Musik ist für Kinder und Jugendliche unentbehrlich, wenn es darum geht, den Alltag zu bewältigen und die oft turbulenten Gefühlswelten in den Griff zu bekommen. Gestern wurde eine Hörmedienstudie der Universität Leipzig veröffentlicht, die belegt dass das Radio nicht das Lieblingsmedium der Kinder und Jugendlichen ist.
Im Auftrag der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) untersuchte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Bernd Schorb (Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung, Universität Leipzig) die emotionale Bedeutung verschiedener Musikmedien für Heranwachsende im Alter von zehn bis 17 Jahren. Eine besondere Berücksichtigung erfuhr hierbei der Hörfunk.
Ausgewählte Ergebnisse
Emotionale Turbulenzen
Die Schwellenphase zwischen Kindheit und Jugend birgt große emotionale Herausforderungen. Mädchen wie Jungen sind gleichermaßen gefordert, innerfamiliäre Beziehungen zu gestalten, sich in der Gleichaltrigengruppe zu behaupten und hier anerkannt zu sein. Sie sehen sich konfrontiert mit der eigenen Unsicherheit, empfinden Sehnsucht nach und Angst vor dem Unbekannten zugleich oder fürchten die mitunter strenge Sanktionierung der Gruppe oder der Eltern. Darüber hinaus erwachen Wünsche und Sehnsüchte nach Beziehung und Zuneigung, die von einem Großteil der Heranwachsenden noch nicht ausgelebt werden (können). Ob in Familie, Clique, Peergroup oder Schule – das emotionale Erleben der Heranwachsenden ist turbulent und oft von Ambivalenzen geprägt. Melancholie und Sehnsucht, Stress, Angst, Wut, aber auch Glück und Langeweile sind Gefühle, die nicht selten in schnellem Takt wechseln.
Gefühlsmanagement mit Musik
In der Bewältigung ihres Alltags greifen Heranwachsende ganz selbstverständlich auf Musikmedien zurück. Sie nutzen diese, um sich zu aktivieren und aufzumuntern, um räumliche und zeitliche Bezüge zu überbrücken oder auszugestalten, um sich zu entspannen oder um Trost zu finden. Musik verleiht ihrem emotionalen Befinden wie auch ihren Lebens- und Gefühlshaltungen Ausdruck und sie dient ihnen, um Sehnsucht und Schwärmen auszuleben. Darüber hinaus hat Musik eine atmosphärestiftende Bedeutung. Denn sie vermag es, alltägliche Handlungen ebenso wie soziale Situationen stimmungsvoll zu grundieren.
Emotionale Bedeutung des Hörfunks
Das Musikmedium Radio hat aus Sicht der Kinder und Jugendlichen Stärken und Schwächen. Im Vergleich der emotionalen Potenziale verschiedener Musikmedien wird deutlich, dass das Radiohören insbesondere in eher unspezifischen, an die Routinen des Alltags und wiederkehrende Befindlichkeiten seine Stärken konturiert. Wichtig ist es etwa, um sich am Morgen für den Schultag zu aktivieren und gut gelaunt in den Tag zu kommen. Eine besondere Leistung liegt zudem in der positiven Grundierung familiären Alltags, sei es am Küchentisch oder auf gemeinsamen Fahrten im PKW. Die emotionale Bedeutung des Hörfunks speist sich hierbei nicht aus der Musik allein. Konstitutiv für die Hörfunkunterhaltung ist die spezifische Mischung aus Wort- und Musikbestandteilen. Weniger relevant ist das Radio, wenn Heranwachsende spezifische Problem- und Gefühlslagen wie Traurigkeit oder Wut bearbeiten möchten. Hier greifen sie gezielt auf ihre Lieblingsmusik zurück, die sie mobil via MP3-Player und Mobiltelefon und zu Hause mit dem Computer oder dem CD-Player hören bzw. im Internet abrufen.
Musikmedium Radio – (k)ein Jugendmedium
Das Radio ist nicht das Lieblingsmedium der Kinder und Jugendlichen, hat aber für die große Mehrheit auch weiterhin eine wichtige alltagsbegleitende und –strukturierende Bedeutung. Sechs Hörertypen verdeutlichen die unterschiedlichen Bindungen an das Medium: „Die Mit- und Familienhörer/innen“ – „Die offenen Alltagshörer/innen“ – „Die Hörfunkbegeisterten“ – „Die distinktiven Individualisten“ – „Die Bildungs- und Kulturorientierten“ – „Die Nichthörer/innen“. Besonders beliebt ist der Hörfunk bei Heranwachsenden, die noch keine ausgeprägten individuellen Musikvorlieben haben. Ihnen dient das Medium als Orientierung im popmusikalischen Raum. Sie identifizieren sich sowohl mit dem musikalischen Programm als auch mit den Moderator/innen ihrer Lieblingssender. Vor allem älteren Jungen ist die Musik im Radio hingegen eine willkommene Projektionsfläche. Sie spiegelt den musikalischen Mainstream, den sie zunehmend ablehnen.
Hintergrund und Untersuchungsdesign
Die Untersuchung „Musik und Gefühl“ ist die dritte Hörmedienstudie in Folge, die von Mitarbeiter/innen der Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung realisiert wurde. In den vorangegangenen Untersuchungen lag der Schwerpunkt auf der Aneignung auditiv vermittelter Gewalt und Humor im Hörfunk. Die aktuelle Studie setzte sich hierauf aufbauend mit der Musik im Radio auseinander. Die spezifische (emotionale) Bedeutung von Radiomusik für Kinder und Jugendliche konturiert sich jedoch erst im Vergleich mit der Aneignung anderer Musikmedien. Aus diesem Grund wurde das gesamte musikmediale Spektrum in den Blick genommen. Die Ergebnisse der Studie basieren auf einem mehrstufigen Untersuchungsdesign, das unterschiedliche Methoden kombinierte. Im Zentrum der Analyse stand eine Tagebucherhebung mit 59 Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 17 Jahren. Die Heranwachsenden dokumentierten eine Woche lang ihre gesamte Musikmediennutzung wie auch ihr emotionales Befinden. Gerahmt wurde dieser Erhebungsschritt durch teilstandardisierte Kontaktinterviews im Vorfeld und fokussierte Intensivinterviews im Anschluss an die Tagebuchwoche. Zeitgleich wurde eine umfassende Programmbeobachtung der sechs von den Mädchen und Jungen in den Kontaktinterviews meist genannten Hörfunkprogramme durchgeführt.
Veröffentlichung
Die Ergebnisse der Studie werden als Band 17 der Schriftenreihe der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) im VISTAS-Verlag veröffentlicht.