„Chronik einer angekündigten Spaltung“ – Gut zwei Jahre ist diese nmz-Überschrift alt und wenn man den Musikhochschulrektorinnen und -rektoren Baden-Württembergs aktuell so zuhört, reibt man sich verwundert die Augen. Sind die von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer seinerzeit mit rigorosen Sparplänen aufgerissenen Gräben zwischen den Standorten nunmehr zugeschüttet? Hat der, nicht zuletzt durch massive Proteste und ein ministerpräsidentielles Machtwort herbeigeführte Diskussionsprozess, an dessen Ende nun eine für die kommenden fünf Jahre gesicherte Finanzierung nebst fünf „Landeszentren“ steht (siehe nmz 11/2015, S. 27), alle Wunden geheilt?
Die Erleichterung, die Trossingens Rektorin Elisabeth Gutjahr gegenüber der nmz zu Protokoll gibt, ist mit Händen zu greifen, schließlich hatte ihrem Haus den ursprünglichen Ministeriumsplänen zufolge die Auflösung und Umwandlung in eine Akademie gedroht: „Wir freuen uns sehr, dass das Ganze diese Wendung genommen hat. Wir haben den Eindruck, dass ein Prozess der Befriedung in Gang gekommen ist, dass wieder ein konstruktives Miteinander zwischen den Hochschulen in Baden-Württemberg, auch im Sinne eines gesunden Wettbewerbs, aber auch im Sinne fachlicher Diskurse und institutioneller Weiterentwicklung möglich ist. Es ist sehr beglückend, dass letztlich keine größeren Verluste oder Einschnitte vorgenommen wurden.“ Ähnliches ist aus Stuttgart, Freiburg und Mannheim zu hören, wobei Mannheims Hochschulpräsident Rudolf Meister die „starke Verankerung der Musikhochschulen in der Bevölkerung“ hervorhebt, die im Laufe des Diskussionsprozesses der vergangenen zwei Jahre „auf’s Deutlichste sichtbar geworden“ sei. Auch Regula Rapp, die Stuttgarter Rektorin, verweist auf einen positiven Nebenaspekt der Debatte: „Wir sind mit unseren Themen auf eine Art in die Öffentlichkeit gekommen, die wir ohne diese Zukunftskonferenzen nie erreicht hätten.“
Die Bedeutung der Symposien, die im Lauf des vergangenen Jahres im Rahmen einer „Zukunftskonferenz“ stattgefunden hatten, sind wohl nicht allein an den in einer Online-Dokumentation des Ministeriums nachzulesenden Ergebnissen zu bemessen. Hartmut Höll, Rektor in Karlsruhe, hat die Themenforen als „manchmal ein wenig mühsam“ in Erinnerung. Es sei aber „in den Köpfen hier bei uns im Haus doch einiges an Nachdenken freigesetzt“ worden, resümiert er und verweist auf die für die Reakkreditierung überarbeiteten Curricula, die unter vielem anderen Aspekte der Freiberuflichkeit berücksichtigen und die Kammermusik deutlich aufwerten. Was den Diskussionsprozess als Ganzen und den damit verbundenen Aufwand betrifft, so fällt seine Bilanz nüchterner aus: „Man ist heftig losgesprungen und bei überschaubaren Ergebnissen gelandet.“
Die fünf Landeszentren
Ganz konkret enttäuscht ist Konstantin Dupelius, Studierendenvertreter aus Freiburg, über die Vergabe der Landeszentren: „Es war ganz offensichtlich, welches Landeszentrum wohin kommt. Ich hatte mir erhofft, der innovative Geist würde sich da stärker niederschlagen.“ Im Blick hat er dabei das zweite Landeszentrum, für das sich Freiburg vergeblich beworben hatte. Hier sollte die in seinen Augen „vollkommen veraltete Klavierausbildung“ reformiert und „auf ein gegenwarts- und zukunftsgerichtetes Berufs- und Musikerbild hin“ ausgerichtet werden. „Druck von oben wäre gut gewesen“, meint Dupelius, hofft aber darauf, dass diese Reform auch ohne Landeszentrum angegangen wird. Freiburgs Rektor Rüdiger Nolte bestätigt diese Absicht: Man wolle den im Fach Gitarre bereits begonnenen Weg nun auch im Klavierbereich umsetzen.
