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„Wir hatten großes Glück. Mit Allem.“

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Euphorische Töne nach der Rückkehr vom Deutsch-Japanischen Jugendaustausch
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Seit beinahe drei Jahrzehnten besteht zwischen „Jugend musiziert“ und der Irino-Foundation, Tokio, ein Jugendaustausch. Seinen Anfang nahm das Projekt 1990 über eine Anfrage der Stiftungsvorsitzenden, Reiko Takahashi Irino beim Landesausschuss „Jugend musiziert“ in Nordrhein-Westfalen. Die Witwe des japanischen Komponisten Yoshiro Irino hatte die Idee einer musikalischen Begegnung von japanischen und deutschen Jugendlichen. 1991 kam es zum ersten Besuch japanischer Jugendlicher in Deutschland. Bald zeigte sich, dass die für diesen Austausch ausgewählten Jugendlichen aus Japan und deutsche Bundespreisträgerinnen und -preisträger „Jugend musiziert“ auf vergleichbarem Niveau musizierten. So lag es nahe, dass nach den ersten Jahren der immer erlebnisreichen Begegnungen das Austauschprojekt in die Zuständigkeit des Bundeswettbewerbes gegeben wurde.

Der Austausch findet seither immer wechselseitig im jährlichen Turnus statt: in den ungeraden Jahren kommen sechs bis acht japanische Jugendliche in jeweils unterschiedliche Regionen Deutschlands; in den geraden Jahren fährt eine gleiche Anzahl deutscher Jugendlicher nach Japan, dort vorwiegend in die Region um Tokio. Hierbei spielen stets auch das Goethe-Institut in Tokio und die Deutsche Schule Yokohama eine Rolle im Austauschprogramm.

Sieben junge Musikerinnen und Musiker im Alter zwischen 15 und 21 Jahren aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg waren für die Japan-Reise 2018 ausgewählt worden. Mit der Entsendung verbunden war auch die Aufgabe, einen Bericht über die Reise zu verfassen. Mitte Januar erreichten die Bundesgeschäftsstelle drei anrührende Texte, die hier in Auszügen nachzulesen sind. Am 29. November startete die kleine Reisegruppe am Frankfurter Flughafen mit dem Ziel Tokio. Es reisten das Duo „Levar del arte“, bestehend aus den beiden Pianisten Edvard Salvesen aus Lübbecke, und Leander Brand aus Bad Oeynhausen, die Bratscherin Anna Boida aus Rottenburg in Baden-Württemberg, der Saxophonist Luca Winkmann aus Krefeld und das Blockflöten-Trio „Amiro“ mit Mia Leonie Hohmann aus Iserlohn, Ronja Vollmari aus Münster und Anna Maria Wempe aus Havixbeck. Begleitet und betreut wurden die Sieben von Matthias Pannes, Mitbegründer der Initiative auf deutscher Seite, Gudula Rosa, Lehrkraft für Blockflöte an der Westfälischen Schule für Musik in Münster und Felicitas Hoffmann, Vorsitzende des Regionalwettbewerbs „Jugend musiziert“ Ruhr-Nord.

In welch euphorische Stimmung die Jugendlichen die Einladung zu dieser Reise versetzte und wie sehr sie sich als Botschafter einer weltumspannenden Idee verstanden, formuliert die 18-jährige Ronja Vollmari: „Als ich die Einladung vom Deutschen Musikrat zum 29. Deutsch-Japanischen Jugendaustausch las, konnte ich gar nicht glauben, dass ich wirklich bald meinen ers­ten Schritt auf japanischem Boden machen sollte. Aber vor allem freute ich mich riesig, so noch einmal eine Chance zu bekommen, mit meinen zwei Blockflötentrio-Partnerinnen, mit denen ich einen Ersten Bundespreis gewonnen hatte, zusammen vorzuspielen. Der Jugendaustausch ist nämlich nicht nur ein Erfahrungsaustausch durch den Besuch von Sehenswürdigkeiten und das Kennenlernen von Menschen, sondern vor allem auch ein musikalischer Austausch, für den wir an unterschiedliche Schulen und andere Institutionen fahren sollten, um dort, öfter auch gemeinsam mit japanischen Musiker/-innen, vorzuspielen.“

