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„Zukunft Pop“ für geistige Frühaufsteher

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Zu einer Musikkonferenz an der Popakademie Mannheim
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Wenn mittags um halb eins der Hausherr Professor Udo Dahmen die zahlreichen Gäste mit einem fast völlig ernst gemeinten „Guten Morgen!“ begrüßt, dann ist das keinesfalls Ausdruck einer verschlafenen Attitüde, sondern Beweis dafür, dass es bei der ersten staatlichen Institution, die sich der Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Popmusik in all ihren Facetten widmet, Schlag auf Schlag geht. Am Abend zuvor wurden in den selben Räumlichkeiten noch lang und intensiv die aktuellen Bachelor- und Masterabsolventen gefeiert.

Dahmens Keynote zum Start gibt einen Überblick über die Fragestellungen, mit denen sich die vier Panels in den folgenden Stunden beschäftigen werden: 70 Prozent der Menschheit werden 2025 in urbanen Räumen leben, Tendenz steigend. Die weltweit immer engmaschiger werdenden Kontakt- und Austauschmöglichkeiten sorgen für gegenseitige Inspiration, aber auch Angleichung der lokalen Musikszenen aneinander. Der Popakademie-Leiter konstatiert den unterschiedlichen Genres von Metal bis Techno, die alle als revolutionäre Jugendbewegungen begonnen hatten, ein Ankommen in der Mitte der Gesellschaft. Der Schock- und Abgrenzungswille zum Mainstream habe sich verflüchtigt. Deutliches Zeichen hierfür sei etwa, dass das „Wacken Open Air“ in der norddeutschen Provinz – eines der größten Metalfestivals weltweit – inzwischen eher ein friedliches Drei-Generationen-Festival sei. Nebenbei bemerkt ist auch die Gründung der Popakademie selbst ein starkes Indiz für die kulturelle Arriviertheit. Es soll also bei der Konferenz um nicht weniger als die inhaltliche (Neu-)bestimmung der eigenen Position und Ziele gehen.

Umrahmt wird der Impulsvortrag vom erfrischend „neu“ klingenden Eigengewächs „Versuch 23“. Die vier Musiker spielen Elektropop im besten Sinne, sind experimentierfreudig, aber trotzdem ergebnisorientiert. Das könnte der Tenor aller anstehenden Diskussionen sein: „neu“ bedeutet nicht mehr unbedingt, Grenzen zu sprengen, sondern diese zu verwischen und Bekanntes zu vermischen.

Im deutschsprachigen Panel „Popkultur & Lifestyle“ geht es um das Phänomen Hipster. Erstmals gibt es hiermit eine Bewegung, die keine konkret (gesellschaftskritische) Position bezieht, sich damit angreifbar macht, aber eben genau deswegen Identifikation nach innen stiftet. Stattdessen bleibt sie bewusst diffus und beweglich, ihre Mitglieder beharren auf der eigenen Individualität in der Uniformität. Thomas Hecken bringt es auf die Formel: „Jemand hat gesagt, ich sei ein Hipster“ statt „Ich bin ein Hipster“. Sonst ist das Panel mehrheitlich mit Mode- und Lifestyle-Expertinnen besetzt, die sich dem Thema eher praktisch nähern.

Das Panel zum „Festival-Mythos Wacken“ ist eher retrospektiv angelegt: Anekdoten werden erzählt, es wird nostalgisch. Metal ist definitiv im Mainstream angekommen: es gibt Kreuzfahrten, die Feuilletons berichten, Doktorarbeiten werden über das Thema geschrieben. Erst gegen Ende nimmt die Diskussion Fahrt auf, als es um Nachwuchsförderung geht (fehlt Masse oder Klasse?), um den anstehenden Kampf der Giganten zwischen den Rockfestivals „Rock am Ring“ und dem selbstbewussten Neuling „Grüne Hölle“ oder um das drohende Headliner-„Loch“, das nach dem Abgang der alten Garde um Metallica, AC/DC oder Iron Maiden befürchtet wird.

Da jeweils zwei Panels parallel laufen, bietet die abschließende gemeinsame Runde der Panel-Moderatoren die Chance, auch kurz in die anderen Themen einzusteigen: neben dem Lifestyle-Host Matthias Rauch (Leiter Clustermanagement Musikwirtschaft) und dem Metal-Moderator Manfred Gillig-Degrave (Chefredakteuer Musikwoche) ist das Heiko Hoffmann (Radio Fritz, Spex, Süddeutsche Zeitung), der eher von einer Bestandsaufnahme als von Visionen im Elektronika-Bereich berichtet, sowie die Feststellung mitbringt, dass der Begriff sehr schwierig zu diskutieren sei, da elektronische Elemente vom Metal bis zu Helene Fischer fast überall Anwendung finden. Dahmen selbst berichtet vom Ausbildungsangebot für Popmusik in Europa und begrüßt dessen Vielfältigkeit ohne zu werten: die Codarts University for the Arts Rotterdam etwa hat alle theoretischen Prüfungen abgeschafft und fokussiert sich mit Elektro, HipHop, Hardcore und Weltmusik auf die praktischen Aspekte. Ganz anders an der Westminster University London: dort steht der Business-Aspekt mehr im Vordergrund. Am Ende der Konferenz stehen also eher die richtigen Fragen als die richtigen Antworten zu einer herausfordernden Zukunft der Popmusik.

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