Den Zuschlag bekommen hat Freiburg für das „Lehr- und Forschungszentrum Musik“, ein kooperatives Institut der Musikhochschule mit der Albert-Ludwigs-Universität und künftig auch mit der Pädagogischen Hochschule Freiburg. „Uns geht es um eine grundsätzliche Hinterfragung des Musikwissenschaftsbegriffs“, so Rüdiger Nolte, „indem wir möglichst eng und komplex pädagogische, (musik-)theoretische und medizinische Aspekte mit hineindenken – eine strikt praxisbezogene, angewandte Reflexion über Musik.“
Elisabeth Gutjahr sieht in den meisten der bewilligten Landeszentren ein Zeichen für eine Entwicklung in Richtung Interdisziplinarität und Öffnung für angrenzende Disziplinen oder auch andere Institutionen, Aspekte, die im Kontext der Musikhochschulen bisher nie im Vordergrund gestanden hätten. Das künftige Trossinger Zentrum „Musik–Design–Performance“, das auf einer bereits bestehenden Kooperation mit der Hochschule Furtwangen aufbaut, beschreibt sie als „dreischenkliges Dreieck“: „Wir wollen erstens die künstlerisch-ästhetische Perspektive der Musik selbst hinterfragen, zweitens geht es um Konzepte und Gestaltungsideen von Musik, Musik letztlich auch in ihrem ‚Design‘, als Alltagsmoment bis hin zum Luxusgut, zum Museumsgebilde oder gefeierten Event; der dritte Aspekt Performance fragt danach, wie sich Musik realisiert: als Konzert, als digitale Zusammenstellung, als gemischtes Gebilde … Hier werden wir forschen, ausbilden und pädagogische Konzepte entwickeln, die darauf reagieren, wie sich der Musikbegriff gerade auch für junge Menschen verändert und stetig erweitert.“ (siehe auch Seite 7)
In Stuttgart soll der „Campus Gegenwart“ die entsprechenden Studiengänge und Fächer in der Hochschule näher zusammenbringen, andererseits aber mit der Akademie der Bildenden Künste und der Hochschule der Medien in Fragen der Gegenwartsästhetik- und performance zusammenarbeiten (siehe auch Seite 17). „Wir wollen den Studierenden beibringen, schon im Kern multimedial und interdisziplinär zu denken und zu arbeiten“, erläutert Regula Rapp das Konzept: „Nicht additiv, sondern im Sinne einer Entgrenzung der Künste, um auf eine vielschichtige Gegenwart reagieren zu können. So sollen interdisziplinäre Schranken fallen, das aber vor dem Hintergrund von Einzeldisziplinen auf hohem Niveau, nicht einfach nur querbeet.“
Klar umrissen sind die beiden weiteren Landeszentren: In Mannheim werden die Studienangebote im Fach Dirigieren (Orchester, Blasorchester, Oper, Chor, Neue Musik, Jazz) zusammengefasst (siehe Seite 15), in Karlsruhe schließen sich die Institute für Musikjournalismus und Musikinformatik zusammen. Details der Personalausstattung gibt es bisher aus keinem der Standorte, weil noch keine Bescheide vorliegen. Klar ist nur, dass das Ministerium die von den Hochschulen in einen imaginären Pool abgegebenen jeweils zwei W3-Professuren um fünf gleichwertige Professuren und fünf Mittelbaustellen aufstockt, wobei diese zusätzlichen Stellen aber nur bis 2020 finanziert werden.
Die Knackpunkte
Regula Rapp und Rüdiger Nolte bedauern, dass sich auch hier die politische Tendenz zu befristeter, projektorientierter Finanzierung fortsetze. Rudolf Meister weist darüber hinaus auf eine grundsätzliche Besonderheit hin: „Dass der größte Teil der zusätzlichen Mittel im Moment noch nicht in die Haushalte der Hochschulen eingestellt, sondern vielmehr zentral vom Wissenschaftsministerium verwaltet wird, haben wir mit Blick auf die besondere politische Situation akzeptiert. Allerdings muss dies zum Ende der Laufzeit des Hochschulfinanzierungsvertrags verändert werden. Andernfalls entstünde die Gefahr, dass bei den Gesprächen über die Hochschulfinanzierung ab 2021 diese zentral verwalteten Mittel wie befristete Sondermittel behandelt und zur Disposition gestellt würden. Dann wäre die versprochene Gleichbehandlung mit den anderen Hochschularten in einigen Jahren nicht mehr erfüllt …“
„Unsere Freude hält sich in Grenzen“, gibt auch Hartmut Höll in Sachen Landeszentrum zu Protokoll, da aus dem Pool zurückkommende Professuren thematisch verändert seien, andere befristet sein werden, wobei künftige Umwidmungen kaum zu leisten seien. „Ein ganz bitterer Vorgang“, so Höll, der angesichts des im Vergleich zu den anderen baden-württembergischen Musikhochschulen an letzter Stelle stehenden Betreuungsschlüssels an seinem Haus außerdem schon einmal klarstellt: „Wir haben nichts abzuschmelzen, haben keine alten Zöpfe abzuschneiden. Wir mussten aktuell schon eine Gesangsprofessur zugunsten des Musikjournalismus umwidmen.“ Damit spielt er darauf an, dass die Hochschulen sich angesichts der für die Fortführung der Landeszentren nach Ablauf der Anschubfinanzierung notwendigen Umwidmungen untereinander – so der Wille des Ministeriums – in Sachen Profilbildung und Vermeidung unnötiger Mehrfachangebote absprechen müssten. Hier wird die ansonsten von allen Seiten betonte wiedergewonnene Kollegialität in der Landesrektorenkonferenz wohl ein erstes Mal wieder auf die Probe gestellt werden.
