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Niederländerin mit internationalem Lebensentwurf wird in Moers zum „Improviser in Residence“
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Noch beim Überqueren des Rheins in westliche Richtung bilden Duisburgs Stahlwerk-Kulissen ein letztes kolossales Finale, bevor es kleinstädtisch, fast ländlich wird. Die Stadt Moers gehört trotzdem noch dazu – zum Ruhrgebiet und damit zur soeben erkorenen Kulturhauptstadt. Und das ist gut so. Denn ohne den in Moers – längst über das alljährliche Pfingst-Festival hinausgehend – beheimateten Brennpunkt zeitgenössischer Musikkultur wäre die neu erschaffene „Metropole“ doch um einen wesentlichen Aspekt ärmer.

In der lebendigen Niederrhein-Stadt macht ein „Improviser in Residence“ deutlich, dass es nicht nur um bombastische Hype-Inszenierungen geht, sondern dass jenseits der Hochglanzoberflächen auch faszinierende Basis-Arbeit stattfindet. Und dies weit über das „Hauptstadt-Jahr“ hinaus. Aktuell übergibt der Komponist Simon Rummel das „Amt“ eines regelmäßig vor Ort aktiven Stadt-Musikanten an die aus den Niederlanden stammende Sanne van Hek, die auf Trompete und mit elektronischen Klangerzeugern äußerst umtriebig zu agieren weiß. Sie ist nun die dritte Künstlerin – in gleichberechtigtem Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Akteuren –, die nun ein Jahr lang das Kulturleben vor Ort in neue Farben tauchen will. Und sie freut sich schon sehr darauf, wie sie beim Frühstücks-Telefonat einräumte!

Dass eine gebürtige Niederländerin in vielfältigen Kunst-, Musik- und Improvisations-Projekten die Moerser Bevölkerung für sich gewinnen will, erscheint symbolträchtig genug für die weit offenen künstlerischen und menschlichen Grenzen zum westlichen Nachbarland. Der Posten des „Improviser in Residence“ ist eine Art Stipendium, welches das Netzwerk Neue Musik zusammen mit der Kunststiftung NRW ausrichtet, unter zusätzlicher Unterstützung vom WDR und der Stadt Moers. Zur Verfügung gestellt wird ein Haus im Stadtzentrum, außerdem sind sämtliche Mittel zum Lebensunterhalt zuzüglich der Konzerthonorare abgedeckt. Das liefert eine zuverlässige Basis für maximale gestalterische Freiheit, gibt hinreichend Muße, um Projekte wachsen zu lassen. Sanne van Hek, die bis vor kurzen noch in Paris lebte, betrachtet dies alles als Geschenk.

Solche Rahmenbedingungen erscheinen ihr wie purer Luxus: „Als ich das meinen Bekannten erzählte, wollten die es zunächst kaum glauben!“

Was ein Jahr lang in Moers zu leisten ist, sollte den Partnerschaften mit den verschiedenen Kulturträgern in der Stadt Rechnung tragen, das „Wie“ hingegen ist völlig frei. Ebenso wie ihr Vorgänger Simon Rummel sieht Sanne van Hek dieser potenziell grenzenlosen künstlerischen Spielwiese auch mit etwas Aufregung entgegen. Festival-Intendant Rainer Michalke fokussiert sich bei der Auswahl eines „Improviser in Residence“ bewusst auf jene Zielgruppe Anfang 30. Das sind nach eigenem Bekunden bereits vielfach erfahrene, international profilierte Künstler, die andererseits aber noch lange nicht den Zenit ihrer Karriere erklommen haben. Also birgt die Zeit in Moers gute Chancen zur künstlerischen Weiterentwicklung bei ständiger kommunikativer Erprobung in ganz verschiedenen sozialen Kontexten. Simon Rummel hat hier im vergangenen Jahr wahre Produktionsschübe durchlebt. In Moers komponierte er so viel, wie in all den Jahren zuvor nicht. Die von ihm verwirklichten Projekte machten nicht selten durch hohe Interaktivität mit allen Beteiligten von sich reden. Das hat dazu beigetragen, den „Improviser“ als ständige öffentliche Institution im Kulturleben zu etablieren. Michalke lobt, dass Rummel so viele unterschiedliche Menschen „abholen konnte“, die er oft mit genial-einfachen Mitteln in seine klanglichen und auch szenischen Welten entführte.

Sanne van Hek, die Ende des Monats endgültig in Moers einzieht, bringt einen ganz anderen künstlerischen Ansatz mit, der sich schon beim Festival-Auftritt im letzten Jahr offenbarte. Elektronisch bearbeitete Trompetensounds, die auf Noise-Gitarren treffen. So etwas gehört zu den bevorzugten Materialien einer Grenzgängerin mit unbändiger, impulsiver Spiellust, die schon früh von der Klassik-Ausbildung genug hatte, zu Bass und Schlagzeug wechselte und sich viel später dann als Quereinsteigerin mit der Trompete anfreundete. Die sich heute in einem bewusst international gehaltenen Lebensentwurf von Begegnungen inspirieren lässt und zwischendurch auch mal an ausgesuchten Institutionen Kompositionen und Klangforschung studierte. Die die Geisteshaltung eines John Cage oder Morton Feldman gleichermaßen zu ihren Einflussquellen zählt, wie solch verquere Elektronik-Pioniere wie Autechre oder Björk. Und die in Brüssel, Amsterdam und Paris ein weitgefächertes Netzwerk von Mitmusikern verschiedenster stilistischer Prägung aus den innovativsten Musikszenen dieser Metropolen ausgebaut hat; und die will sie natürlich, soweit es geht, nach Moers holen. Das bekräftigt einmal mehr den Netzwerk-Gedanken, der ja auch der Kulturhauptstadt-Idee zugrunde liegt. Man darf gespannt sein.  

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