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Foto: Ssirus W. Pakzad
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Wenn das Essen zur Ersatzreligion wird

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Das Gospel-Projekt des Jazz-Schlagzeugers Max Andrzejewski beschäftigt sich mit einem Primärbedürfnis
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Butter? Halleluja! Sugo? Hosianna! Zucker? Amen! Mit Kirche hat der Berliner Jazz-Schlagzeuger Max Andrzejewski an sich nicht viel am Hut. Wohl aber ist ihm die Musik heilig, die in Gotteshäusern erklingt. Besonders jene, die in den USA die schwarzen Gemeinden aufwühlt. Sein Faible für inbrünstige Gospelmusik wollte der 31-jährige schon lange ausleben. Nur wusste er nicht so recht, wie er das Thema angehen sollte.

Die Schauspielerin und Tänzerin Sylvana Seddig schließlich hatte die richtige Eingebung. Sie sagte: „Max, du kannst über zwei Dinge extrem emotional reden – über Musik und Essen.“ Diese magen- und herzerwärmende Idee setzte der im Taunus aufgewachsene Instrumentalist und Komponist sofort um. Der bekennende Genussmensch Max Andrzejewski schrieb ein Gospelwerk, das sich mit Essen als Ersatzreligion befasst.

Es ist kürzlich unter dem Titel „Max Andrzejewskis Hütte and The Homegrown Organic Gospel Choir“ (WhyPlayJazz) erschienen. In Texten von eben jener Sylvana Seddig und Theatermann Thomaspeter Goergen geht es nicht nur um Gaumenkitzler und Appetitanreger, sondern auch um Grundnahrungsmittel (Max Andrzejewski: „Ich liebe Butter!“), Gewürze, das Völlegefühl, um Essstörungen. „Ich fragte mich immer schon, wie man sich so militant auf manches Ernährungskonzept versteifen kann, dass es einem körperlich permanent schlecht geht. Ich dachte mir: wenn ich schon etwas über Essen mache, möchte ich in meiner Musik gewisse Problematiken mit einbeziehen. In einem der ernsteren Stücke klingt es fast so, als würden wir die Anorexie feiern, was natürlich nicht der Fall ist. Aber ich mag, vielleicht geprägt durch meine Theaterarbeit, diese Doppelbödigkeit.“ Mit seiner prämierten Band „Hütte“ (Neuer Deutscher Jazzpreis 2013) und einem personalstarken Chor unter der Leitung von Tobias Christl wird Max Andrzejewski einerseits klassischer Gospelmusik gerecht und doch ist der stilbunte, charakterstarke wie eigenwillige Kompositionsstil präsent, den er auf seinen vorigen Alben bereits pflegte. Für seine neue Musik konnte er sogar eine echte Gospel-Mutti gewinnen: Dorrey Lin Lyles. Wie hat er ihr das Thema für sein aktuelles Werk eigentlich vermittelt? Da lacht Max Andrzejewski laut auf. „Eine berechtigte Frage. Ich dachte: Oh Gott, wie kommuniziere ich ihr nur, was ich inhaltlich vorhabe. Aber sie war total entspannt und fand das Thema sogar witzig. Dorrey fühlte sich keineswegs in ihren religiösen Gefühlen verletzt.“

Wenn Max Andrzejewski nicht gerade an Projekten für seine Band Hütte zimmert oder sich als gefragter Sideman (etwa für „Absolutely Sweet Marie“ oder Kalle Kalimas „Long Winding Road“) bemerkenswert effektiv über Trommeln und Becken hermacht, ist er vornehmlich mit Theaterarbeit beschäftigt.

Am 22. Juni hatte in den Münchner Kammerspielen ein Stück mit starkem NSU-Bezug Premiere, für das der Schlagzeuger die Musik komponierte: Olga Bachs „Das Erbe“ – in einer Inszenierung von Ersan Mondtag. Dieser Regisseur und Shooting Star des jungen deutschen Theaters hat Max Andrzejewski einst den Zugang in seine Welt ermöglicht. Die Zusammenarbeit begann vor gut zwei Jahren mit einem kuriosen Performance-Experiment in der Münchner Pinakothek der Moderne und setzte sich bald darauf im Stück „Tyrannis“ fort. Der Ur-aufführung am Staatstheater Kassel folgte eine Einladung zum Berliner Theatertreffen.

Max Andrzejewski kommt über Theatermusik auf Gedanken, die er in anderen Kontexten kaum entwickeln würde. Weil er Freiheiten genießt, denkt er über ihm bislang unvertraute Instrumentierungen oder Kompositionskonzepte nach. Mittlerweile ist seine klangliche Kreativität in der Theaterszene so gefragt, dass er Entscheidungen treffen musste. „Mehr als zwei Theaterproduktionen im Jahr möchte ich nicht machen, sonst würden Projekte wie meine Band ‚Hütte‘ hinten runter fallen.“

Nächste Tourtermine von Max Andrze­jewskis Hütte and The Homegrown Organic Gospel Choir:

  • 6. & 8.7. Bayerisches Jazzweekend, Regensburg
  • 16.9. Hannover
  • 9.11. Nürnberg
  • 30.11. Jena
  • 1.12. Bad Hersfeld
  • 2.12 Zoglau

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