Am Flughafen in Tokio wird die Gruppe von Reiko Irino herzlich empfangen und ins Hotel gebracht. „Da stand ich also am Fenster im vierten Stock des Hotels – und schaute staunend auf die Lichter der Hochhäuser Tokios im Dunkeln. Obwohl: Dunkel ist eigentlich zuviel gesagt, denn man sah die angestrahlten Wolken genauso gut wie am Tag. Die Lichter vor meinen Augen schienen von Fenstern in Bürogebäuden zu kommen und es waren so viele, dass sie wie kleine Pixel in einem Bild aussahen. Rechts von mir konnte ich eines der Wahrzeichen, den rot-weißen Tokyo Tower, ausmachen“, notiert Ronja Vollmari und Luca Winkmann, der 21-jährige Saxophonist, konstatiert: „Mein erster Eindruck von Japan war echt gut – alles war extrem sauber und strukturiert; das Wetter war weitaus besser als in Deutschland; die Menschen waren unfassbar freundlich und man wurde erschlagen von eindrucksvollen Aussichten auf die Skyline.“

Bewunderung für die Pianistin

Bereits am folgenden Tag steht in einem Seniorenwohnheim das erste von mehreren Konzerten an, eine Herausforderung vor allem für die beiden Solisten, denn ihr jeweiliges Programm erfordert eine Klavierbegleitung, deren Bekanntschaft sie erst in Japan machen. „Eine sehr spannende Sache, denn jetzt, noch im Haus von Reiko Irino lernen wir „unsere“ Pianistin kennen. Ein Volltreffer! Technische Perfektion, gepaart mit einem musikalischen Verständnis für das Gegenüber, dass einem flau im Magen wird – und das mit 19 Jahren!“, schreibt Anna Boida, die Bratscherin, und auch Luca Winkmann ist voll des Lobes: „Ich brauchte eine Klavierbegleitung für zwei meiner Stücke (Bozza und Meranger). Diese Rolle übernahm Chisato Tanigushi, eine japanische Pianistin, die schon seit weit über zehn Jahren Klavier spielte. Ich habe nur selten mit so einer begabten und aufmerksamen Pianistin gespielt und bin immer noch sehr dankbar dafür!“

Im Großen Saal des Goethe-Instituts Tokio findet dann das Hauptkonzert der Reise statt. Das Blockflöten-Trio stellt unter anderem „Articulator IV“ von Agnes Dorwarth vor. Luca Winkmann präsentiert sich mit dem Programm, für das er im Bundeswettbewerb 2018 mit einem Ersten Bundespreis ausgezeichnet worden war: Mit Werken von Eugene Bozza („Fantaisie Italienne“), Paul Meranger („Tourbillon“) und Barry Cockcroft („Beat Me“).

Ronja Vollmari schreibt: „Während wir ein bisschen Mühe hatten, zwischen den Stühlen unsere bewegungsreiche Inszenierung von Dorwarths „Articulator IV“ zu proben, hörten wir schon die ersten Töne unserer japanischen Mitspielerinnen, von denen manche mit elf Jahren schon komplizierteste Violinkonzerte vorspielten. Für sie war dieses Konzert der Moment, der entscheiden würde, wer von ihnen zum Gegenaustausch 2019 nach Deutschland fahren würde.“

Neue Töne

Viele unterschiedliche Eindrücke müssen auf dieser Reise verarbeitet werden. Das beginnt damit, dass sich auch die deutschen Musiker erst bei Antritt der Reise untereinander kennenlernen, was Anna Boida folgendermaßen beschreibt: „Wir sind sehr aufeinander konzentriert, denn hier hören wir die Stücke des Gegenübers zum ersten Mal. Schon das sind Erfahrungen, die man nicht immer macht, da man gern in seiner eigenen Instrumentenblase bleibt und nicht zu häufig zu den Nachbarn sieht.“ Aber gleichzeitig erlischt die Bereitschaft nie, sich auf das Gastland, die musikalischen Leistungen der japanischen Altersgenossen einzulassen. Im Rahmen des Konzerts erleben die jungen Deutschen nämlich zum ersten Mal live japanische Instrumente: „Das sind Welten, die es ganz neu zu erforschen gilt! Die Koto, ein 13- und  mehrsaitiges Instrument, wird mit einer Art Plektrum und Fingern gespielt. Nicht minder beeindruckend sind die traditionellen japanischen Trommeln, deren Spiel, gut einstudiert und in einer Gruppe vorgetragen, aussieht wie eine ästhetische Kampfsportart. Dazu japanische Bambusflöten, die einen so anderen Klang haben als die, die wir kennen. Und so vieles kennen wir noch nicht!“, stellt Anna Boida fest und Ronja Vollmari, die Flötistin, hat zusammen mit ihren Ensemblepartnerinnen ihre ganz eigene instrumentenkundlichen Erlebnisse: „Während über unsere Bass-, Großbass- und Subbassblockflöten, mit denen wir Sylvia Rosins Bearbeitung von einem Traditional („Gypsy“) spielten, schon getuschelt wurde, tauschten wir hinter der Bühne mit den Studierenden im College bewundernde Blicke aus – wir schauten uns ihre teilweise 21-seitigen Kotos, sie sich unsere großen Flöten an. Und so kam es, dass wir nach unserem Spiel dem Direktor des Colleges noch ein kleines Interview zu den Bässen gaben, bei dem das Publikum unsere Antworten mit überraschten Ausrufen quittierte.“