„Bitter“: Dieses Wort fällt außerdem häufig im Zusammenhang mit den Studienplatzzahlen. Deren Deckelung auf das 1998 beziehungsweise 2004 beschlossene Niveau hat das Ministerium zur Bedingung für die im Finanzierungsvertrag zugesagte jährliche Steigerung der Mittel um drei Prozent gemacht. Während Stuttgart mit 792 und Karlsruhe mit 640 schon jetzt bei der vorgesehenen Zahl sind, bedeutet dies für die anderen Standorte deutliche, bis 2018 umzusetzende Reduzierungen: von 520 auf 483 in Freiburg, von 660 auf 583 in Mannheim, von 502 auf 442 in Trossingen. In Mannheim werden, so Hochschulpräsident Rudolf Meister, die Bereiche Klavier, Gesang und Bläser besonders betroffen sein, in Trossingen die Alte Musik.
Letzteres hat damit zu tun, dass in diesem Fachbereich in Trossingen viele Lehraufträge erteilt werden, womit ein weiterer Punkt der ministeriellen Neuordnung angesprochen ist: Die Musikhochschulen müssen die Hälfte der für die kommenden Jahre vorgesehenen, schrittweisen Erhöhung der Haushaltsansätze für Lehraufträge um 20 Prozent selbst erbringen. Welche Auswirkungen das an den Häusern hat, beginnt sich erst abzuzeichnen.
Situation der Lehrbeauftragten
In Trossingen werden die Honorare im unteren Bereich ab dem Sommersemester 2016 von 28 auf 31 Euro angehoben, dann stufenweise auf 35 und 40 Euro. Zur Gegenfinanzierung wurde eine W3-Professur auf W2 herabgestuft, zwei Mittelbaudeputate erhöhen sich um je zwei Stunden. Von 24 auf 25 erhöht sich die Stundenzahl für Dozierende im Mittelbau in Stuttgart, in Karlsruhe werden künftig halbe Mittelbaustellen zu jeweils 14 Stunden ausgeschrieben. Zwei davon gibt es bereits, die nach einem offenen Auswahlverfahren an frühere Lehrbeauftragte vergeben wurden. Dies bedeute, so Hartmut Höll, nicht nur eine Erhöhung des Vergütungssatzes, sondern vor allem abgesicherte Arbeitsverhältnisse. In Mannheim erhalten laut Angaben des Präsidiums seit 1. Oktober die meisten Lehrbeauftragten 40 Euro je Unterrichtsstunde zuzüglich Fahrtkostenersatz, Arbeitgeberbeitrag zur KSK und Prüfungsvergütung. Für die größte Gruppe der Lehrbeauftragten sei eine Anhebung von 32 auf 40 Euro erreicht worden.
Für Ulrike Höfer, Sprecherin der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (bklm), ist diese Entwicklung zwiespältig, auch wenn ein Anfang gemacht sei. Mit den teilweise nur die niedrigeren Sätze betreffenden Erhöhungen sei es bis zu dem von der bklm angepeilten Mindest-Stundensatz von 60 Euro noch ein weiter Weg. „Wichtig ist es, die Anbindung der Honorare an die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst zu erreichen.“ Eine „Dynamisierung der Honorare“, die Rüdiger Nolte für die ohne Stundenerhöhungen im Mittelbau planende Freiburger Hochschule in Aussicht stelle, kann Höfer nicht erkennen. Beim Karlsruher Weg ist sie skeptisch: „Die 14 Stunden reichen für den Lebensunterhalt nicht aus, entsprechend dazuzuverdienen ist bei einer solchen Bindung an eine Hochschule nicht einfach.“ Ansonsten hält sich die bklm bei der Bewertung noch zurück: „Es ist ein schwebender Prozess, der zudem sehr intransparent ist“, sagt Höfer, „wir hören aber von Stunden- und Lehrauftragsverlusten im Gegenzug zu den Honorarerhöhungen.“ Sie versteht auch nicht, warum künftig ausschließlich Hauptfächer nicht mehr im Lehrauftrag unterrichtet werden sollen – eine Regelung, für die es aber, beispielsweise in Trossingen, Ausnahmen gibt.
Schwebender Prozess: Das ist vielleicht auch das Stichwort für die Lage der baden-württembergischen Musikhochschulen insgesamt. Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, wie sich die ministeriellen Entscheidungen auf deren Arbeit auswirken werden (siehe auch den Kommentar auf Seite 1 der Dezember/Januar-Ausgabe der nmz).