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Und das Grün übt sich mezzoforte in Geduld

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Jugendliche erarbeiten mit dem Komponisten Steffen Reinhold eine Vertonung der „wahren Geschichte von allen Farben“
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In der Traditionsstadt Leipzig sind Musikvermittlungsprojekte für Kinder und Jugendliche keine Seltenheit. Bei dem hier beschriebenen Projekt ist eine neue Idee entstanden, die Eva Hellers Bestseller „Die wahre Geschichte von allen Farben“ zur Grundlage für einen Kompositionsauftrag gewählt hat. 16 musikalisch begabte Jugendliche erhielten die Chance, gemeinsam einen Zyklus für ein professionelles Orchester zu schreiben, der jetzt an einem so renommierten Ort wie dem Gewandhaus zur Aufführung gelangte.

Dies ist die wahre Geschichte aller Farben. Von Rot, Blau, Gelb, Orange, Grün, Violett und Weiß und Schwarz und Braun. Jede Farbe ist anders. Manche sind miteinander befreundet, andere vertragen sich nicht. Wenn sie sich mischen, geschehen seltsame Dinge – Farben verschwinden, neue Farben entstehen. Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben. Es ist wie Zauberei.“ So schreibt Eva Heller in ihrem mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichneten Buch „Die wahre Geschichte von allen Farben“. Am Anfang ist das Weiß. Alles ist hell und sauber. Dann kommt das Rot. „Achtung, hier bin ich!“, brüllt es, denn Rot ist auch immer laut, jedenfalls so lange es hell ist. Auch das Gelb will wie das Rot im Mittelpunkt stehen, das Blau dagegen ist ruhig. Alle Farben haben bei Heller ihren eigenen Charakter, sie mischen sich, neue Farben mit neuen Charakteren entstehen. Konflikte bleiben nicht aus, es kommt gar zur „Farbenschlacht“, bis es dem Weiß gelingt, mittels des „Friedensvertrages Farbenkreis“ die Eintracht wiederherzustellen. Die Farbenlehre: Was schon Leonardo da Vinci und Johann Wolfgang von Goethe beschäftigte, wird in Hellers Geschichte Kindern im Vorschulalter in einer liebevollen Geschichte näher gebracht.

Konzert für Neugierige

16 Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe acht der Thomasschule zu Leipzig gingen noch einen Schritt weiter. Nach Eva Hellers Erzählung wollten sie ein Musikstück für das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig komponieren. Im Rahmen des Werkstattprojekts „Schüler komponieren“ entstand so ein Werk, das am 7. März 2009 im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses zu Leipzig im ersten Teil des „Konzerts für Neugierige“ mit dem Mendelssohn Kammerorchester Leipzig unter Leitung von Gunnar Harms zur umjubelten Uraufführung kam. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Es begann im September 2008, gleich nach den Sommerferien: Da fanden sich die Achtklässler Anton Ackermann, Clemens Beute, Ludwig Dalitz, Leon Faber, Carolin Franke, Judith Gerhardt, Johannes Gransee, Georg Heyer, Maximilian Karge, Henning Lokatis, Franz Lommatzsch, Keturah Pohl, Robert Pohlers, Marie Ronninger, Marie Wilma Tepe und Tatjana Sawjalow zusammen. Alle spielen mindestens ein Instrument, die Besten waren beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ erfolgreich, einige von ihnen hatten sich auch schon zuvor am Komponieren versucht. Johannes Gransee hat beispielsweise im Kompositionskurs der Schule schon einige Stücke erarbeitet. Doch nun galt es, gemeinsam für eine größere Besetzung und für professionelle Musiker zu schreiben!

Nach einem ersten Finden und „Beschnuppern“, nach dem Lesen der Erzählung wurden die Fragestellungen bald präziser: Wie fasst man Farben in Töne? Die einzelnen Farben haben in Hellers Geschichte ja alle eine eigene Persönlichkeit: Wie drückt man die Zurückhaltung der Farbe Weiß musikalisch aus, wie die Streitsucht des Rots, wie das schrille „super-wunderbare“ Orange? Schließlich wurde gemeinsam eine graphische Partitur erstellt.

