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„Was soll aus euch nur werden?“

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Diskussionsforen des Landesmusikrats NRW zur Ausbildung von Berufsmusikern
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Mögen deutsche Universitäten auch längst den Glanz alter Tage verloren haben und der akademische Nachwuchs von einem Studienplatz in Stanford, dem MIT oder Berkeley statt in Göttingen, Tübingen oder Heidelberg träumen: Der Ruf der deutschen Musikhochschulen strahlt unvermindert weit und erreicht die entferntesten Regionen. Dort, wo die abendländische Klassik noch besonders oder erstmals groß geschrieben wird, in Ost-europa, in Korea, Taiwan, China oder Japan, steht der Musikausbildungsplatz Deutschland hoch im Kurs. Der Ausländeranteil der Studentenschaft, die bei uns ja allein nach Fähigkeit, nicht nach Nationalität ausgesucht wird, beträgt an einigen Instituten auch darum bereits über 50 Prozent – die Tatsache, dass zumindest das Erststudium kostenfrei und ein Aufbaustudium allemal sehr kostengünstig ist, trägt dazu nicht unerheblich bei.

Der nähere Hinblick freilich offenbart, dass auch im scheinbaren Paradies längst Wolken aufgezogen sind. In den Musikhochschulen hallt die Krise des Musiklebens wider. Der künstlerischen Instrumental- und Vokalausbildung ist ein Berufsziel gemeinhin nicht vorgegeben, aber in der Regel führt sie einen Studenten zum Orchester, in einen Chor oder gar zur Karriere als Solist. Ob sie das heute wirklich noch tut und ob sie es überhaupt noch könnte und zwar in dem Maße, wie es die Verantwortung gegenüber dem Studenten gebietet, daran herrscht immer lauter werdender Zweifel. Die vier Diskussionsrunden, die der Landesmusikrat NRW im Sommer 2005 dem Thema „Ausbildung und Beruf“ widmete, hatten in der momentanen und wohl auch zukünftigen Krise der deutschen Orchester und Stadttheater ein allgegenwärtiges Szenario. Bedrohliche Zahlen wurden genannt, die den meisten ohnehin gut bekannt waren: Die Orchesterschließungen, Etat- und Stellenkürzungen seit den frühen 1990er-Jahren haben die Berufsaussichten für Absolventen von Instrumentalstudiengängen drastisch verschlechtert. Haben die Hochschulen angemessen reagiert?

Diese Frage, obgleich nahe liegend, greift anscheinend noch zu weit. Zumindest in den vier Berufsforen des Landesmusikrates herrschte kein Einvernehmen darüber, was eine Musikhochschule nun in erster Linie überhaupt ist: eine Stätte der Berufsausbildung oder eine klassische Kunsthochschule. Als Kunsthochschule hätte sie die möglichst gute Ausbildung eines Studenten zum Künstler zum Ziel. Die spätere Einbindung dieses Künstlertums in einen Berufsalltag wäre dann Sache des Künstlers, nicht wesentliches Problem der Hochschule. Nun werden zwar die meisten Verantwortlichen an den Hochschulen ob einer solchen strikten Trennung der Sphären beruhigend abwinken und auf die real existierende Alltagstauglichkeit der Hochschulausbildung verweisen: Zumindest im Kreise der Diskutanten der Berufsforen wurde aber mehr als einmal Kritik an einem fortwährend gepflegten Ideal der Meisterklasse geäußert, in der ein als Solist möglichst renommierter Professor möglichst begabte Studenten auf eine am Ende dann doch meist unmögliche Solistenkarriere konditioniert.

Nun kann die Hochschule auf die geschilderten (oder auch anderen) Probleme reagieren und – wenn das gewünscht wäre – die Ausbildung im Sinne einer gezielten Berufsausbildung weiter verbessern. Andererseits kann die Hochschule kaum die gravierenden Verschiebungen in unserer Musikkultur und im Kulturverständnis allgemein beeinflussen: den mal stärker, mal weniger stark ins Auge springenden, unterm Strich aber nicht zu leugnenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, den die klassischen Kernbereiche unserer Kunstmusikkultur, Oper und Konzert, erleiden. Wo der Markt versagt, beziehungsweise dort, wo er nie wirkliche Kräfte entwickelt hat, nämlich beim schwer zu Vermittelnden, Schwierigen und Anspruchsvollen, dort erlahmt mehr und mehr auch die rettende Hilfe durch die öffentliche Hand. Urbanistik-Forscher Albrecht Göschel prophezeite schon im ersten Impulsreferat, dass die wankenden Säulen unserer Subventionskultur, die Haushalte der Städte, in der Zukunft weiter an Standhaftigkeit verlieren und zum Teil ganz einstürzen werden. Das allerdings beträfe, und damit ist ein weiteres Feld innerhalb der Foren resümiert, die etablierten Institutionen weit mehr als die freie Szene. Als wesentlicher Impulsgeber des Musikbetriebs und längst auch als wichtiger Arbeitgeber für Musiker hat die freie Szene aus öffentlichen Kassen ohnehin kaum jemals eine ihrer Leistung angemessene Unterstützung erfahren. Die Zahlen aus Köln, die genannt wurden, sind wohl auch für andere Städte aussagekräftig: Von allen Geldern, die vonseiten der Stadt für Musik ausgegeben werden, fließt weit weniger als ein Prozent in die freie Szene. So kann die Ausbildung sich optimieren, soviel sie will: Die Bedingungen, unter denen Studenten als professionelle Musiker später zu leben und schlimmstenfalls zu leiden haben, vermag sie kaum zu verändern. Vielleicht bleibt am Ende nur übrig, dem Vorschlag von Manfred Trojahn zu folgen, der den abschließenden Vortrag in der Veranstaltungsreihe des Landesmusikrats NRW hielt: Wenn die Nachfrage wirklich dauerhaft sinkt, so argumentiert er, muss auch das Angebot reduziert werden, müssen sich Hochschulen zu dem schweren Schritt entschließen, von den Besten nur noch die Allerbesten auszubilden und dem Rest schon früh alle Illusionen zu nehmen. Oder aber sie halten trotz allem fest an der alten Idee der Kunsthochschule: Dann geht es allein um Kunst, und Kunst kann sich nach dem Markt nun einmal nicht richten.

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