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Geigenbaumeister Andreas Kägi bei der Restauration einer Geige in seiner Werkstatt in den „Gerichtshöfen“ Berlin Mitte-Wedding. Foto: privat
Geigenbaumeister Andreas Kägi bei der Restauration einer Geige in seiner Werkstatt in den „Gerichtshöfen“ Berlin Mitte-Wedding. Foto: privat
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Wenn das Cello einen dicken Hals kriegt

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Andreas Kägi, Präsident des Verbandes deutscher Geigenbauer und Bogenmacher e.V., im Gespräch mit der nmz
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Vor über 100 Jahren, nämlich 1904, wurde der Verband deutscher Geigenbauer und Bogenmacher e.V. (VDG) gegründet. Verbandspräsident Andreas Kägi spricht über Aufgaben und Ziele des VDG als einer Verbindung von Berufsleuten zu ihrem eigenen Fortkommen. In der Satzung heißt es: Der VDG erstrebt den Zusammenschluss der Geigenbauer- und Bogenmachermeister/-innen zum Zwecke der Förderung und Vertretung ihrer gemeinsamen Inter-essen. Er hat das Ziel, die Kollegialität und die Freundschaft unter Meisterinnen und Meistern zu vertiefen, die Weiterbildung zu fördern und der Kunst des Geigenbauer- und Bogenmacherhandwerks in allen Bereichen zu Ansehen und Vertrauen zu verhelfen

neue musikzeitung: Hat sich daran etwas geändert, oder sind diese Ziele heute noch genauso aktuell?

Andreas Kägi: Unbedingt aktuell. Dafür fühle ich mich als Präsident auch mitverantwortlich. Vor allem eben, das Vertrauen ineinander zu vergrößern und das Konkurrenzverhalten nicht ins Uferlose anwachsen zu lassen, dass man einander hilft, weil man letzten Endes mehr davon hat, als wenn man gegeneinander arbeitet.

Geändert hat sich insofern etwas, als wir seit einigen Jahren verstärkt Wert legen auf die Wissensvermittlung: Unsere Instrumentenausstellungen und Fachvorträge während der Jahrestagungen sind gewichtiger und umfassender geworden, der fachliche Austausch hat sich intensiviert, die Dokumentation ist – auch dank technischer Erleichterungen – erheblich verbessert worden.

nmz: Sie haben mittlerweile auch Mitglieder aus dem Ausland?

Kägi: Richtig, schon von Anfang an, seit der Gründung 1904! Grundsätzlich ist zwar der deutsche Meistertitel eine der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im VDG. In den meisten Ländern gibt es den Meistertitel im Handwerk aber nicht. Den gibt es nur in Deutschland, in Österreich und, sinngemäß, in der Schweiz. Kollegen aus dem Ausland müssen ihre Qualifikation anderweitig nachweisen. Eine weitere Voraussetzung ist ein Bezug zu Deutschland, sei es, dass sie das Geigenbauen hier gelernt und/oder hier als Geigenbauer gearbeitet haben. Letzten Endes beschließt die Mitgliederversammlung, ob jemand aufgenommen wird oder nicht.

nmz: Wie sieht es denn beim Nachwuchs aus? Sind die Zahlen neuer Geigenbauerlehrlinge eher zurückgegangen oder gestiegen?

Kägi: Sie sind in der Tat in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Wir haben überhaupt keine Nachwuchsprobleme. Wir haben eher ein bisschen Kummer, ob all die vielen gut ausgebildeten Leute dann später überhaupt genug Arbeit haben. Das ist aber nicht nur negativ: Wo viele sind, gibt’s auch ein paar Gute, über die freuen wir uns natürlich. Insgesamt sind die Erwartungen in unseren Beruf sehr gestiegen, weil einfach die Konkurrenzsituation schon eine gewisse Auslese bewirkt.

Emanzipation im Handwerk

nmz: Wie sieht denn der Frauenanteil im Geigenbauhandwerk aus?

