Nicht nur am Publikumsandrang war zu erkennen, dass sich die vierte ERPS Biennale in Bremen zu einem kleinen, aber feinen Festival ausgeweitet hatte, das eine Unmenge von historischen wie zeitgenössischen Aspekten zur Blockflöte bot. ERPS, das meint: European Recorder Players Society; die vorhergehenden Treffen hatten im Zweijahresabstand in Essen, in Wien und in Amsterdam stattgefunden. Dies zeigt, dass die Blockflöte ihren einstmals schlechten Ruf des gruselig intonierten Kinderinstrumentes, den Theodor W. Adorno 1956 mit seinem „läppischen Klang“ so nachhaltig fundiert hatte, längst überwunden hat.
Dass die Blockflöte aus dem öffentlichen Musikleben seit dem 18. Jahrhundert verschwand und ein „zweites“, gerade zu unaufhörlich sprudelndes Leben seit dem 20. Jahrhundert führt, macht das Instrument und seine Familie vom Sopranino bis zum Subbass einzigartig, und das prägt auch noch immer die Festivals und sonstigen Treffen der Blockflötisten/-innen.
Die Blockflötistinnen Dörte Nienstedt und Annette John, beide Lehrbeauftragte an der Hochschule für Künste und in Sachen Alter und Neuer Musik, waren die kenntnisreichen Organisatorinnen des Festivals in mehreren Räumen der mitveranstaltenden Hochschule für Musik. Spieler, Ensembles und Studenten spielten vom Mittelalter bis zur aktuellen Improvisation und es fanden spannende Begegnungen in Konzerten und Vorträgen statt. Ulrike Volkhardt von der Folkwang Hochschule Essen präsentierte ihre Forschungen über die Handschriftenbestände des Verbandes von sechs norddeutschen Nonnenklöstern, ein Beispiel mehr, wie Wissenschaft und Kunst in den Frauenklöstern blühte: Man kann heute sogar annehmen, dass die berühmte Ebstorfer Weltkarte aus dem Mittelalter, die Mitte des 19. Jahrhunderts im Benediktinerinnenkloster Ebstorf gefunden wurde, von einer Frau stammt – so Volkhardt. Sie fand komplette Liturgien, und in den wunderschönen Incipts der Handschriften ist zu erkennen, welche Instrumente da mitspielten: natürlich auch die Blockflöte. Bot dieser Vortrag ein neues Repertoire des Mittelalters, so beleuchtete ein weiterer von Adrian Brown Entwicklung und Spielweise der Blockflöte im 17. Jahrhundert.
Wohltuend war bei der großen Anzahl der Konzerte deren konzentrierte Kürze von einer knappen Stunde. Die Gruppe „Blockbusters“ aus Freiburg und Studentinnen erfreuten mit zwei Venedig-Programmen, wobei es schade war, dass nicht für alle Konzerte informative Programmkommentare geschrieben werden konnten. Dafür ellenlange Biografien, die letztendlich nichts weiter sagen und bei Studenten regelrecht absurd wirken. Bei einem solchen Kongress muss das umgekehrt sein. Einen starken Eindruck hinterließen auch „In Giardinetto del Paradiso“ aus Wuppertal und „Come parlato“ aus Düsseldorf. Unangefochtener Star des Festivals war der 1980 geborene Niederländer Stefan Bosgraaf mit seiner atemberaubenden Performance des Dowland’schen „Come again“ in den Variationen von Jacob van Eyck aus „Der Fluyten Lust-Hof“. Bosgraaf ist viel mehr als nur ein Virtuose: Jeder noch so schnell gespielte Ton hat bei ihm eine Aura, einen eigenen strukturellen Stellenwert und einen eigenen Charakter.
„Encounters“ – Begegnungen hatten die Organisatorinnen das Treffen genannt und es mit einer gut besuchten Ausstellung von Instrumentenbauern und Verlagen erweitert. Hier hatte zum Beispiel auch Ursula Schmidt-Laukamp die Gelegenheit, das Konzept ihres BLM-Workbooks vorzustellen: Gut gemachte Literatursammlungen für den Unterricht, die auch über das Umfeld eines Komponisten informieren, und wichtige, gut lesbare Hintergrundinformationen über eine Epoche geben, Faksimiles mitdrucken und vor allem bezahlbar sein.
Das, was Ganassi schon Mitte des 16. Jahrhunderts über den Charakter der Blockflöte schrieb: „Somit könnt Ihr sicher sein, dass die Flöte die Aufgabe hat, die menschliche Stimme mit all ihren Fähigkeiten nachzuahmen, denn sie vermag es“, gilt ganz besonders für zeitgenössische Werke. Was Komponisten heute aus dem Instrument „herausholen“, scheint grenzenlos. Hier ist Susanna Borsch zu nennen, die mit Werken von Termos und ter Veldhuis ein aufregendes elektronisches Feld aufmachte, hier ist Tobias Reisig mit seinen Solo-Improvisationen aus Jazz, Rock und Pop zu nennen und ganz besonders das exzentrische Quintett „Spark“, das ähnlich „Kristjan Järvis Absolute“ mit zwei Blockflöten, einer Violine, einem Cello und Klavier mit ungebärdiger Lust die Post abgehen lässt. Weitere Aspekte waren zu hören in einem ironischen Stück von Dörte Nienstedt auf dem Großbass, aber auch Ulrike Volkardt mit einem meditativen Stück des japanischen Komponisten Ryheio Hirose, in dem er die traditionelle Sakuhachi-Flöte für die Tenorflöte nachbildet. Heiß her ging es auch in der mitternächtlichen Spielsession aller, die dazu Lust und Kraft hatten. Ein Programm, bei dem kein Interesse außen vor blieb, das aber auch so dicht gestrickt war, dass alle sich austauschen konnten. Nicht zuletzt entwickelten sich angesichts derart konträrer Programme produktive Kontroversen, was für Dörte Nienstedt einer der wichtigsten Aspekte war: „Der Sinn eines solchen Treffens ist doch, über den Tellerrand hinauszusehen …“