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Der Frauenchor LaCappella 2.0. Foto: Helge Krückeberg

Der Frauenchor LaCappella 2.0.

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Ungebrochene Lust am gemeinsamen Singen

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Vom 3. bis 11. Juni fand in Hannover der 11. Deutsche Chorwettbewerb statt
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Den ersten Deutschen Chorwettbewerb gab es 1982 in Köln und er wird seitdem in der Regel alle vier Jahre immer an einem anderen Ort ausgetragen, etwa in Stuttgart, Regensburg, Kiel, Dortmund und Freiburg. Hannover war als einzige Stadt nun zum zweiten Mal Gastgeber dieses spektakulären Wettbewerbs, bei dem, so der Anspruch, die besten Amateurchöre Deutschlands vertreten sind, schließlich müssen sich die Ensembles erst einmal in den jeweiligen Landeswettbewerben als Preisträger behaupten, um zum Deutschen Chorwettbewerb weitergeleitet zu werden.

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Eigentlich wollte man bereits im vergangenen Jahr das 40-jährige Bestehen des Deutschen Chorwettbewerbs feiern, doch wurde die Veranstaltung durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-Pandemie, die auch noch 2022 galten, um ein Jahr verschoben. So hatten die Chöre, die erst langsam wieder zu regelmäßigen Proben übergehen konnten, die Zeit, sich auf ihr jeweils anspruchsvolles Wettbewerbsprogramm gut vorzubereiten.

Kammerchöre und Pop-Jazz-Chöre sind am beliebtesten

Der Wettbewerb bietet ein enormes musikalisches Spektrum, insgesamt 14 verschiedene Kategorien sind hier bis hin zum solistisch besetzten Vokalensemble vertreten. Damit steht man allerdings vor der unlösbaren Herausforderung, sich zu entscheiden,  in welche der Wettbewerbskonzerte man geht, denn viele finden gleichzeitig statt und so muss man auf manche verzichten oder sich mit Einblicken begnügen. Die traditionellen gemischten Chöre mit ihrem klassisch-romantischen Repertoire traten in zwei Kategorien an: sowohl als Kammerchöre als auch in großen Formationen ab 32 Mitwirkenden. Schon immer waren die Kammerchöre zahlenmäßig am besten vertreten, in diesem Jahr allerdings stand diese Kategorie mit jeweils 16 Ensembles gleichauf mit den immer beliebter werdenden A-cappella-Chören im Bereich der „Populären Chormusik“.

Gerade in der letzteren Kategorie kann man sich über den ausgesprochen hohen und von Wettbewerb zu Wettbewerb steigenden Qualitätsstandard nur wundern und freuen. Im Jazz und Popchorbereich hat sich in den vergangenen Jahren in einer lebendigen Szene viel getan. Komplementär zu den gemischten Chören, die in ihrem Repertoire verschiedene Epochen von der Renaissance bis in die Moderne abdecken müssen, wird hier erwartet, dass sich die Chöre stilsicher im Jazzbereich bewegen, den Swing beherrschen und mit guten Poparrangements aufwarten.

So präsentierte sich der Psycho-Chor der Uni Jena, der den 2. Preis erhielt, mit seinen immerhin gut 60 Sängerinnen und Sängern in perfekter Abstimmung. Originell und rhythmisch komplex war das Arrangement des Songs „Animal“ der norwegischen Singer-Songwriterin Aurora, nicht weniger vertrackt, aber den Swing-Ton genau treffend, bot der Chor den bekannten Ellington-Song „It don’t mean a thing“. Und schließlich gab es im Programm überraschenderweise noch zwei Volkslied-Arrangements, wobei „Es waren zwei Königskinder“ zu einem kleinen und originellen musikalischen Drama geriet, an dessen Ende die sterbenden Königskinder betrauert wurden. „Wenn ich ein Vöglein wär“ hingegen bekam man als lyrisches Stück mit schönen musikalischen Steigerungen zu hören.

