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Uraufführungen im Geiste Heinrich Schütz‘: Das Sächsische Vocalensemble unter Matthias Jung in der Loschwitzer Kirche. Foto: Mathias Marx
Uraufführungen im Geiste Heinrich Schütz‘: Das Sächsische Vocalensemble unter Matthias Jung in der Loschwitzer Kirche. Foto: Mathias Marx
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Spagat in die chorische Gegenwart hinein: Das Heinrich Schütz Musikfest 2012 spannte den Bogen über die Epochen hinweg

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Heinrich Schütz im Spiegel der Gegenwart betrachtet – das gleichnamige Musikfest wagte diesen Herbst einen Spagat in die Moderne und bot ausgezeichnete Chorarbeit live sowie auf CD. Es wäre ein profundes Missverständnis, wollte man vom Heinrich Schütz Musikfest 2012 stur religiöse Erbauung mit musikalischem Beiwerk erwarten. Und es wäre ebenso falsch, wenn sich ein solches Festival, wie es zehn Tage lang im Oktober über den mitteldeutschen Schaffensraum des frühen Barockmeisters ausgetragen worden ist, nur auf dessen eigene Arbeiten bezöge.

Gewiss findet sich allein da Material mehr als genug, um eine auf Jahre angelegte Spurensuche zu betreiben, die um diverse Interpretationspraktiken rankt und so auch kräftige Reibungspotentiale bereithält. Produktiven Konfliktstoff jedoch schafft dieses existentiell schon mal infrage gestellte Fes­tival, das jetzt von „Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e.V.“ in sinnvoll vernetzten Kooperationen veranstaltet wird, gerade durch die inhaltliche Weitung von Heinrich Schütz bis in die Moderne. Damit, sowie mit den teilnehmenden Künstlern und Ensembles, ist das aus den mitteldeutschen Heinrich-Schütz-Tagen hervorgegangene Musikfest längst über jeden Verdacht erhaben, ein randständiges Ereignis mit Schmalspurcharakter zu sein. Unter dem diesjährigen Motto „Ein feste Burg“ ist zumindest eine überregionale, wenn nicht internationale Ausstrahlung erreicht worden.

Berechtigte Aufmerksamkeit wurde der Wiedereröffnung des einzig über die Zeitläufte erhalten gebliebenen Wohnhauses von Heinrich Schütz in Weißenfels zuteil, das sich künftig als lohnende Pilgerstätte erweisen dürfte. Sonderführungen, Ausstellungen und Exkursionen gab es an authentischen Orten von Köstritz, wo Schütz 1585 geboren wurde, bis nach Gera und Halle. Auf Schützens Spuren in Dresden konnte man mit sachkundiger Information an den einstigen Wirkungsstätten des frühen Hofkapellmeisters sowie in der Gemäldegalerie Alte Meister unterwegs sein. Vor allem ging es natürlich um klingende Beispiele seiner Musik, vom Eröffnungskonzert in der Frauenkirche bis hin zur CD-Präsentation.

