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Vokalwerke von Bach und Schütz für hörbeeinträchtigte Menschen: Sing & Sign. Foto: Katharina Gebauer

Vokalwerke von Bach und Schütz für hörbeeinträchtigte Menschen: Sing & Sign. Foto: Katharina Gebauer

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Ein Sommermärchen der Stimmen

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Eindrücke vom Deutschen Chorfest 2025 in Nürnberg
Vorspann / Teaser

Vier Tage lang wurde Nürnberg zum Klangzentrum der Nation. Vom 29. Mai bis zum 1. Juni 2025 verwandelte das Deutsche Chorfest die charmante fränkische Metropole in eine Bühne für Chormusik, Begegnung, Emotionen und musikalische Vielfalt. Veranstaltet und vorbildlich organisiert vom Deutschen Chorverband, war das Festival mehr als ein Ereignis für die zahlreich angereisten Chöre: Es war ein eindrucksvolles Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt und Teilhabe, zu gelebter Inklusion und zu einer offenen, diversitätssensiblen (Chor-)Gesellschaft.

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Schon der Auftakt setzte ein kraftvolles Zeichen. Am Donnerstag Nachmittag wurde das Chorfest unter strahlend blauem Himmel und bei heiterer Atmosphäre auf dem Nürnberger Hauptmarkt eröffnet. Umrahmt von den Chören des Fränkischen Sängerbundes sprachen Bundespräsident a. D. Christian Wulff, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Grußworte, die der Musik als gesellschaftsstiftender Kraft ihren gebührenden Platz einräumten.

Ein Chor – viele Stimmen

Mit 427 Chören, 14.000 Sängerinnen und Sängern und 628 Konzerten in nur vier Tagen war das Chorfest nicht nur ein logistisches Meisterstück, sondern auch ein eindrucksvoller Beleg für die vitale Chorszene Deutschlands. Ob klassische Konzertprogramme, zahlreiche Singalongs, Wettbewerbe, Gemeinschaftskonzerte oder Straßenmusik – das Spektrum von Chören und Musikstilistik war breit und die Atmosphäre durchweg inspirierend und verbindend – egal ob Spitzen- oder kleiner Laienchor.

Christian Wulff fasste es in seiner Ansprache treffend zusammen: „Das Deutsche Chorfest hat Brücken gebaut, in einer Zeit, in der Mauern entstehen.“ Gerade in der heutigen gesellschaftlichen Situation wirkt dieser Satz wie ein Leitmotiv des Festivals. Menschen aus verschiedensten Regionen, Altersgruppen und kulturellen Kontexten kamen hier zusammen – vereint durch die Liebe zum Chorsingen und mit der Kraft ihrer Stimmen.

Nürnberg in all seinen Klangfarben

Die gastgebende Stadt Nürnberg präsentierte sich dabei von ihrer besten Seite: Nicht nur die zentrale Bühne auf dem Hauptmarkt, sondern auch sämtliche Kirchen, Konzertsäle, Museen und sogar soziale Einrichtungen wurden zu Aufführungsorten mit dem Ziel so viele verschiedene Menschen wie möglich zu erreichen und ihnen den Genuss von Chormusik zu ermöglichen. Diese erklang in sämtlichen Stilen, Epochen und Genres. Besonders hervorzuheben sind auch die abwechslungsreichen Veranstaltungen des Chorfest-Plus-Programms, das in kuratierten Abendformaten (Künstlerisches Leitungsteam: Claudia Burghard, Dr. Gerald Fink und Bernhard Schmid) unter anderem auch experimentelle, interkulturelle und inklusive Programme enthielt, darunter Auftritte von inklusiven Vokalensembles.

Sing & Sign zum Beispiel singt unter der Leitung von Susanne Haupt vor allem Vokalwerke von Bach und Schütz auf eine für hörbeeinträchtigte Menschen angepasste Art. Hierbei wird mithilfe von Gebärdensprache und Deafperformance musiziert. Die chorische Diversität beinhaltete auch jene Chorgruppierungen, die sich etwa aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder mit einem klaren Bekenntnis zur geschlechtlichen Vielfalt definieren (kurz sogenannte queere Chöre wie etwa Die Trällerpfeifen & Friends, Ltg.: Hans-­Georg Leinberger). Die Interkulturalität verdeutlichte sich auch im Einbezug der beiden eingeladenen Gastchöre aus Namibia (Kings Choir, Ltg.: Theodore Cookson) sowie Israel (Moran Singers, Ltg.: Tom Karni).

Zusammenfassend beeindruckten die spürbare Mission, die klare politische Haltung sowie die dem Programm innewohnende Intention chorischen Singens. So gingen die Chöre in den Konzerten unter anderem der Frage nach, wie Menschen vielfältigen Hindernissen und Krisen begegnen und Gemeinschaft, Stärke und Glück erleben können, dabei waren inklusive, interreligiöse und pazifistische Themenschwerpunkte erkennbar.

Preise und Premieren

Musikalische Höhepunkte setzte auch der vielschichtige Wettbewerbsbereich des Chorfests. In 12 Kategorien traten 113 Ensembles an. Unter den Preisträgern fanden sich renommierte wie auch aufstrebende Chöre, darunter das fränkische Vokalensemble Sonoris (Ltg.: Andreas Fulda), das sowohl mit einem ersten Preis als auch dem Titel „Bester Chor unplugged“ ausgezeichnet wurde. Das Ensemble Fenice (Ltg.: Claudia Reinhard) erhielt für seine herausragenden Leistungen den Sonderpreis einer professionellen Musikproduktion mit Rondeau Production.