Den ersten Preis konnte allerdings die 2015 gegründete Formation „OstBahnGroove“ aus München einheimsen, die ihrem Namen als wirklich groovendes Ensemble alle Ehre machte und sich auch besonders damit hervortut, mit großer Neugierde und Experimentierfreude immer wieder neue Sounds und Klänge zu entdecken – oft handelt es sich dabei um originelle eigene Arrangements. Und auch „Cantaloop“ erzeugte mit gut 45 Sängerinnen und Sängern einen unglaublich homogenen Gesamtklang. Die überwiegend eigenen Arrangements aus der Feder des Chorleiters Christoph Gerl überraschten mit tollen dynamischen Klang-Differenzierungen. Gerls Chor, der mit einem 3. Preis nach Hause ging, verwandelte zudem das Volkslied „Es waren zwei Königskinder“ in eine eher humoristische Nummer, in der auch schräge Klangflächen vorkamen.

Übrigens hatten alle Chöre in der Kategorie Populäre Chormusik die Aufgabe, genau dieses Volkslied in einer Bearbeitung zu präsentieren. Die Kreativität, mit der die Chöre diese Aufgabe bewältigten, hat nochmal besonders deutlich gemacht, wie innovativ und wandlungsfähig die Chöre in diesem Bereich agieren. Längst sind die Zeiten vorbei, als man die bes­ten Arrangements in den USA und in Skandinavien fand. Die meisten Chöre bewegen sich authentisch und stilsicher zwischen Jazz, Pop und Swing und überzeugen mit einer erstaunlichen Vielfalt an musikalischen Eigenkreationen, wie zum Beispiel auch bei „Greg is back“, wo der Chorleiter Martin Seiler absolut treffsicher die Arrangements selbst schreibt. Das Ensemble kam mit gleicher Punktzahl neben den beim Deutschen Chorwettbewerb bereits gut bekannten „Bonner Jazzchor“ auf den vierten Platz.

Gemischte Kammerchöre verjüngen sich

Bei den traditionellen Kammerchö­ren war es erfreulich, sehr viele junge Ensembles zu hören, von denen viele erst in den vergangenen Jahren gegründet wurden und offenbar die Coronazeit gut überstanden. Und sicherlich noch ein Stück mehr als bei den Popchören gilt es hier der stilistischen Vielfalt unterschiedlichster Epochen gerecht zu werden. Als ausgesprochen herausfordernd stellte sich da das Pflichtstück „Nunc dimittis“ des englischen Renaissancekomponisten Thomas Tallis heraus. Hier würde man einen eher gebündelten Klang ohne Vibrato erwarten, bei dem die großen polyphonen Bögen in rhythmischer Präzision mit viel Atem zu Geltung kommen. Einige Chöre, denen dies ganz gut gelang, waren dann wieder in der häufig sehr virtuosen zeitgenössischen Literatur nicht so gut.

Mittlerweile ist es beim Deutschen Chorwettbewerb schon fast Tradition, in der Kategorie der gemischten Chöre auch einen Volksliedsatz zu interpretieren, denn gerade hier lässt sich die musikalische Qualität und sorgfältige Erarbeitung eines Stücks gut aufzeigen: Textverständlichkeit, Erzeugung eines sonoren und homogenen Klangs oder die musikalische Differenzierung der einzelnen Strophen sind die Kriterien. Die Chöre hatten ansonsten die freie Auswahl und entschieden sich beispielsweise für einen bewährten Satz von Friedrich Silcher („Loreley, Morgen muss ich fort“), sangen „Dat du min Leevsten büst“, den „König in Thule“ und „Ich hab die Nacht geträumet“ oder präsentierten „Wach auf, meins Herzens Schöne“. Dieses Lied gelang dem „Jungen Kammerchor Braunschweig“ in Vollendung: Man vernahm eine perfekte Artikulation, die einzelnen Strophen wechselten ihre musikalische Anmutung, sodass man lieblich, lyrisch oder traurig schwelgen konnte und das alles wurde in schönster Agogik und feinster Dynamik vorgetragen. Und auch die anderen Stücke gelangen vorzüglich. So öffnete sich bei Tallis ein großer Klang­raum, wobei die kanonischen Einsätze in feinen Abstufungen regelrecht swingten. Mendelssohns „Frohlocket, ihr Völker“ ging in einem duftigen und leichten Klang auf und mit kraftvollem Ausdruck wurden die diffizilen Harmonien im Wechsel aus Homo- und Polyphonie von Philippe Hersants zeitgenössischem Stück „Der Soldat“ bewältigt. Schließlich gelang mit rasanten Lagenwechseln und toller Dynamik „Enigma III“ von Beat Furrer. Zu Recht durfte dieser Chor dann mit dem 1. Preis nach Hause fah­ren.

