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„Die Coole Meute“. Foto: Hochschule für Musik und Theater Rostock

„Die Coole Meute“. Foto: Hochschule für Musik und Theater Rostock

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Esprit und ansteckende Authentizität

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Die Musikhochschule Rostock verfügt über eine hochschuleigene Inklusionsband
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Der Name „Die Coole Meute“ steht für hundertprozentige Lebensfreude. Und unbändige Lust am Musizieren. „Unsere Konzerte rühren die Leute zu Tränen“, sagt Bernd Fröde von der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Nach seinen eigenen Kenntnissen ist sie die bundesweit einzige, die über eine hochschuleigene integrative Band verfügt. 2017 wurde sie gegründet. Bernd Fröde leitete sie fünf Jahre lang.

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Es ist gar nicht so leicht, mit Menschen, die eine Behinderung haben, in einem Ensemble gut umzugehen. Das benötigt viel Konzentration, viel Einfühlungsvermögen und natürlich auch ein zumindest basales Wissen über Handicaps. Die Teilnehmer an den Lehrveranstaltungen rund um die „Coole Meute“ bringen zum Teil sehr viel Vorwissen mit. Dies liegt daran, dass die Rostocker Musikhochschule über einen sonderpädagogischen Zweig verfügt. Allerdings nehmen nicht nur Musikstudenten mit sonderpädagogischer Ausrichtung an den Seminaren teil, sondern Lehramtsstudierende aller Schularten.

„Auch unsere Band ist sehr heterogen“, sagt Bernd Fröde. Eine junge Frau zum Beispiel leidet an Echolalie. Hat sie einen Kurzsatz im Kopf, wiederholt sie ihn in Endlosschleife. Es gibt Personen mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung in der Band, mit körperlichem Handicap und Autismus-Spektrum-Störung. Manch einer reagiert impulsiv auf kleinste Reize aller Art. Andere sind eher phlegmatischer Natur. Einige bringen musikalische Vorerfahrungen mit: „So haben wir einen jungen Mann am Klavier, der zwar kaum Noten lesen kann, der aber komplett alles nach dem Gehör spielt.“ Andere traten musikalisch völlig unbeleckt der Band bei.

Acht Menschen mit Handicap im Alter zwischen 15 und 33 Jahren sind aktuell Mitglied der „Coolen Meute“. Damit die Band funktioniert, lernen die Studenten, genügt es nicht, für gute Proben zu sorgen und in diesem Kontext natürlich auch dafür, dass technisch vom Mikrofon über Lautsprecher bis hin zu den verschiedenen Kabeln alles zur Verfügung steht. Wer inklusive Bands leitet, muss, anders als in Ensembles mit nichtbehinderten Musikern oder Sängern, unbedingt auch mit den Familien kooperieren.

Ein junger Mann mit geistiger Behinderung kann schließlich nicht einfach ins Auto steigen und zur Probe fahren. „Die Bandmitglieder werden gebracht und sie müssen wieder abgeholt werden“, erläutert Bernd Fröde. Zur Bandarbeit gehört deshalb zum Beispiel ein Mittagessen mit den Familien der Bandmitglieder im Vorfeld des großen öffentlichen Sommerkonzerts.

Neugier und Vorbehalte

Noch ist nicht allzu viel über die vor acht Jahren von der Musikpädagogin Isolde Malmberg gegründete Band nach außen gedrungen. Seit der Gründung, so Bernd Fröde, war es, nicht zuletzt bedingt durch die Coronakrise, eine Herausforderung gewesen, die „Coole Meute“ überhaupt am Leben zu erhalten. Erst 2022 konnte zum Beispiel wieder konzertiert werden. Das inklusive Ensemble über Wasser zu halten, war in den vergangenen fünf Jahren ein großes Anliegen von ihm: „Die Band ist für mich das Juwel unserer Hochschule.“

Direkt nach der Bandgründung war die Neugier bei den Studenten groß. Allerdings sind immer wieder auch Berührungsängste festzustellen. Im Durchschnitt nehmen sieben junge Leute im Modul „Instrumentalensemble“ am Projektseminar rund um die „Coole Meute“ teil. So viele sind auch mindestens nötig, da im Tandem geprobt wird: Möglichst jeder Musiker mit Handicap soll einen Studenten als Assistenten zur Seite haben.

Jedem Studenten, der sich für Bernd Frödes Seminar einschreibt, muss klar sein: Das zeitliche Engagement geht weit über das für eine Hausarbeit hinaus. „Für zwei Semester gibt es vier Leistungspunkte, was den Aufwand nicht abbildet“, sagt der Musikprofessor. Wer sich dennoch auf das Projekt einlässt, wird reichlich belohnt. Allein, die Dankbarkeit der Bandmitglieder zu erleben, sei ungemein berührend.