Überhaupt ringt das musikalische Können der Schüler an den allgemein bildenden Schulen Japans den deutschen Jugendlichen großen Respekt ab: Anna Boida schreibt:„Auch beim letzten Konzert in der Hoshino Highschool in Kawagoe sollten wir noch einmal die Musikwelt in Japan näher kennenlernen. Um in der Aula der Schule mit circa 1500 Plätzen zu spielen, reisten wir einen Tag vorher an und probten alle Details – auch das Geschenke-Überreichen auf der Bühne. Am nächsten Tag präsentierten uns diverse Ensembles der Schule in der ersten Hälfte des Konzertes ihr Können – vom Chor über die Marching Band bis zum Blasorchester, wobei ich mir staunend klar machte, dass diese tollen Performances tatsächlich allein im schulischen Alltag entstanden waren.“ Und Luca Winkmann bilanziert ganz ähnlich: „Ob Marching Band, Koto Ensemble, Percussion-Gruppen, Orchester oder Chöre; uns wurde sehr viel Abwechslungsreiches und Schönes geboten.“
Musik kennt keine Grenzen?

Erkenntnisse zur Völkerverständigung liefern auch die Präsentationen zeitgenössischer Musik. Ronja hat dazu ein kurioses Erlebnis, als sie die zweite Konzerthälfte im Toho Gakuen College of Music and Drama mit Moritz Eggerts Stück „Außer Atem“ einleitet: „Während ich versuchte, mich ganz auf meinen Atem zu konzentrieren, ich mich aber gleichzeitig fragte, ob das Mikrofon wohl mein Spiel richtig einfangen würde, begann man im Saal zu tuscheln. Kurz aus dem Konzept gebracht, fiel mir ein, dass ja gerade die erste „Doppelflöten“-Stelle an der Reihe war. Hierbei verlangte das Stück, dass ich auf zwei Blockflöten gleichzeitig spielte. Als ich später auf der Bühne auf die Frage, was das Wichtigste am Musik machen für mich sei, antwortete, dass ich fände, Musik verbinde Menschen auf der ganzen Welt, sah ich einige Schüler/-innen lächeln.“

Am 12. Dezember kehrte die Gruppe zurück nach Deutschland, angefüllt mit neuen Erlebnissen, im Gepäck Adressen neu gewonnener musikalischer Bekanntschaften und den Wunsch, den Ronja Vollmari, stellvertretend für alle Teilnehmer des Deutsch-Japanischen Jugendaustauschs formuliert: „dass alle weiteren Generationen des Austausches, die es hoffentlich noch geben wird, genauso viel Freude am Entdecken eines anderen Musikstils und kulturellen Lebens haben wie wir in diesem Jahr. Ich jedenfalls bin dem Musik­rat, unseren deutschen Betreuer/-innen und allen Beteiligten auf japanischer Seite, vor allem Frau Irino sehr dankbar für diese großartige Möglichkeit.“

Hinweis
„Yokoso Japan!“ lautet der Titel der Matinee am Sonntag, 9. Juni, 11 Uhr, im Goethetheater Bad Lauchstädt. Dort konzertieren im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“ 2019 dann die ausgewählten japanischen Musikerinnen und Musiker; neben Werken westlicher Komponisten werden auch Werke für japanische Instrumente und zeitgenössische und traditionelle japanische Musik im Programm vertreten sein.

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