Feststellen konnte man in dieser Kategorie auch, wie viel dann doch vom jeweiligen Chorleiter, der jeweiligen Chorleiterin abhängt. Steffen Kruse vom Jungen Kammerchor Braunschweig beatmet und dynamisiert sein Ensemble mit erstaunlicher Präsenz in jeder musikalischen Sekunde. Und auch Tobias Löbner, der mit seinen „Hallenser Madrigalisten“ den zweiten Preis erhielt, ist ein wahrer Zauberer. Tänzerisch und mit feinen Akzenten purzeln die Koloraturen in Luca Marenzios „Leggiadre Ninfe“, ganz ähnlich gestaltet sind die raschen und lebendigen Einsätze des „Canticum novum“ des 1963 geborenen Ivo Antognini, und Albert Beckers „Bleibe, Abend will es werden“ ergießt sich in einem fein differenziertem Klangschmelz. Bei all dem hat man jederzeit den Eindruck, dass sich der Chor während des Konzerts regelrecht frei singt und dabei eine große Leidenschaft aufbringt, die sich unmittelbar überträgt.

Die Herausforderung in einem solchen Wettbewerb besteht also auch darin, in zwanzig Minuten verschiedene Epochen und musikalische Stile im schnellen Wechsel überzeugend und intonationssicher zu interpretieren. In der Regel gelang all dies bei den teilnehmenden Chören gut. Völlig überzeugend sind aber vor allem die Chöre, denen es gelingt, in der Wettbewerbssituation die innere Anspannung abzulegen und das anspruchsvolle Programm auch noch so zu präsentieren, dass der berühmte Funke auch beim Publikum überspringt.

Erfreulich ist, dass viele junge Kammerchöre wie etwa auch der „Junge Kammerchor Köln“ oder der „Neue Kammerchor Berlin“ zeigen, dass das Interesse am anspruchsvollen Singen auch bei der nachwachsenden Generation ungebremst ist. Und auch in der Kategorie der großen gemischten Chöre waren es die jungen Sängerinnen und Sänger vom „Chor des Jungen Ensembles Berlin“, die die Jury am meisten überzeugten. Alle genannten Herausforderungen wurden von den gut 50 feinen Stimmen des Ensembles glänzend gemeistert. Lebendig und leidenschaftlich präsentierte der Chor sein Programm und entwickelte dabei in wechselnden Aufstellungen sogar eine originelle eigene Dramaturgie mit kleinen inszenatorischen Elementen und einer gelungenen nahtlosen Abfolge der sechs äußerst heterogenen Stücke.

Frauen, Männer und der Nachwuchs

Und wie steht es um die ganz Jungen? Allein vier Kategorien gab es im Nachwuchsbereich: Kinderchöre bis 13 bzw. 16 Jahren, gemischte Jugendchöre sowie Mädchenchöre. In der teilnahmestärksten Kategorie der Kinderchöre bis 13 Jahren fällt auf, dass die Jungs absolut unterrepräsentiert sind, nicht selten kann man auch hier von Mädchenchören sprechen, das ist bedauerlich und es wäre zu überlegen, wie man mehr Jungs für das Singen begeistern kann. Einen klanglichen Unterschied macht es zudem, ob die Kinder aus Chören kommen, die zugleich eine eigene und professionelle Gesangsschulung anbieten oder ob es sich um einen respektablen aber einfachen Schulchor handelt, der im Durchschnitt nur an zwei Wochenstunden probt.