Essenzielle Fragen

Inklusion ist in den vergangenen Jahren ein gesellschaftliches Topthema geworden. Es berührt essenzielle Fragen, letztlich auch solche nach Herrschaftsverhältnissen. Sollen nur die mitmachen dürfen, die kerngesund, klug und rhetorisch geschickt sind? Die Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen verneint dies. Alle sollen von Anfang an dazugehören, und zwar gleichberechtigt und selbstbestimmt. Vieles, was in früheren Zeiten in Bezug auf Menschen mit Handicap als vollkommen irreal galt, wird heute eingefordert und realisiert. So können auch Menschen mit schwerem Handicap selbstverständlich alleine wohnen – natürlich mit Assistenz. Und sie können, wie die „Coole Meute“ zeigt, mit Assistenz musizieren.

Im Seminar wird zwischen theoretischen Einheiten und praktischen Proben gewechselt. In den theoretischen Parts lernen die Studenten nicht nur den Umgang mit Menschen mit Handicap. Wichtig ist die Auswahl geeigneter Songs. Drei bis fünf moderne Lieder, die etwas mit der Lebenswirklichkeit der Bandmitglieder zu tun haben, stehen jeweils auf der Probeliste. Ein typisches Beispiel ist laut Bernd Fröde der von der „Coolen Meute“ präsentierte Song „Kling Klang“ der Band „Keimzeit“. „Dieser Song aus den Neunzigerjahren ist bei uns im deutschen Osten Kult“, erklärt der Musikdidaktiker.

Fantasie, Lebenslust, Liebe

In dem Song ist alles enthalten, was die „Coole Meute“ musikalisch auf Trab bringt: „Fantasie, Lebenslust und ein bisschen Liebe.“ Im Seminar abseits der Proben werden Songs wie „Kling Klang“ sorgfältig arrangiert und zunächst einmal nur unter den Studenten durchgespielt. Danach wird die eineinhalbstündige Probe geplant: „Sie muss einen klaren Ablauf haben.“ Inzwischen haben sich aus den vergangenen Semestern heraus spezielle Rituale rund um die Proben entwickelt: „Wir beginnen mit einem Begrüßungslied und beenden die Probe mit einem Abschiedssong.“

Inklusive Bands an sich sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Es gibt inzwischen sogar einige wenige professionelle Inklusionsbands, die es weit nach oben geschafft haben. Bernd Fröde verweist auf „Seeside“, eine 2007 gegründete Band der Werkstätten des Pommerschen Diakonievereins. „Mosaik“, „KONtegra“ und „Kaktus“ heißen weitere Ensembles. Wobei es nach wie vor viele weiße Flecken in der Landschaft gibt. Hier könnten Musik- und Förderschulen, von den Rostocker Erfahrungen profitierend, weitere Inklusionsbands gründen, um das Recht behinderter Menschen auf musikalische Teilhabe zu forcieren.

Die große Herausforderung bei der Arbeit mit der „Coolen Meute“ besteht darin, in einer extrem dicht gedrängten Zeit etwas Vorzeigbares auf die Beine zu stellen. Nachdem die theoretischen und praktischen Anteile im Projektseminar alternieren, ist unterm Strich gerade mal für sechs eineinhalbstündige Proben während des Semesters Zeit. In der vorlesungsfreien Zeit ruht die Band.

Unakademisch begeisternd

Und dennoch hat es bisher jede studentische Gruppe geschafft, am Ende des Semesters ein Konzert auf die Beine zu stellen. Im Wintersemester werden die Konzerte stets hochschulintern veranstaltet. Im Sommersemester ist zum Konzert eingeladen, wer kommen mag: „Dann platzt unser Foyer aus allen Nähten.“ Mund-zu-Mund-Propaganda sorgt dafür. Musikbegeisterte Leute aus Rostock wissen inzwischen: Tritt die „Coole Meute“ auf, hat akademische Kühle keinen Platz mehr. Die Band übt eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. Sie steht für Esprit und ansteckende Authentizität.

Angesichts der aktuellen Sparzwänge in der Politik drohen Menschen mit Handicap mal wieder, ins Hintertreffen zu geraten. Wohlfahrtsverbände protestierten in den vergangenen Monaten dagegen, dass ausgerechnet die Behindertenhilfe kürzer treten soll. Vor diesem Hintergrund sind Projekte wie das der Musikhochschule Rostock so wichtig. Bernd Fröde hat ab diesem Wintersemester zwar andere Aufgaben übernommen. Doch dafür gesorgt, dass es mit der Band weitergeht: Sören Maydowski wird die Leitung zusammen mit dem Studenten Gerrit Guhl übernehmen.

Wahrscheinlich wird in Kürze auch die erste Examensarbeit im Kontext der Band in Angriff genommen. Bernd Fröde selbst würde sich wünschen, dass die Erkenntnisse, die seit 2017 über das Arbeiten mit einer inklusiven Band gewonnen wurden, öffentlich präsentiert werden. Etwa bei einer musikwissenschaftlichen oder sonderpädagogischen Fachtagung.

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