinnen und Schülern im Jahr 2002 auf heute rund 12.000 sind die zusätzlichen Stellen ein Muss. Musikschulleiter Friedrich-Koh Dolge führt den Schüler- und Stellenzuwachs auf die Wertschätzung der Musikschularbeit von Seiten der Stadt zurück, basierend wiederum auf der sehr engagierten und qualitativ hochwertigen Arbeit des Kollegiums. Und: „Wir achten darauf, dass wir die Breite nicht gegen die Spitze ausspielen.“ Die gute Finanzsituation trägt ebenfalls dazu bei, dass die Musikschule zusätzliche Stellen erhalten hat. Dabei geht der Wert der Musikschularbeit über das Vermitteln und Unterrichten von Musik hinaus. „Wie können wir über die Musik hinaus in die Gesellschaft hineinwirken?“, lautet die Frage, die sich die Leitung gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen permanent stellt. „Wir mischen uns im positiven Sinne überall ein“, erklärt Dolge; sei es zum Thema „kinderfreundliches Stuttgart“, zur Arbeit mit Geflüchteten, zur Inklusion oder auch zum Neubau einer Philharmonie.

Weitere 2,6 Stellen gab es für ein neues Projekt der Stuttgarter Musikschule: „Musik für alle“ ermöglicht es – ähnlich wie JeKi oder JeKits“ –, Kinder in fünf Grundschulen zwei Jahre lang mit Musik vertraut zu machen, wobei der Schwerpunkt frühzeitig auf eine Instrumentalausbildung gelegt wird. Im jeweils zweiten Jahr erhalten die Kinder bereits Unterricht in Kleingruppen. Schließlich gab es eine weitere 0,75 Stelle für eine Lehrkraft der Elementaren Musikpädagogik, die das Programm „musikbetonte Grundschule“ betreuen soll. Dieses startet im Jahr 2021 und bietet von Anfang an einen musikalischen Schwerpunkt, der musikalisch begabte Kinder in besonderem Maße fördert.
Dies alles wird in der Stadt durchaus wahrgenommen und honoriert – mit Wertschätzung und zusätzlichen Stellen.
Köln
In Köln hat der Rat der Stadt soeben 19 neue Planstellen für die Rheinische Musikschule freigegeben. Das entspricht einer mehr als 20-prozentigen Erhöhung „Historisch“ nennt Musikschulleiter Tilman Fischer diesen Schritt, auch deshalb, weil seit langem mit sehr vielen Honorarkräften gearbeitet wird und es für eine Aufstockung der sozialversicherungspflichtigen Stellen höchste Zeit war. Eben diese Honorarlehrkräfte haben einen wesentlichen Teil zu der Entwicklung beigetragen, indem sie – im Einvernehmen mit und unterstützt von der Musikschulleitung – offen gegen die Situation protestiert haben. Das Signal wurde in der Stadt wahrgenommen, man reagierte. „Die Ampeln im Rathaus stehen im Moment auf Grün“, erklärt Fischer. Das hat auch mit einer Entspannung der städtischen Haushaltssituation zu tun. Sogar ein neues Musikschulgebäude ist in Planung. Angesichts der angespannten Immobiliensituation in der Stadt Köln wird derzeit für das Gelände, auf dem die Schule steht, europaweit ein Investor gesucht.

Dass die Stadt offen für Entwicklungen im Bereich der Musikschule ist, habe auch mit einer modernen Neuaufstellung der Schule zu tun, sagt Fischer. Die Schule stellt sich als zentraler Player auf dem Gebiet der musikalischen (damit der kulturellen) Bildung dar. „Es ist uns gelungen, Klischees abzubauen, zum Beispiel das des öffentlichen Klavierunterrichts für höhere Töchter.“ Bildung müsse eine öffentliche Aufgabe sein und auch denen zu Gute kommen, die sie nicht nachfragen. „Outreach“ heißt das Stichwort hierfür.

Die Honorarkräfte in Köln haben deutlich gemacht, dass all dies auf dem Rücken von prekären Arbeitsverhältnissen geschieht. Statistisches Zahlenmaterial half, die Ansprüche der Musikschule zu untermauern. Relativ zur Bevölkerungszahl ist die Musikschule Köln die „kleinste im Land Nordrhein-Westfalen“, hat der Musikschulleiter errechnet. Nun hat die Stadt Köln reagiert und gehandelt. „In Köln ist angekommen, dass das, was wir tun, für die Stadt gut ist“, bilanziert Fischer.

Der VdM hat gerade eine Umfrage an alle seine Mitgliedsschulen gestartet, die Aufschluss darüber geben soll, ob und wie der „Stuttgarter Appell“ gewirkt hat, ob ein Trend hin zu mehr sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erkennbar ist, wo Mitgliedsschulen und ihre Träger Rat und Hilfe benötigen und schließlich wie ein möglicherweise wieder attraktiveres Berufsbild den Mangel an qualifiziertem und motivierten Nachwuchs an Lehrkräften lindern helfen kann.

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