Kägi: Der ist enorm angestiegen. Noch vor 30 Jahren waren Geigenbaumeisterinnen sehr selten, hochqualifizierte Geigenbauerinnen gab es nur ganz wenige, noch bis in die 80er-Jahre. Seither ist es aber sehr im Steigen begriffen, wie bei den Musikern. Die Frauen sind ja in den Orchestern schon in der Mehrzahl.

nmz: Man denkt ja klischeebedingt bei Handwerk schon an einen Männerberuf.

Kägi: Es ist keine Frage des Bizeps’, sondern des Gewusst-Wie. Ich glaube, das können Frauen mindestens so gut wie wir Männer. Aber es ist natürlich auch eine Frage des Selbstbewusstseins, und das war, wie in anderen Berufen auch, früher nicht so gegeben, heute schon. Es gibt sehr gute Kolleginnen, und immer mehr.

nmz: Sie selbst sind auch Geigenbauer mit eigener Werkstatt. Wie sind Sie persönlich auf diesen Beruf gekommen?

Kägi: Ich stamme aus einer Musikerfamilie, habe selber auch ganz jung studiert, ich war schon mit 16 auf der Musikhochschule. Irgendwann hab ich mich gefragt: Ja, will ich das eigentlich? Dann habe ich mich relativ spät  – mit 23 – für diesen Beruf entschieden und bin nach Mittenwald gegangen auf die Geigenbauschule. Ich habe dann die ganze Ochsentour gemacht und mich dann mit Mitte 30 selbstständig gemacht, hier in Berlin.

nmz: Was war das Ausschlaggebende?

Kägi: Diese Frage führt sehr weit. Nun, ich habe sicher keine ungeschickten Hände, und es hat mir auch immer Spaß gemacht, etwas zu machen. Und ich habe einige andere Begabungen, die kann man in diesem Beruf ganz gut verbinden. Ich kann immer noch gut Cello spielen, und das kann ich auch mit einbringen, als Tischler könnte ich das vielleicht nicht so.

nmz: Waren Sie auch musikpädagogisch tätig?

Kägi: Nein. Ich habe das Studium nicht abgeschlossen, sondern bin dann zum Geigenbau gekommen. Ich habe ein bisschen unterrichtet als Student, aber nicht viel.

nmz: Nimmt der VDG denn pädagogische Aufgaben wahr?

Kägi: Nicht als solcher. Wir geben vielleicht Empfehlungen ab, aber nicht so sehr als Verband, sondern als Einzelperson; wenn ein Geigenbauerkollege mal fragt: Was meinst du, wie kann man dem das und das beibringen, dann gebe ich ihm meine persönliche Erfahrung weiter und meine Ideen. Aber der Verband hat keine eigentliche Beratungsstelle. Insbesondere wird der Vorstand angesprochen, der weiß dann auch, wo man eventuell weiterfragen kann. Der Verband hat ja keine hoheitlichen Aufgaben und Rechte, er ist eine private Vereinigung.

nmz: Liegen dem Verband aktuelle Zahlen aus der Wirtschaft vor?

Kägi: Das ist nicht der Fall, weil wir die Daten von unseren Mitgliedern gar nicht kriegen und auch nicht daran denken, sie anzufordern, das würde eher auf Unverständnis treffen. Es sind lediglich um die 300 Mitglieder.

nmz: Und aus Ihrer persönlichen Sicht? Sie haben Ihre Werkstatt ja in Berlin, bedienen Sie nur Berliner Kunden, oder geht das deutschlandweit? Vielleicht sogar europaweit?

