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Preisträger Philipp Rumsch. Foto: Susann Jehnichen
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Wut über die Ungerechtigkeit

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Die 42. Leipziger Jazztage und der Brexit
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Für die Brexit-Verhandlungen sollte eine schicksalhafte Herbstwoche beginnen. Kurz vor dem EU-Gipfel wurden am 14. Oktober in Brüssel wieder einmal die Türen zugeschlagen, ohne Einigung. Dass die Insel ohne Deal die Europäische Union verlassen könnte, verheißt dunkle Zeiten für viele Menschen südlich und nördlich des Ärmelkanals.

 Bereits vor einem Jahr veröffentlichte das in Berlin ansässige British Council ein Communiqué über die drohenden Folgen des Brexit für Kultur, Bildung und Wissenschaft. Institution und Initiativen seien gefährdet, wenn Aufenthaltsrecht und Reisefreiheit für Künstler nicht mehr gewährleistet sind. Gerade für Kreative ist die bürokratische Hürde zur Erlangung eines Arbeitsvisums lähmend. Veranstaltungen wie zum Beispiel die Leipziger Jazztage im Oktober 2018 wären so nicht mehr denkbar. Es war kein Zufall, dass sich die Festivalorganisatoren in ihrer 42. Ausgabe diesem Schwerpunkt widmeten: Unter dem Motto „Fish’n’Chips“ brachten die Leipziger Jazztage an zehn Tagen und zehn Spielorten weit über 100 britische und deutsche Musiker und Musikerinnen auf die Bühne.

Britischer Jazz, der in seiner Geschichte vom reichen Einfluss kolonial bedingter Musikrichtungen profitiert, arbeitet sich heute nach und nach aus dem Schattendasein der im Königreich dominanten Rock- und Popszene heraus. Jazz, Rock, elektronische und Neue Musik fließen zunehmend in einer minimalistisch geprägten zeitgenössischen Musik ineinander, die insbesondere in London eine lebendige subkulturell verankerte Szene bildet. Und genau das wollte das Festival an die Oberfläche holen. Einer, der sich seit 2017 für den Verbleib Großbritanniens in der EU engagiert, ist der britische Klangkünstler, Komponist und Bandleader Matthew Herbert. Lautstark tourte er mit seiner Kernband durch Europa und musizierte in Rom, Madrid und Berlin jeweils mit ortsansässigen Musikern.

Treibende Kraft für Matthew Herberts Brexit Big Band war seine „Wut über die Ungerechtigkeit“. In Leipzig nun holte Herbert Studenten, Dozenten und Ehemalige der hiesigen Musikhochschule sowie das Vocal Consort, ein junger Kammerchor, der sich der geistlichen Musik verschreibt, auf die Bühne. Ergebnis nach nur dreitägigen Proben war ein Feuerwerk an Musikalität. Mal musical-ähnlich, mal in guter alter Bigband-Manier, die sogleich von elektronischen Inventionen gestört wird, macht Herbert deutlich, dass britsche Musik ein Teil Europas bleibt. Der Leipziger Jazzclub arbeitet mit der Jazzabteilung der Musikhochschule eng zusammen. Das macht nicht zuletzt die alljährliche Verleihung des Jazznachwuchspreises der Marion-Ermer-Stiftung deutlich. Unter den neun Bewerbern kürte die Jury unter der Leitung von Bert Noglik in diesem Jahr den Bandleader Philipp Rumsch. Mit seiner zwölfköpfigen Band landet er im digitalen Zeitalter und stellt Synopsen her, die weit weg vom üblichen Bigband-Sound verortet sind. Dass er und seine Musikerkollegen künftig auch in Großbritannien ein Podium haben, wäre dem jungen Ensemle zu wünschen. Just im gleichen Moment, als in London fast 700.000 Menschen für den Verbleib Großbritanniens in der EU demonstrierten, endeten die Leipziger Jazztage am 20. Oktober.

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