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Die Kölner Gruppe um Florence Millet brachte sich auch musikpädagogisch vor Ort ein. Foto: Claudia Irle-Utsch
Die Kölner Gruppe um Florence Millet brachte sich auch musikpädagogisch vor Ort ein. Foto: Claudia Irle-Utsch
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Vom Überleben einer unerwünschten Musik

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Kölner Studierende nehmen an der „Terezín Summer School“ teil
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Düstere Zellen, drückende Enge, eine Atmosphäre des Grauens. Bilder, die sich auf die Seele brennen. Schwer zu verarbeiten, doch irgendwie geht es dann doch. Denn es gibt selbst in Theresienstadt, in Terezín, wie das heute fast ausgestorbene böhmische Städtchen auf Tschechisch heißt, Hoffnung. Diese nährt sich aus der Begegnung mit einer Musik, die zum Teil in der einstigen jüdischen Ghettostadt entstanden ist, die dort gespielt wurde und womöglich half, das Unabdingbare zu erdulden. Die „unerwünschte Musik“ hat überlebt und lebt wieder!

Dass Werke von Pavel Haas, Erwin Schulhoff, Hans Krása oder Vítezslava Kaprálová stärker oder überhaupt ins Bewusstsein rücken, dass diese musikalischen Ideen neu entdeckt werden und inspirieren, das ist das Anliegen des auf vier Jahre angelegten Unterfangens „Musica non grata“. Den großen Rahmen setzt dabei die Prager Oper mit Unterstützung des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland. Und dort hinein passte sich im August zum ersten Mal die „Terezín Summer School“ ein. Auf Initiative des „Terezín Composers Institute“ mit Lubomír Spurný ermöglichte sie es Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz Köln und der Masaryk Universität Brno, in Theresienstadt zu arbeiten. Die jungen Menschen lernten miteinander eben dort, wo ab 1940/41 die Nationalsozialisten mehr als 150.000 Menschen (Männer, Frauen, Kinder) internierten, um sie von hier zumeist in die Vernichtungslager nach Osten zu transportieren.

Die „Terezín Summer School“ habe sich inhaltlich stimmig in das Konzept von „Musica non grata“ eingefügt, sagt Kai Hinrich Müller. Der Kölner Musikwissenschaftler ist Forschungsmanager des Projekts. Dass dieser pädagogisch angelegte Part sich so gut angelassen hat, freue ihn enorm. Auch dass eine Fortsetzung folgt: 2022 soll die Kooperation fortgesetzt und größer ausgeschrieben werden. An der Kölner Musikhochschule wird Kai Müller im Wintersemester ein Seminar zur Prager Moderne anbieten; für einen Vortrag eingeladen ist Tomáš Kraus, Sekretär der Föderation der jüdischen Gemeinden in Tschechien. Sein Vater gehörte in Theresienstadt zum sogenannten „Aufbaukommando“ – und damit mit zu den Ersten, die Teil eines breit angelegten nationalsozialistischen Täuschungsmanövers wurden.

Auch zwei Führungen in Theresienstadt gehörten zum Programm: die eine in der einst österreichischen Festungsstadt selbst, wo Guide Lukáš Lev auf versteckte Spuren des jüdischen Ghettos verwies, die andere in der „Kleinen Fes­tung“, dem Gestapo-Gefängnis, wo der Schrecken noch über Höfen und Gräbern hing, wo Worte fehlten, der Atem stockte. „Schwer zu verkraften“, so Per Boye Hansen. Der Intendant der Prager Oper stieß an diesem nüchternen Unort dazu. Mit „Musica non grata“ geht es dem Norweger, der seit 2019 in der tschechischen Hauptstadt engagiert ist, durchaus um das Wachhalten der Erinnerung. „Was passiert ist, ist bedeutsam.“ Doch zugleich setzt Hansen sich für „eine Wiederbelebung“ dessen ein, was unter schwierigsten Umständen musikalisch entstanden ist: „Diese Musik war nicht ,gegen die Nazis‘, sondern sie bewegte Themen. Sie hatte Humor, war avantgardistisch, vielfältig, modern.“

Hören ließen die Werke der verfolgten Komponistinnen und Komponisten die jungen Musikschaffenden aus Köln: Theresa Ströbele (Klarinette), Alexander Breitenbach und YiRou Ariel Chen (beide Klavier), Weichue Chen (Bratsche), Seowon Kim (Violine) und Anna Graf (Sopran) sowie die Cellistin Jeanette Gier-Monger, Lehrbeauftragte an der Hochschule. Sie hatten für ihre Konzerte ein Repertoire erarbeitet, das die „musica non grata“ auch im Spiegel von Dvorák und Janácek (eine Hommage an die tschechischen Gastgeber) glänzen ließ. Vorbereitet, begleitet und angeleitet wurden sie von Florence Millet, die sich mit dem Projekt „EchoSpore“ seit Jahren für das Auffinden und Wertschätzen von Musik verfolgter Tonsetzer*innen engagiert. Pianistisch wirkte sie als prima inter pares mit, im eigens zusammengestellten „EchoSpore Chamber Ensemble“, das an zwei Abenden im Theresienstädter Wieser-Haus und zum Abschluss der „Terezín Summer School“ in der geschichtsträchtigen Deutschen Botschaft in Prag aufspielte. Famos und berührend. 

Zu sehen und auch zu spüren, wo und wie die Musik von Gideon Klein oder Ilse Weber oder Viktor Ullmann wurde, was sie ist, hat die Studierenden aus Köln nachhaltig beeindruckt und zum Teil ihre Sicht auf die einstudierten Werke verändert. „Plötzlich war das Bild klarer, als hätte ich eine Brille aufgesetzt“, sagt Seowon Kim. Und Alexander Breitenbach sieht sich selbst in der Verpflichtung, „auch dafür zu werben, dass diese Werke bekannter werden“. Miteinander hat die Gruppe sehr unmittelbar erfahren, wie Musik dabei helfen kann, das Unerträgliche tragen zu können. Am Ende der Reisen in die Theresienstädter Vergangenheit wurde auch für sie das Musizieren zur Kraftquelle, zu einem Weg (zu) sich zu finden, zum Ankerpunkt.
 

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