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„Killer Instincts“
„Killer Instincts“
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Transparente Trauer

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Die Madonna-Affinität des Covers ist unübersehbar, doch keine Angst. Im Gegensatz zu so manch prominenten männlichen Kollegen, deren Ausflüge in wesensfremde Welten durch CD-verbriefte Pein- und Unzulänglichkeiten belegt sind, weiß Sarah Maria Sun genau, was sie tut. Ihr neues Album „Killer Instincts“ ist eine Sammlung origineller Coverversionen gesellschaftskritischer Couleur aus Jazz, Rock, Musical und Klassik, die als Ganzes wie ein ironischer Kommentar zum politischen Machismo und Größenwahn dieser Tage erscheint.

Das intelligent kombinierte und modifizierte Material von Tom Waits, Kurt Weill, Randy New­man, Stephen Sondheim und anderen ergibt eine stilistische Melange, die keineswegs beliebig zusammengerührt ist. Einen „Killer Instinct“ beweist Sun auch darin, in jeder musikalischen Sphäre den richtigen Ton zu finden, ohne dabei ihre Rolle zu überzeichnen. Das macht die gestandene Neue Musik-Performerin hier mühelos und locker zwischen nostalgischer Melodramatik, Blues-Röhre, lässigem Swing und Operndiva. Und „The Gurks“, alias Jan Philip Schulze (Klavier), Hubert Steiner (Gitarre), Max Renne (Klavier und Arrangements), Bernd Oezsevim (Drums) und Axel Nitz (Saxophon) präsentieren sich hier wahrlich nicht als „Gurkentruppe“, sondern Einrichtungen, die mit viel Esprit und Charme auf den Punkt genau ausbalanciert sind. Da wird so Manches gekonnt verschmutzt und geschreddert wie „There’s a Law About Men“ aus Bernsteins „Trouble in Tahiti“, anderes wieder charmant auf Wesentliches reduziert wie die barockisierte Banjo-Version von „Glitter and Be Gay“ aus „Candide“. (mode)

Monströse Partituren sind im Booklet dieser dankenswerten Neuauflage zu sehen, auch wenn nicht das geringste Detail auf ihnen zu erkennen ist. Doch die Noten von Friedrich Cerhas „Spiegel I–VII“ (1960/61) transportieren schon graphisch die Konturen orchestraler Massenbewegungen mit visueller Signifikanz. Cerha erprobte in den „Spiegeln“ die damals virulenten Techniken der sogenannten Klangkomposition mit geradezu enzyklopädischem Eifer, im Gegensatz zu vergleichbaren, ungefähr zeitgleich entstandenen Stücken von Ligeti, Penderecki und Xenakis aber weitaus kontrastiver. Schon die Anfangstakte des ca. 90-minütigen Zyklus entfalten in der Darstellung des SWR-Sinfonieorchesters unter Sylvain Cambreling aus dem Jahr 2006 gehörige Sogwirkung und markieren einen erstaunlich unbekannten Meilenstein der Orchestermusik des 20. Jahrhunderts. Der inszeniert die unterschiedlichen orchestralen Klangphysiognomien zwischen den Extremen von Regungslosigkeit und Tumult als ein Drama des Klingenden. (KAIROS, 2 CDs)

Aktueller Gast in der Edition zeitgenössische Musik: Die britische Komponistin Naomi Pinnock. Sie schreibt eine Musik, die mit den reizüberfluteten Erzeugnissen ihrer Generation herzlich wenig zu tun hat. Stattdessen überrascht ein kompositorischer Minimalismus, der in kleineren Kammermusikbesetzungen wie in Stein gemeißelt daherkommt und keinen Klang mehr als unbedingt nötig setzt. Pinnocks Abstraktionen erinnern in ihren feinen Variationen weniger Klangbausteine an die Texturen Morton Feldmans und sind doch von ganz eigenwilliger Zusammensetzung. Mit trotziger Schwerfälligkeit kämpft sich das 2. Streichquartett (2011/12) voran, trotz vorhandener Arditti-Aufnahme vom Quatuor Bozzini bestens neu eingespielt. Die Klavierminiaturen der „Lines and Spaces“ (2015) verdanken sich der minimalistischen Malerei Agnes Martins und sind im Wechsel von Horizontale und Vertikale manchmal auf eintönige Bewegungsabläufe reduziert. Die Vokalkomposition „Words“ (2010/11) hingegen atmet den Geist Samuel Becketts und versucht, in Wort und Ton fragmentarische Sprachfähigkeit zu gewinnen, was von Bariton Omar Ebrahim mit eindringlicher Theatralik nachvollzogen wird. Die „Music for Europe“, angeregt durch eine Malerei Paul Klees, ist ein schillernd melancholisches Klanggewebe für Flöte, Klarinette, Schlagwerk, Klavier und Harfe, das vom Ensemble Adapter mit ganz feiner Nadel gestrickt wird. Nicht nur im „transparent lament“ klingt das wie ein Abgesang auf den gegenwärtigen Zustand des Kontinentes. (Wergo)

 

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