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„Wo können wir üben?“

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Ukrainische Musikstudentinnen stranden unter anderem in Freiburg
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Der russische Angriffskrieg trifft auch die ukrainische Musikausbildung mit brutaler Wucht. Zu einer Anlaufstelle für geflüchtete Studentinnen aus Kijw, Odesa und von anderen Standorten hat sich unter anderem die Hochschule für Musik Freiburg entwickelt.

Mitte März meldete die Freiburger Musikhochschule, die schon seit Jahren eng mit der Musikakademie in Odessa zusammenarbeitet und mit der Musikakademie Kijw ein Erasmus-Projekt im Fach Komposition unterhält, die Ankunft einer ersten Gruppe von elf ukrainischen Musikstudentinnen. Auf ein Rundschreiben des Rektorats an Hochschulmitglieder und Alumni, wer die Geflüchteten aufnehmen und betreuen könne, seien so viele positive Rückmeldungen gekommen, dass weit mehr Studierende aufgenommen werden könnten, als die Hochschule bewältigen kann. „Und unsere Lehrenden reagierten mit überwältigender Unterstützung: Obwohl ihre Deputate voll sind, haben sie sich bereit erklärt, die ukrainischen Studentinnen in ihre Kurse aufzunehmen“, zitiert die Freiburger Musikhochschule ihren Rektor Ludwig Holtmeier.

Sie koordiniert nun die Unterbringung von weiteren ukrainischen Studierenden an Musikhochschulen in ganz Baden-Württemberg. Die Hochschulen in Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Trossingen hätten bereits Unterstützung zugesagt, berichtet Holtmeier, der zugleich Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Musikhochschulen ist.

Im Gespräch mit der nmz schildert der Freiburger Rektor die sich weiter zuspitzende Lage, nachdem die Musik­akademie Kijw die Hauptstadt zwischenzeitlich verlassen und ihren Sitz sowie das International Office nach Lwiw verlegt hatte: „Als dort die ersten Raketen einschlugen, haben sich etwa 50 Studentinnen auf den Weg gemacht. Die Warschauer Musikuniversität konnte niemanden mehr aufnehmen, sodass sie in Südostpolen über die Grenze gegangen sind. Weil die erste Gruppe bei ihrer Bahnreise schlechte Erfahrungen gemacht hatte, haben wir zwei Busse hingeschickt und sie dort abgeholt. Einige von ihnen sind von Freiburg aus zu unserer Partnerhochschule ins italienische Triest weitergereist.“

Was Holtmeier über die in Freiburg angekommenen Studentinnen erzählt, ist zweischneidig: Auf der einen Seite habe die erste Frage an der Hochschule gelautet: Wo können wir üben? – und ein paar Tage später seien die bei ihrer Ankunft völlig ausgelaugten jungen Frauen wie ausgewechselt und von anderen Studierenden nicht mehr zu unterscheiden gewesen. Auf der anderen Seite sei aber psychologische Betreuung notwendig, die in Freiburg am Institut für Musikermedizin auch möglich ist. „Am allerschwersten“, so Holtmeier, „haben es die Studentinnen, die Familienangehörige dabei haben und nun auch noch diese Verantwortung zu tragen haben.“ Auch aus diesem Grund sei man von der zunächst angedachten Aufteilung auf die baden-württembergischen Hochschulen rein nach Fachrichtungen abgekommen und habe auf Freundschaften Rücksicht genommen: „Die brauchen sich gegenseitig.“

Was den Status der Studentinnen betrifft, so ist es wichtig, dass sie trotz ihrer Immatrikulation als Geflüchtete gelten, wodurch ihre finanziellen Ansprüche in Bezug auf Unterkunft und Lebenshaltungskosten erhalten bleiben. Um einen rechtlich unproblematischen Status der Studentinnen, die auch an den anderen Hochschulstandorten in ganz Deutschland stranden, ging es auch bei einer Sitzung der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM). Dabei kam man überein, so Sarah Kepper, Leiterin der RKM-Geschäftsstelle, dass eine schnelle und unbürokratische Ersthilfe an allen Hochschulen möglich sei. Darüber hinaus hätten sich die Hochschulen darüber verständigt, im Falle von kapazitären Engpässen in einzelnen Fächern Anfragen an andere Hochschulen weiterzuleiten.

Wenn Ludwig Holtmeier über die Reaktionen der Studentinnen auf den russischen Angriff berichtet, so ist „Fassungslosigkeit“ das am häufigsten verwendete Wort. Wie tief diese sitzt, macht die Aussage einer von ihnen deutlich, deren Muttersprache Russisch ist: „Ich wünschte, diese Sprache wäre in unserem Land nie gesprochen worden.“

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