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Christian Tetzlaff, Malte Arkona und Lars Vogt. Foto: Rhapsody in School
Christian Tetzlaff, Malte Arkona und Lars Vogt. Foto: Rhapsody in School
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Virtuose Rhapsoden und ein Elefant im Porzellanladen

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Anmerkungen zu einem vor allem gut gemeinten Familienkonzert im Berliner Konzerthaus
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Vermittlung und Kommunikation sind zwei nahezu untrennbar miteinander verzahnte Ebenen. Man kann bekanntlich nicht nicht kommunizieren, durchaus aber nicht vermitteln. Durch unstimmige oder unangemessene Kommunikationsparameter kann es zu Situationen kommen, dass trotz bester Absichten und herausragend dargebotener Musik der Prozess der Vermittlung im Keim erstickt wird. Konzerte für junges Publikum bilden mitunter leider nach wie vor ein Forum für solche Momente.

Musikvermittlung durch gestandene Musiker, gar prominente Ensembles, in Schulen, in Kinder- und Jugendzentren, im Konzertsaal – die Idee ist nicht neu, aber erst in den letzten Jahren wird sie landauf-landab praktiziert, in unterschiedlichen Konzepten, Besetzungen, Formaten. Die Intention: Kinder für gute Musik zu begeistern – genauer und bescheidener: ihnen Kostproben von Musik zu verabreichen, die ihnen sonst kaum ins Bewusstsein dringt, schon gar nicht live, um vielleicht auf diese Weise bei den Junioren Kopf und Bauch, Verstand und Empfindung zu sensibilisieren für die unendliche Vielfalt der Musik – jenseits des marktschreierisch Ordinären, der interkontinentalen Pipi-Klänge, von denen sie dauernd und häufig unfreiwillig umgeben sind. Einfach ist solche Musikvermittlung keineswegs, ihr Erfolg hängt von diversen Faktoren ab, zu denen das Ambiente der Veranstaltungen, die Programmauswahl im Hinblick auf das Altersspektrum und die Didaktik der Präsentation zählen. Gerade dabei aber gilt auch: Es ist längst noch nicht gut, was gut gemeint war.

Dass inzwischen hervorragende Musiker besonders der jüngeren Generation sich neben der eigenen internationalen Karriere auch dieser Aufgabe verpflichtet fühlen, ist zunächst einmal hoch zu bewerten. Initiiert von dem Pianisten Lars Vogt hat sich unter dem freilich etwas skurrilen Motto „Rhapsody in School“ in wenigen Jahren ein Netzwerk zahlreicher prominenter Interpreten gebildet, die ehrenamtlich immer wieder Zeit und Energie darauf verwenden, einzeln oder in Kammermusikformationen mit Kindern in deren Schulen zusammenzutreffen, um ihnen „gute“ Musik auch im Wortsinn nahezubringen. Kürzlich hat sich gleich ein Dutzend dieser Rhapsoden, darunter Sabine Meyer (Klarinette), Christian Tetzlaff und Daniel Hope (Violine), Alban Gerhardt und Daniel Müller-Schott (Cello) sowie Lauma Skride und Lars Vogt (Klavier), im Konzerthaus Berlin zusammengetan, um in zwei Aufführungen am selben Tag ein erlesenes Programm zu präsentieren.

Schon am Vormittag ist der Große Saal bis in den zweiten Rang voller Kinder, ganz überwiegend vierte bis sechs­te Klassen aus Berliner Grundschulen. Der Geräuschpegel ist vor Beginn des Konzerts erheblich, doch endlich geht es los: Alban Gerhardt betritt das Podium und beginnt ohne Umschweife zu spielen, das Prélude aus Bachs sechster Solo-Suite. Der Cellist, sonst eher als Solist großer Orchester in der ganzen Welt unterwegs, weiß, was er hier seinem sehr jugendlichen Publikum zumuten kann. Tatsächlich ist es innerhalb weniger Sekunden mucksmäuschenstill im Saal, mit dieser konzentriert und virtuos gespielten Ouvertüre erzeugt Gerhardt sogleich Konzertspannung – eigentlich ein fabelhafter Start. 

Doch nun tritt ein Moderator auf, der diese Spannung nicht zu nutzen weiß, sich darum auch gar nicht bemüht, da er spürbar in dieser Musikwelt nicht zuhause ist. Malte Arkona nennt sich Entertainer und moderiert im Fernsehen auf KiKA, wo „Klassik“ freilich kaum vorkommt. Hier nun gibt er den Elefanten im Porzellanladen, führt die überwiegend musikalisch unterernährten Kinder nicht etwa geschickt, behutsam und augenzwinkernd in die geheimnisvolle Welt des nächsten Stückes ein, sondern übt mit ihnen einen, den folgenden „Superstars“ seiner Meinung nach angemessenen, Auftrittsapplaus ein: „Ihr könnt – aber erst auf mein Zeichen – klatschen, schreien, trampeln, pfeifen...!“ Als die Aufforderung nur fortissimo befolgt wird, lässt er, wie der Clown im Kleinstadtzirkus, den Lärm steigern zum vierfachen forte. Und derart führt er konsequent durch das restliche Programm. Denn, so offenkundig seine Logik, Spaß muss sein, sonst käme noch jemand auf die abwegige Idee, „Klassik“ wolle ernst genommen werden, aber dem gilt es nach Kräften vorzubeugen. Wenn jemand nicht weiß, was „kontraproduktiv“ bedeutet, hier kann man es erfahren. Der Moderator lenkt die Kinder vom Wesentlichen ab.

So haben es die Künstler schwer mit den folgenden, gleichermaßen farbenfrohen wie feinsinnigen Werken, einem Satz aus Bartóks „Kontraste“-Trio, den Variationen aus Schuberts „Forellenquintett“ und schließlich dem „Karneval der Tiere“ von Saint-Saëns. Wo der Moderator den Kindern Hinweise auf die Feinheiten und Hintergründe der Kompositionen geben und so die Erwartung anspitzen könnte, räumt er den Geist heiterer Musik-Kunst, den zu vermitteln die Musiker sich wohl vorgenommen hatten, mit seinen krach­ledernen Sprüchen beiseite. 

Und zu allem Unglück folgt ihm auch noch Klaus Maria Brandauer bei der „großen zoologischen Fantasie“ auf dieser Spur: Als Sprecher von Loriots kongenial liebenswürdig-ironischen Texten, die der große Humorist einst angemessen dezent mit hintergründigem Lächeln vorgetragen hatte, gibt Brandauer vor allem seinem Affen Zucker; er lässt die Kinder – ebenfalls in bis zum kaum erträglichem Lärm gesteigerter Lautstärke – wie Hühner gackern und Eselschreie ausstoßen, begleitet auch noch einige Bilder pantomimisch, sodass Saint-Saëns’ feinsinnig auskomponierte Pointen der instrumentalen Tierimitationen und musikalischen Anspielungen vom Publikum kaum mehr wahrzunehmen sind.

Der Ton macht zwar die Musik, aber die Musiker haben die Rechnung ohne die Wortbeiträger gemacht. Gut gemeint … und wirklich jammerschade, aber bei der nächsten „Rhapsody in Concert“ lässt sich das ja ändern. 

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