Ein besonders inklusives und kulturell sensibles Highlight stellte die Preisvergabe zum Projekt Deutsch-Jüdisches Liederbuch von 1912 dar. Die Ausschreibung zu diesem Arrangement-Wettbewerb, den der Deutsche Chorverband gemeinsam mit dem deutsch-israelischen Forschungs- und Bildungsprojekt „Projekt 2025 – Arche Musica“ und Schott Music im letzten Jahr ausgelobt hatte, war explizit an Komponist:innen israelischer oder deutscher Staatsbürgerschaft gerichtet. Sieben Komponist:innen wurden für ihre neuen Arrangements ausgezeichnet – darunter Henning Wölk (1. Preis), Jutta Michel-Becher (2. Preis & Publikumspreis) sowie Ohad Stolarz, Yannick Wittmann, Yonatan Harari und Yonatan Yochay (3. Preise). Jens Klimek wurde für das innovativste Arrangement geehrt.

Offenheit statt Ausschluss

Das Deutsche Chorfest 2025 überzeugte durch seine gezielte Offenheit für alle. Menschen mit Behinderungen waren nicht nur im Publikum mitbedacht, sondern auch als Akteur:innen auf der Bühne präsent. Gebärdensprache wurde ebenso selbstverständlich eingesetzt wie barrierefreie Zugänge zu den Spielstätten. Die Programm­auswahl spiegelte nicht nur musikalische, sondern auch gesellschaftliche Vielfalt wider – ein deutliches Zeichen für das Bestreben, Teilhabe nicht nur zu ermöglichen, sondern aktiv zu leben. Bei den vielen Reden wurde jedoch nicht bedacht, dass nicht deutschsprachige Menschen sich zumindest über eine englische Übersetzung gefreut hätten. Mit Hilfe von KI wäre das zumindest für die Menschen, die lesen und sehen können, eine Hilfe gewesen.

Besonders bewegend waren die Konzerte in sozialen Einrichtungen – etwa in Pflegeheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Hier wurde nicht für, sondern mit den Menschen musiziert. Singalongs verbanden Generationen, Sprachen und Erfahrungswelten.

Dass ein Event in dieser Größenordnung gelingen kann, ist nicht zuletzt den vielen engagierten Helfer:innen zu verdanken. 205 Freiwillige aus ganz Deutschland unterstützten das Festival organisatorisch, betreuten Gäste, halfen bei der Technik oder begleiteten inklusive Formate. Ihr Beitrag wurde im Abschlusskonzert zurecht besonders gewürdigt.

Ein Klang, der bleibt

Am 1. Juni endete das Chorfest 2025 mit einer feierlichen Abschlussveranstaltung erneut auf dem Hauptmarkt. Mit zehntausenden Besucher:innen wurde nicht nur zurückgeblickt, sondern auch voraus: Dortmund wurde als Gastgeberstadt des Deutschen Chorfestes 2029 bereits bekannt gegeben. Das Echo des Nürnberger Chorfestes aber wird weit über diesen Moment hinaus nachhallen. Nachmittags wurde die Hauptbühne noch vom Sängerkreis Nürnberg besungen, der seine eigene vielfältige Chorszene präsentierte und die Nürnberger zum Mitsingen einlud. Es sangen der studentische OHM Chor (Ltg. Moritz Metzner), der Conrad-Paumann Chor (Blinde, Sehbehinderte und sehende Sänger:innen, Ltg.: Gabriele Firsching), der 1. Seniorenchor Nürnberg (Ltg.: Hanspeter Ensinger), der Rock-, Metal- und Punk-Chor Stimmgewitter (Ltg.: Dave Mohr, Miro Eidt und Fabian Neuner), das Sonoris Vokalensemble (Ltg. Andreas Fulda), der Seemann-Chor Nürnberg (Ltg.: Alexander Darscht), der indiekneipenchor und die Trällerpfeifen, der schwule Männerchor Nürnbergs (Ltg.:Hans-Georg Leinberger).

Prof. Dr. Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg, betonte: „Die positive Ausstrahlung, der spürbare Enthusiasmus bei allen Beteiligten an allen Spielorten und die vielen, vielen bewegenden Konzerte und Begegnungen – all dies wird sicher noch sehr lange nachwirken.“

Mehr als die Summe seiner Stimmen

Das Deutsche Chorfest 2025 in Nürnberg war ein musikalisches Groß­ereignis – aber auch ein gesellschaftliches Statement. Es zeigte, dass Musik verbinden, heilen und empowern kann, dass Diversität und Qualität gemeinsam gedacht werden müssen und ein Chor nicht nur Stimmen, sondern Menschen zusammenführen kann. In Zeiten gesellschaftlicher Spannungen, Ausgrenzungstendenzen und sozialer Zersplitterung war dieses Chorfestival ein Beispiel gelebter Vielfalt und Gemeinschaft. Ein Fest der Stimmen – für Chormusik und eine offene und tolerante Gesellschaft.

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