Nach den Herbstferien ging es dann ans Komponieren. Die Instrumente waren vorgegeben: Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Schlagwerk, Klavier. Den wöchentlichen Treffen und Besprechungen folgte das kreative Schreiben daheim. Schließlich wurde für jede Farbe ein individuelles musikalisches Motiv gefunden. So kommt das laute Rot jazzig daher, trillert die Flöte beim kleinen, spitzen und nach Aufmerksamkeit heischenden Gelb, übt sich das Grün in Mezzoforte in Geduld, tanzt das Violett im Walzertakt. Die größte Herausforderung dabei war es, im Team zu arbeiten, sich aufeinander abzustimmen. Denn wenn auch jede Farbe ein eigenes Thema bekam, so mussten diese beim Aufeinandertreffen der Farben schließlich kompositorisch verarbeitet werden. Der Widerspiegelung der „Farbenschlacht“ entledigten sich die Nachwuchskomponisten mit einer wohl durchdachten wie cleveren Lösung: Sie lassen an dieser Stelle den Musikern Raum zur Improvisation anhand der vorgegebenen Motive.

In der Endphase des Projektes reduzierte sich die Zahl der beteiligten Kompositionsschüler/-innen auf sieben. Judith Gerhardt (Jahrgang 1995) ist eine davon. Sie spielt seit sieben Jahren Blockflöte, seit sechs Jahren Klavier, vor einem halben Jahr kam noch die Oboe dazu. Komponiert hat sie vorher auch schon, aber nur „für sich“. Das gemeinsame Arbeiten war für sie am schwierigsten: das Warten auf die Vorgaben der Anderen, das Weiterentwickeln, das Zusammenführen.

Hilfestellung gab es in Workshops von Sibylle und Gregor Nowak sowie natürlich von Projektleiter Steffen Reinhold. Der 1967 in Leipzig geborene Komponist und Musikpädagoge betreute die Jugendlichen kompetent und umfassend. Dabei sind solche Vorhaben kein Neuland für ihn: Seit 2004 führt er gemeinsam mit dem Mendelssohn Kammerorchester Leipzig derartige Projekte durch. Initiiert wurden sie von dem künstlerischen Leiter des Orchesters Gregor Nowak. Nach Kompositionsaufträgen an Schüler der Leipziger Max-Klinger-Schule (2006) und der Thomasschule Leipzig (2007) arbeiteten 2008 erstmals Schüler aus drei verschiedenen Schulen in Schweden und Deutschland gemeinsam im „Soundscapes“ European Composition Project.

Mit diesen Projekten wird den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten, sich kreativ mit zeitgenössischer Musik auseinander zu setzen. Die jungen Komponisten/-innen befassen sich auf diese Art vielfältig mit Neuer Musik: Sie hören, analysieren, improvisieren, besuchen Konzerte, treffen sich mit Komponisten und Musikern, beschäftigen sich mit Instrumentarium, Spieltechniken und Notation und setzen schließlich ihre eigenen Ideen für das Orchester um.

Anspruchsvolle Umsetzung

Und auch 2009 ist das Ergebnis höchst beachtenswert. Wenn die Partitur dem Kenner schon lobende Anerkennung ob ihrer anspruchsvollen Umsetzung der ausgefeilten Ideen abtrotzt, so ist die Musik für Jeden hörenswert. Die Besucher im gut gefüllten Saal zur Uraufführung am 7. März sind jedenfalls begeistert: Die Themen und Motive haben absoluten Wiedererkennungswert, die Geschichte vom Streit und der Versöhnung der Farben wird musikalisch spannend und einfallsreich erzählt und vom Mendelssohn Kammerorchester Leipzig brillant umgesetzt. Optisch wird es auch bunt: Die Klasse 8/1 der Thomasschule hat im Kunstunterricht unter Anleitung von Heike Hornauf-Galle ebenfalls nach der Geschichte von Eva Heller gearbeitet, die entstandenen Bilder werden zur Illustration an eine Leinwand projiziert und sind im Original im Foyer zu bewundern.

Der Stolz ist den Nachwuchskomponistinnen und -komponisten in der Konzertpause danach anzusehen: Bereitwillig beantworten sie die Fragen neugieriger Journalisten, nehmen freudig Glückwünsche entgegen und fachsimpeln ansonsten untereinander und mit den Musikerkollegen. Schließlich wissen sie, wovon sie reden. „Neue Musik“ ist für sie längst kein Schreckgespenst mehr. Berührungsängste haben sie durch die intensive Beschäftigung mit der Musik der Gegenwart in den letzten sechs Monaten gegen fundiertes Wissen eingetauscht und jetzt sogar ihren ganz eigenen Beitrag dazu beigesteuert.
 

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