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Verbindung von Theorie und Praxis

Untertitel
100 Jahre Staatliches Institut für Musikforschung
Publikationsdatum
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Es geschah am 21. Juni 1917 in der kleinen Residenzstadt Bückeburg, welche Musikfreunde sonst vor allem als Wirkungsstätte Johann Christoph Bachs kennen. Mitten im Weltkrieg stiftete Fürst Adolf II. von Schaumburg-Lippe an diesem Tag hier das Fürstliche Ins-titut für musikwissenschaftliche Forschung.

Er folgte damit einer Anregung seines jungen Kapellmeisters Carl August Rau, dem er die Leitung des Instituts übergab. Obwohl der ehrgeizige Fürst schon 1918 abdanken musste, gedieh das Musikinstitut und stieß auf starke Resonanz. Renommierte Musikforscher wie Adolf Sandberger, Hermann Kretzschmar, Hermann Abert, Max Seiffert, Wilhelm Altmann, Theodor Kroyer, Ludwig Schiedermair und Carl Stumpf boten ihre Mitarbeit an. In Bückeburg wurden Quellen zur deutschen Musikgeschichte gesammelt und ausgewertet. Hier entstand die Zeitschrift „Archiv für Musikwissenschaft“, die über Forschungsergebnisse berichtete. Da an eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis gedacht war, erhielt das Institut seinen Sitz im Gebäude der kurz zuvor errichteten Orchesterhochschule, wozu ein großer Konzertsaal gehörte.

Besonders glücklich über die Bü­ckeburger Gründung war der Berliner Musikwissenschaftler Max Seiffert. Er hatte schon 1892 die Notenedition „Denkmäler Deutscher Tonkunst“ ins Leben gerufen und damit begonnen, ein Archiv für deutsche Musikgeschichte aufzubauen. Umgehend überführte er seine dazu gesammelten Unterlagen nach Bückeburg und übernahm zugleich die Leitung der entsprechenden Abteilung. Als Carl August Rau 1921 im Alter von erst 31 Jahren starb, trat Seiffert die Nachfolge an. Die Finanzlage des Instituts wurde allerdings immer prekärer, so dass ab 1927 keine weiteren Publikationen mehr erscheinen konnten.

Als die Zukunft des Musikinstituts noch unsicherer wurde, kam 1934 eine Delegation des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Gauleitung Westfalen-Nord nach Bückeburg. Gemeinsam mit Max Seiffert und Fritz Stein, dem ebenfalls angereisten Direktor der Berliner Hochschule für Musik, kam man zu dem Ergebnis, dass das Institut nur durch den Umzug nach Berlin gerettet werden könne. Reichsminister Bernhard Rust folgte der Empfehlung, zumal dies seinem Ziel der Gleichschaltung und Zentralisierung entsprach. In der Hauptstadt sollte das bisherige Ins-titut durch Vereinigung mit anderen verwandten staatlichen Einrichtungen zu einem Reichsinstitut erweitert werden. 1935 kam es daraufhin unter Seifferts Leitung zur Gründung des „Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung“. Ihm wurde 1936 die Instrumentensammlung der Musikhochschule und ein Jahr später das Archiv deutscher Volkslieder angeschlossen. Der NS-Staat förderte das Institut großzügig, sollte damit doch die Überlegenheit des „völkisch-nationalen“ Kulturerbes demonstriert werden.

Die Musikinstrumentensammlung der Berliner Hochschule war 1888 begründet und seitdem ständig erweitert worden. Als 1902 die Hochschule ihr neues Gebäude in der Fasanenstraße bezog, fand auch die Instrumentensammlung dort ihren Platz. Der Musikforscher Curt Sachs übernahm 1919 die Leitung dieses „größten und reichsten Museum abendländischer Musikinstrumente“. Als erwogen wurde, die Sammlung an einem anderen Ort unterzubringen, verfocht er lebhaft den Verbleib in der Hochschule, um die Einheit von Theorie und Praxis zu sichern. 1933 verlor Sachs seine Stellung wegen seiner jüdischen Herkunft. Obwohl sich auch Fritz Stein für den Verbleib der Musikinstrumente an der Hochschule einsetzte, wurden sie dem neuen Institut angegliedert.

Im Krieg wurden die Institutsbestände ausgelagert, dennoch kam es zu erheblichen Verlusten. Unter Federführung des Magistrats von Groß-Berlin wurde das Institut im Westteil der Stadt mühevoll wieder aufgebaut, wobei zunächst die Musikinstrumentensammlung im Vordergrund stand. 1962 wurde das Institut in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz integriert und hieß seitdem „Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz“ (abgekürzt SIM). 1984 konnte endlich für dieses Institut und sein Musikinstrumenten-Museum direkt neben der Philharmonie ein lichtdurchfluteter Neubau eröffnet werden. Zu ihm gehört ein eigener, nach Curt Sachs benannter Konzertsaal. Unter seinem Leiter Hans-Peter Reinecke konzentrierte sich das SIM zunächst auf Instrumentenkunde und Untersuchungen zur musikalischen Akustik, hatte es doch schon in Bückeburg eine Abteilung für experimentelle Forschung gegeben. Reineckes Nachfolger Thomas Ertelt erweiterte den Themenkreis um Projekte der historischen Musikforschung, so eine Edition des Briefwechsels der Wiener Schule und eine Geschichte der Musiktheorie. Mit 55 Mitarbeitern in 4 Abteilungen („Musikinstrumenten-Museum“, „Musiktheorie und Musikgeschichte“, „Akustik und Musiktechnologie / Studiotechnik und IT“, „Musikwissenschaftliche Dokumentation“) ist das SIM die größte außeruniversitäre Einrichtung der deutschen Musikwissenschaft. Zu seinen jüngsten Projekten gehören die Geschichte der musikalischen Interpretation im 19./20. Jahrhundert sowie ein virtueller Konzertsaal, in dem die Beeinflussung des Hörens durch das Sehen untersucht wird.

Neben Buchpublikationen veröffentlicht das SIM im Internet die Bibliographie des Musikschrifttums (BMS) und veranstaltet regelmäßig Konzerte mit Jazz und Alter Musik sowie Ausstellungen (zuletzt zu Ferruccio Busoni und der Geschichte der elektronischen Musik). Wenn auch die großen Verbindungstüren zwischen Musikins-trumentenmuseum und Philharmonie nur selten geöffnet werden, trägt dieses Institut doch wesentlich bei zur Vernetzung der verschiedenen Institutionen des Berliner Kulturforums. Die Idee einer Verbindung von Theorie und Praxis, die schon vor 100 Jahren bei der Gründung des Bückeburger Ins-tituts Pate stand und die Curt Sachs vorbildlich realisierte, bleibt weiterhin eine wichtige Zielsetzung.

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