Schließlich haben sich der Stuttgarter Carus-Verlag und Hans-Christoph Rademann das ehrgeizige Ziel einer Gesamteinspielung gestellt. Pünktlich zum Musikfest konnte CD Nummer fünf vorgestellt werden, darauf enthalten sind die „Cantiones Sacrae“ in einer durchaus beispielhaften Aufnahme. Zeitgleich erschien Band elf der kritischen Notenschrift mit den „Symphoniae Sacrae II“ als Fortsetzung der Schütz-Ausgabe, die den aktuellen Einspielungen als Grundlage dient. Darauf fußt auch Rademanns Credo „Historisch informiert – heute interpretiert“, aus dem sich ansprechend frische und qualitativ überzeugende Höreindrücke ableiten lassen. In der Tat wirken diese mitten im Dreißigjährigen Krieg entstandenen Motetten in einer besonderen Art der Zeitlosigkeit verhaftet. Sie bewahren den Charakter tief verinnerlich­ter Geistlichkeit, bestechen mit textverständlicher Sanglichkeit und machen doch aus dem technischen Anspruch keinerlei Hehl. Schütz hatte diese von gläubiger Inbrunst ebenso wie von musikalischem Wagnis gezeichneten 40 Motetten zu lateinischen Texten 1625 verfasst, in seinem 40. Lebensjahr. Dass sich daraus einige Deuterei zu bewusst vorgenommener Zahlenmys­tik anstrengen ließe, liegt durchaus auf der Hand. Den Hörer dieser Doppel-CD wird freilich mehr der Klangeindruck interessieren, und da lässt der Dresdner Kammerchor unter Leitung von Hans-Christoph Rademann keine Wünsche offen. Der heutige Leiter des RIAS-Kammerchores hatte dieses Vorzeigeensemble bereits 1985 gegründet, als er selbst noch Student an Dresdens Musikhochschule war. Inzwischen übernahm er die Singakademie Dresden, war bis 2004 Chordirektor des NDR, ist Intendant beim Musikfest Erzgebirge und wird ab Juni 2013 die Internationale Bach-Akademie Stutt­gart in der Nachfolge von Helmuth Rilling übernehmen. Mit seinem Schütz-Engagement setzt er sich und dem Meister Henricus Sagittarius sowie allen Ausführenden ein klangliches Denkmal. Insbesondere auf strukturelle Feinheiten wird sehr nuanciert Wert gelegt. Das Resultat strahlt eine dementsprechend hohe Faszination aus.

So ähnlich muss auch die Absicht von Abstechern in die musikalische Gegenwart gewesen sein, den das Heinrich Schütz Musikfest 2012 unternahm. Faszination wäre durchaus angebracht und wohl auch möglich gewesen in der Verschränkung von Schütz mit Moderne. Das Sächsische Vocalensemble widmete sich unter dem hingebungsvollen Dirigat von Matthias Jung sogar einem Uraufführungsprojekt. In der von George Bähr, dem Baumeister der berühmten und vor sieben Jahren wiedererrichteten Frauenkirche, ausgeführten Losch­witzer Kirche erklangen im Wechsel und in gegenseitiger Bezugnahme Stücke von Heinrich Schütz und von Reiko Füting. Letzterer, ein 1970 in der Nähe von Berlin geborener Komponist, widmet sich seit mehreren Jahren dem Schütz-Schaffen in eigenen Werken. Hier nun erklangen „als ein licht/extensio“ für gemischten Chor, Schlagzeugquartett und Orgel, ein Werk von 2011, neben dem erstmals zu hörenden „in allem frieden“, das als Auftrag des Musikfests entstand. Beide in einem vergleichbaren Schema – der Einstieg mit Schlagwerk, dann bedeutungsvolle Gesangsparts, die sich nicht in Rede und Widerrede, sondern in Wieder- und Wiederrede erschöpften. Die Substanz wirkte im Nach- und Nacheinander der einzelnen Stimmen relativ dürftig, das wenn auch nicht eins zu eins, sondern nur formal erfolgte Selbstzitat trug beschämende Züge – so ging dieses Konzert schlussendlich ganz klar an den Anreger Heinrich Schütz. Wer sich an dessen Schaffen messen will, muss die Latte halt hoch legen, sehr hoch. Dies birgt immer das Risiko, sie zu reißen – oder aber sie unberührt zu unterwandern.

Bernd Franke und Steffen Schleiermacher aus Leipzig hatten da deutlich mehr Fortune, denn sie führten Schütz’ gefühlsbetonte Klangkunst selbstbewusst in chorischer Gegenwart fort. „And why?“ fragt der eine, während der andere mit „convertere anima mea in requiem tuam“ zwar auch keine Antwort weiß, aber nach einer irgendwie vergleichbaren Formensprache sucht. Damit gelang ihnen immerhin ein konsequentes Weiterführen der Schütz’schen Bibelbearbeitungen in musikalischem Sinn. Und die beinhalteten durchaus eine Einsicht in praktisch nicht zu bewältigende Grätschen.

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