Kägi: Ja, das ist nicht mehr so wie früher. Früher war ich in Westberlin. Wir waren schon sehr eingeschlossen, das merkte man später, als es nicht mehr eingeschlossen war, wie eingeschlossen wir gewesen waren. Das heißt, der Weg von Westberlin in die Bundesrepublik war viel kürzer als umgekehrt. Viele Berliner Musiker sind auch nach Hamburg gefahren oder nach München, um dort irgendwelche Arbeiten verrichten zu lassen oder Instrumente zu kaufen. Auch nach London oder Paris. Wenige haben nach Berlin gefunden zu alten Mauerzeiten. Das ist seit der Grenzöffnung besser ausgeglichen.

Hervorragende neue Geigen

Ich selbst mache keine neuen Instrumente. Ich bin ausschließlich Restaurator und natürlich auch Händler. Es gibt aber auch hier in Berlin inzwischen eine ganze Reihe jüngerer Leute, die hervorragende Neubauten machen und auch hier in der Stadt damit überleben können, aber die sind natürlich weltweit tätig. Aber der Amateurmusikermarkt ist hier geringer als in Süd- und Westdeutschland. Ich selbst habe fast ausschließlich professionelle Kunden. Das sind die Musiker aus allen großen Orchestern, dann viele freiberufliche Musiker; natürlich auch Amateure, aber relativ wenige. Viel weniger, wie gesagt, als man in München oder Stuttgart hat.

nmz: Kriegen Sie bei diesem Kundenkreis auch etwas mit von dieser Welle von „Discountinstrumenten“, beispielsweise aus China?

Kägi: Schwer zu sagen. Industriell, also teilmaschinell hergestellte Instrumente hat es ja schon immer gegeben. Die werden in Westdeutschland vorzugsweise in Bubenreuth bei Erlangen gemacht, da gibt es einige Firmen. Dann ist seit den 90er-Jahren Marktneukirchen, die klassische Musikstadt, wieder stark in den Vordergrund gerückt. In allen drei Zentren, also Marktneukirchen, Bubenreuth und Mittenwald, blüht neben der Serienfertigung auch der einzelhandwerkliche Geigenbau wieder auf. Und China ist wirklich enorm im Kommen, und zwar gar nicht negativ, die machen gute Sachen zum Teil. Natürlich auch sehr billige Sachen, aber auch in einer vernünftigen Preislage einfach zunehmend gute Instrumente. Da kann man nichts sagen, und da habe ich auch gar nichts dagegen. Hauptsache gut! Viele meiner Kollegen klagen zwar furchtbar über die gelbe Gefahr, aber das ist nun mal auch ein bisschen von vorgestern.

Vor einiger Zeit bekam ich in Südostasien ein chinesisches Instrument in die Hand, das hatte einen viel zu dicken Hals. Ich habe ihn dünner geschnitten und die korrekten Maße und Kurven dem Eigentümer gegeben zur Weitergabe an die Geigenbaufirma in China. Das nächste Instrument, das ich zu sehen bekam, war perfekt, und man hat sich zudem freundlich bedankt. In der gleichen Zeit bekam ich dort ein Instrument aus deutscher Herstellung, da war genau das gleiche Problem. Ich schickte eine E-Mail mit der höflichen Frage, ob das wirklich ihr Produkt sei oder vielleicht eine Fälschung. Die Anwort war: Das ist schon von uns, aber wir machen die Hälse für Ostasien immer so dick „zwecks der Stabilität“. Und ich sei jetzt der Erste, der das reklamiere. Das ist wohl der Unterschied: In China hat man meine begründete Anregung sofort akzeptiert und umgesetzt, bei einigen deutschen Firmen dauert das länger.

Das gilt natürlich nicht generell. Aber es gibt nun mal Regeln und Normen, und die sollte man einhalten, man muss halt manchmal eine Schablone anlegen, auch als Künstler. Und die Stabilität eines Cellohalses hängt von anderen Dingen ab als von seiner Dicke, und zwar in jedem Klima. Die Anforderungen an die Spielbarkeit des Instruments hingegen sind auf der ganzen Welt gleich.

nmz: Vielen Dank!

Das Gespräch führte Daniel Winzer

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