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Titelseite der nmz 2020/11
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Wieviel Kampagne und wieviel Konzept?

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Zur Tagung „Mehr Musik in der Schule“ des Deutschen Musikrates · Von Barbara Stiller
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Hat Musikunterricht an Grundschulen ein Imageproblem? Wohl kaum. Wie es jedoch gelingen kann, Musikunterricht so kontinuierlich und qualitätvoll wie möglich anzubieten, kann empirisch durch spezifische Methoden festgestellt werden. Einer entsprechenden Datenerhebung, welche im März dieses Jahres veröffentlicht wurde, nahmen sich der Deutsche Musikrat, die Landesmusikräte und die Bertelsmann-Stiftung an. Ergebnis: In Deutschlands Grundschulen fehlen derzeit 23.000 ausgebildete Musiklehrerinnen und Musiklehrer.

 Ein Ergebnis der in der Studie „Musikunterricht in der Grundschule – Aktuelle Situation und Perspektive“ ermittelten Daten ist, dass bis zu 73 Prozent des Musikunterrichts fachfremd erteilt werden oder ganz ausfallen (siehe auch Seite 41). Die Lage ist also angespannt  – Musik in den Grundschulen ist nahezu überall Mangelfach. Dafür sind massive Strukturprobleme verantwortlich, die in ihrer vollen Komplexität analysiert und vielschichtig behoben werden müssen. Als Auftakt für einen solchen Diskurs nahmen im Oktober fast 100 musikpädagogisch engagierte Personen des deutschen Musiklebens an der vom Deutschen Musikrat initiierten Online-Tagung „#MehrMusikInDerSchule“ teil. Die Veranstaltung diente einerseits der Anbahnung einer umfassenden Imagekampagne, war aber gleichzeitig als kritischer Dialog zur Analyse wirkungsvoller Maßnahmen zur Verbesserung der Situation angelegt. Zunächst wurde die Studie, welche erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine valide Datenbasis zum Musikunterricht in den Grundschulen bietet, einhellig begrüßt. Anschließend fand eine Diskussion über die in der Studie identifizierten Probleme statt, bevor über optionale Verbesserungen in Form konkreter Maßnahmen für den Musikunterricht in der Grundschule nachgedacht wurde.

Eines der Ergebnisse ist die Erstellung eines so genannten „Bundesforderungspapiers“, das an mehreren „Brandherden“ ansetzt und zahlreiche Aspekte zur Verbesserung der Situation benennt. Individuelle Bedarfe sollen für die einzelnen Bundesländer später in „Landesforderungspapieren“ konkretisiert werden. Zu den Forderungen zählt unter anderem ein Sofortprogramm zur angemessenen personellen und finanziellen Förderung der Lehrkräftebildung im Fach Musik, das die künstlerischen und wissenschaftlichen Hochschulen in die Lage versetzt, dem Bedarf an Lehrpersonal gerecht zu werden. Eine Verbesserung der Zulassungsmöglichkeiten zum Studium gehört ebenso dazu wie das Schaffen eines erleichterten Zugangs zum Leistungskurs bzw. Abiturfach Musik, um das Interesse am Beruf zukünftiger Musiklehrerinnen und -lehrer frühzeitig zu wecken. Dass über eine Stärkung der grundständigen Ausbildung hinaus auch eine nachhaltige, qualitätsgesicherte Qualifizierung von Seiten- und Quereinsteiger*innen zur Überbrückung des ausfallenden Musikunterrichts zunehmend von Bedeutung sein wird, wurde ebenso erkannt wie eine Stärkung der Musikschulen als Kooperationspartner.

Der Forderungskatalog ist zweifelsohne aktuell, wirkt aber dennoch bedenklich zeitlos. So wie es zu einem Mangel von – laut Erhebung – 23.000 Musiklehrenden nicht von heute auf morgen kommt, so sind auch die Forderungen in ihren Grundzügen seit vielen Jahren bekannt und wurden in den Grundsatzpapieren des Deutschen Musikrates zur musikalischen Bildung seit Beginn des Jahrtausends vielfach in ähnlicher Form artikuliert – offenbar ohne den gewünschten Erfolg. Bleibt also nur die Möglichkeit, die jüngst erhobenen Zahlen stärker multiperspektivisch zu analysieren. Denn selbst wenn sich alle künstlerischen Hochschulen, Universitäten und pädagogischen Hochschulen in einer konzertierten Aktion für mehr und verbesserte Studienkapazitäten im Fach Musik engagieren würden, käme dabei im Optimalfall eine Steigerung der absoluten Studienplatzzahlen in einem dreistelligen Bereich heraus. Die Frage, ob sich dafür selbst dann genügend Studieninteressierte finden würden, wenn man die Eignungsprüfungen nahezu aussetzen würde, bleibt Spekulation. Dagegen spräche neben allen fachlichen Argumenten die Tatsache, dass es an einigen Universitäten, an denen die Anforderungen niedrigschwellig konzipiert sind, trotzdem an Studierenden für das Grundschullehramt im Fach Musik mangelt. Leider wurden zu den Gründen dafür bislang keinerlei empirische Untersuchungen publiziert.

Ebenso mangelt es bis heute an einer detaillierten Analyse der Fort- und Weiterbildungsoptionen für fachfremd oder fachnah Musik unterrichtende Lehrpersonen. Statt im Bundesforderungspapier einmal mehr nur darauf hinzuweisen, dass Quer- und Seiteneinsteigerinnen „keine strukturelle Lösung zur Behebung des Mangels an Fachlehrerinnen und Fachlehrern“ sein können (DMR-Newsletter vom 14.10.2020), müsste das in der Studie erhobene Ergebnis, dass diese Lehrpersonen bei entsprechender fachlicher Begleitung die Defizite temporär lindern können, wohl einmal genauer betrachtet werden. Andere Mangelfächer wie beispielsweise Mathematik in der Grundschule, haben auf diese Weise in einigen Bundesländern durchaus erfolgreich Programme entwickelt, die sich nie eins zu eins, strukturell aber durchaus nachahmenswert auf das Fach Musik übertragen ließen. Auch wenn das Bundesforderungspapier eine verbesserte finanzielle Ausstattung der Hochschulen für die Aus- und Fortbildung im Lehramt Musik vorsieht, bleibt unerwähnt, dass es für die akademische Weiterbildung an den Hochschulen derzeit noch massiv an den dafür erforderlichen Strukturen mangelt. Solange solche Angebote für die Teilnehmenden vollkostendeckend angeboten werden müssen und den Hochschullehrenden weder deputatsrelevant angerechnet werden können noch aus den Grundhaushalten der Hochschulen finanziert werden dürfen, werden sich die Fortbildungsmaßnahmen wohl weiterhin auf punktuelle, nicht kreditierbare Minimalangebote beschränken.

Die Zahlen lassen vermuten, dass viele der im Bundesforderungspapier gut und klar formulierten Absichten wohl noch länger ein paar wenige Tropfen auf den berühmt-berüchtigten heißen Steinen bleiben werden. Ein aktueller Hashtag müsste neben der Forderung nach mehr Musikunterricht wohl ebenso dringend für besseren Musikunterricht einstehen. Klarer Fall für eine Folgestudie.

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