Und doch gelingt auch manchen Schulen Erstaunliches, wie etwa dem „Karlsruher Kammerchor des Helmholtz-Gymnasiums“, der den ersten Preis in der Kategorie Jugendchöre ergatterte, oder dem „Kinderchor der Klasse 6/7 der Rudolf-Hildebrand-Schule“, der mit einem 3. Preis ausgezeichnet wurde. Die Kinder- und Jugendchöre erwiesen sich in Punkto Repertoirezusammenstellung häufig  als sehr einfallsreich, wobei gerade Volkslieder aus außereuropäischen Ländern, in denen es klanglich viel Neues zu entdecken gab, hoch im Kurs standen.

Vielleicht eine Folge der großen Repräsentanz von Mädchen in den Kinder- und Jugendchören ist die Tatsache, dass nun auch die Frauenchöre sehr gut aufgestellt sind. Mit einem sehr innovativen Programm präsentierte sich der erstplatzierte Frauenchor „Carré Chanté, Frauenchor der Mannheimer Liedertafel“, der gleich drei anspruchsvolle zeitgenössische Stücke ins Wettbewerbsprogramm brachte und es zudem mit dem Stück „Fire“, das wie ein ritueller Hexentanz daherkommt, auch in die „Sonderwertung Zeitgenössische Chormusik“ schaffte. Diese gewann allerdings der Wolfratshauser Kinderchor mit seiner Interpretation des Stücks „Snowforms“ von Murray Schafer, einem magischem Klangstück mit vielen vokalen Glissandi. Toll ist es übrigens auch, einen längst etablierten, aber sich immer wieder erneuernden „Münchner Frauenchor“ zu erleben. Die gestandenen Frauen agieren mit souveräner Bühnenpräsenz klangvoll und authentisch und zeigen immer wieder vokale Raffinessen. Und schließlich: Man konnte die erfreuliche Feststellung machen, dass von den zirka 90 Wettbewerbschören gut 40 unter weiblichem Dirigat stehen. Im Bereich der Chorleitung haben die Frauen beim Deutschen Chorwettbewerb also die Geschlechterparität schon bald erreicht.

In der Kategorie Männerchöre wiederum waren diesmal die großen Männerchöre gar nicht mehr vertreten und im Kammerchorbereich kamen nur fünf Ensembles. Diese glänzten allerdings allesamt auf höchstem Niveau. Drei der Chöre wurden zudem erst in den letzten Jahren gegründet, haben also schon innerhalb kürzester Zeit ihr hohes Niveau erreicht.

Die Gewinner der Kategorie, „ffortissibros“, wagten sich zum Beispiel auch an Arnold Schönbergs „Verbundenheit“ mit seinen ausufernden Li­nien in intrikaten Harmonien, deckten aber genauso souverän andere Epochen und Stile ab. Und auch die Männerstimmen des Knabenchores Hannover zeigten, wie unglaublich kultiviert und schön Männerstimmen in geschmeidigen Klangfarben klingen können. Sie bekamen den 2. Preis, dicht gefolgt vom jungen „Ensemble Sonamento“ aus Limburg, das auf annähernd gleicher Höhe agierte und den 3. Preis holte.

Doch die Preise und Auszeichnungen sind beim Deutschen Chorwettbewerb eigentlich gar nicht das Wichtigste, denn die eigentliche Idee vor über 40 Jahren bestand darin, der Chorszene hierzulande neue Impulse zu verleihen – und genau dies hat sich mit jedem Wettbewerb immer wieder aufs Neue bewahrheitet. Die vielen Chöre, die hier teilnehmen, bereiten sich minutiös darauf vor, ganz oben an der Spitze mithalten zu können und verbessern dadurch maßgeblich ihr Qualitätsniveau.

Gleichzeitig lernen die Chöre von einander, wenn es um Interpreta­tion, Repertoire und Präsentation geht. All dies strahlt dann wiederum auf die gesamte Chorszene in Deutschland ab. Was man hier sehen und hören konnte zeigt: Im Chorbereich ist unser Musikleben unglaublich vielfältig und lebendig, es entsteht viel Neues und die Lust gemeinsam auf ganz hohem Niveau zu singen, ist ungebrochen.

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