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Vokalpädagogische Praxis weiterentwickelt

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Eine neue Publikation zum Singverhalten von Grundschulkindern
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Das Singen mit Kindern erlebt seit Ende des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum einen neuen Aufschwung: So wurden in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutschland Projekte zur Förderung des Singens an Grundschulen und Kindergärten ins Leben gerufen, beispielsweise die Initiativen „Singen macht Sinn“ (SMS), „Singpause, Primacanta“ oder „Die Carusos“.

Zudem existiert mittlerweile eine umfangreiche Ratgeberliteratur, die Überlegungen zur Didaktik des Singens und der Stimmbildung mit Kindern enthält. An deutschen Musikhochschulen und Universitäten wurden Professuren für Kinderchorleitung und Studiengänge zum Singen mit Kindern eingerichtet. Zahlreiche Institutionen, wie Bundes- und Landesakademien für Musik, bieten Fort- und Weiterbildungen für musikpädagogisch Tätige an, um Kenntnisse, Fertigkeiten und methodisches Know-how für die vokalpädagogische Praxis mit Kindern zu vermitteln.

Diese Entwicklungen belegen eine neue „didaktische Relevanz“ des Singens mit Kindern, dem sowohl in der Praxis und der entsprechenden Fachliteratur als auch auf Hochschulebene vermehrt Bedeutung beigemessen wird. Aber wie steht es denn generell um die Singfähigkeiten von Grundschulkindern? Hierauf weiß Regina Bojack-Weber auf der Basis ausführlicher Untersuchungen Antwort. Diese führt sie im vorliegenden Band aus und belegt sie mit entsprechendem Datenmaterial.

Die Publikation stützt sich auf empirische Erhebungen, welche es ermöglichen, eine präzise Vorstellung davon zu bekommen, über welche vokalen Fähigkeiten Grundschulkinder des vierten Schuljahres verfügen. Die Ergebnisse sind teilweise ernüchternd und zeigen einen dringenden Handlungsbedarf auf. So wurde ermittelt, dass 20 Prozent der Kinder Probleme hatte, Töne richtig nachzusingen und hohe und tiefe Töne zu unterscheiden (S. 75). Kein Wunder, denn im Unterricht wird das „Singen in Sprechtonhöhe mit gelegentlichen Tonhöhen“ (S. 67) ja toleriert. Die meisten der 386 untersuchten Kinder gehören zur Gruppe der „unbeständigen Sänger“. Diese können Töne und Motive grundsätzlich nachsingen, wenn auch unsicher und nicht konstant. Eine Melodie ist gut erkennbar, jedoch nicht immer korrekt. Erfreulich ist, dass einem Großteil der Kinder gutes Singen bescheinigt werden kann. Bedenklich ist jedoch, dass ein beinahe ebenso großer Teil der Gruppe den „Sprechsängern“ oder den „Sängern mit eingeschränktem Stimmumfang“ zuzurechnen ist. Dass diese Kinder mit wenigen unterstützenden Maßnahmen leicht gefördert werden könnten, bestätigt sich dadurch, dass bei einigen Kindern innerhalb des 15-minütigen Tests Verbesserungen der stimmlichen Leistungen erzielt werden konnten.

Erschreckend ist, dass das Singen ohne qualifizierte Anleitung, so wie es in den Grundschulen überwiegend stattfindet, die Singfähigkeit der Kinder nicht zu steigern vermag (S. 97). Kindergarten und Schule sind aus Perspektive der Kinder zwar wichtige Orte für das Singen, jedoch korreliert die Singfähigkeit der Kinder nicht mit der Häufigkeit schulischen Singens. Dennoch wäre es kurzsichtig zu denken, dass vom Singen in Schulen keine positive Wirkung ausgeht. So unterstützen schulische Angebote beispielsweise die Interessenbildung. Dem häuslichen Singen kann eine größere Auswirkung auf die Singfähigkeit bescheinigt werden als dem schulischen Singen.

Die Studie verdeutlicht, dass die Expertise derer, die mit Kindern singen, sehr entscheidend ist für die Entwicklung und Verbesserung der Singfähigkeit. Denn Klassen mit guten Ergebnissen wurden überwiegend von Fachlehrern unterrichtet (S. 144). Die Fähigkeiten wurden in einem speziell für diese Studie entwickelten Singtest gemessen, in welchem zunächst stimmliche Eigenschaften wie z. B. Sprechstimmlage, Stimmumfang, Stimmklang, Intonation, Artikulation und Ausdruck beim Singen erfasst wurden. Ergänzend hierzu wurden weitere Fähigkeiten überprüft, wie etwa Rhythmen nachsprechen, Tonhöhen und eine Tonleiter nachsingen. Das unbegleitete Vorsingen eines Liedes zeigte, ob eine Melodie intonationssicher und stabil vorgetragen werden konnte. Auch wurde die Merkfähigkeit in Bezug auf Melodie und Rhythmus beim Erlernen eines unbekannten Liedes getestet. Ergänzend hierzu kam ein kreativer Teil, in welchem Kinder Melodie-Enden ergänzen sollten. Alle erfassten Merkmale zusammen bilden den Singfähigkeitswert und dienen einer genauen Angabe der jeweiligen Singfähigkeit.

Die von Bojack-Weber durchgeführte Studie leistet einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung vokalpädagogischer Praxis, da sie den Ist-Zustand an Schulen charakterisiert, zumindest zum Zeitpunkt der Studie, bei Kindern der 4. Klasse im baden-württembergischen Raum. Außerdem wird gezeigt, dass „Singen-Können“ verschiedene Fähigkeiten umfasst, die erlernt und trainiert werden können.

Der Handlungsbedarf ist damit dokumentiert. Bleibt zu wünschen, dass viele für Musikunterricht an Grundschulen Verantwortliche diesem Buch Aufmerksamkeit schenken und entsprechend handeln, um die Bedingungen für das Singen an Grundschulen zu bessern.

Regina Bojack-Weber: Singen in der Grundschule. Eine Untersuchung zur Singfähigkeit und zum Singverhalten von Grundschulkindern (Forum Musikpädagogik, Bd. 104), Wißner Verlag, Augsburg 2012, 208 S., Abb., Notenbsp., € 29,80, ISBN 978-3-89639-843-7
Heike Henning

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