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Hermann Große-Jäger bei seinem letzten Konzert „Frühling und kein Ende“ mit dem 1. Satz aus Mahlers 1. Symphonie. Rechts: Joachim Harder. Foto: Lisa Bröker

Hermann Große-Jäger bei seinem letzten Konzert „Frühling und kein Ende“ mit dem 1. Satz aus Mahlers 1. Symphonie. Rechts: Joachim Harder. Foto: Lisa Bröker

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Breite musikpädagogische Wirksamkeit

Untertitel
Nachruf auf den Hochschullehrer und Pionier von Kinder- und Familienkonzerten Hermann Große-Jäger
Vorspann / Teaser

Am 18. März 2025 verstarb Professor Hermann Große-Jäger, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Musikpädagogik an der Universität Bielefeld. Er wurde 98 Jahre alt. Mit ihm verliert die Fachwelt einen hoch angesehenen und verdienten Hochschullehrer, der als Universitätsprofessor und Autor zahlreicher einschlägiger Schriften zum Musiklernen, als Lehrender in der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch als Initiator und Moderator vieler öffentlicher Konzerte für Kinder deutschlandweit und darüber hinaus eine außerordentlich breite musikpädagogische Wirksamkeit entfaltet hat.

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Den thematischen Schwerpunkt der Publikationen Große-Jägers bildet das Musiklernen im Vorschul- und im Grundschulalter, dem er eine Fülle von Beiträgen gewidmet hat. Mit der in mehreren Neuauflagen erschienenen Schrift „Freude an Musik gewinnen“ legte er hierzu ein Standardwerk vor. Gleiches gilt für das maßgeblich mitverfasste Buch „Tanzen in der Grundschule“ sowie für das Unterrichtswerk „Quar­tett“, in dem neue Impulse bezüglich des Musikunterrichts in der Grundschule ihren Niederschlag finden. Herausragende Bedeutung kommt der 1979 von Große-Jäger gegründeten Zeitschrift „Musikpraxis“ zu, die der musikalischen Arbeit in Kindergarten, Grundschule und Musikschule gewidmet ist. Mittlerweile im 46. Jahrgang erschienen und von Große-Jäger über viele Jahre als Herausgeber und Autor gestaltet, kann sie als sein wohl breitenwirksamstes und nachhaltigstes musikpädagogisches Werk gelten.

Geboren am 20. Oktober 1926, gehört Hermann Große-Jäger jenen Jahrgängen an, die ihre Kindheit und Jugend unter den schwierigen Bedingungen der 1930er-Jahre und des 2. Weltkriegs durchlebten. Der Vater war Kraftfahrer, die Mutter Filialleiterin im Konsum und als außergewöhnlich schnelle Rechnerin bekannt. Von der Schulbank weg zur Wehrmacht eingezogen, wurde der Gymnasiast Hermann Flak-Helfer, gelangte in amerikanische Gefangenschaft und legte nach Kriegsende das Abitur ab. Das Studium galt zunächst der Theologie und Philosophie, dann der Ausbildung zum Volksschullehrer. Nach dem Studienabschluss übernahm er eine Volksschullehrerstelle nahe Warendorf, bevor er nach Münster wechselte, wo er neben dem Schuldienst eine rege Tätigkeit als Chorleiter entfaltete. Zusätzlich absolvierte er ein Studium der Schulmusik an der Musikhochschule in Detmold und wurde anschließend an die Pädagogische Hochschule in Münster abgeordnet. Dort folgten mehr als zehn Jahre vielfältiger Hochschultätigkeit, während der er zum Studienprofessor ernannt wurde und sechs Jahre das Amt des Dekans seines Fachbereichs bekleidete. 1976 nahm Große-Jäger einen Ruf auf den Lehrstuhl für Musikpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Westf.-Lippe Abt. Bielefeld an. Als letztere wenig später in die Universität Bielefeld integriert wurde, trug er, inzwischen zu ihrem Abteilungsdekan gewählt, wesentlich zu einer erfolgreichen Überleitung bei. Bei seinen Studentinnen und Studenten war Große-Jäger hochbeliebt. Er vertrat sein Fach sechzehn Jahre lang bis zu seiner Emeritierung 1992 als überaus engagierter und motivierender Lehrstuhlinhaber. Hierbei waren der Mensch Hermann Große-Jäger in seiner verständnisvollen Zuwendung zum Gegenüber, mit seiner pädagogischen Sensibilität und ausgeprägten Fähigkeit zum Ausgleich, und der fordernde Hochschullehrer untrennbar miteinander verbunden. In dieser glücklichen Personalunion, die neben der hohen fachlichen Kompetenz eine wesentliche Grundlage für sein so erfolgreiches Wirken war, werden ihn alle, die ihn kannten, in ehrender Erinnerung behalten.

  • Dr. Eckhard Nolte, Univ.-Prof. i. R., ehemaliger Wiss. Ass. von Hermann Große-Jäger, später sein Kollege auf dem Lehrstuhl für Musikpädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München
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Bedeutender Musikpädagoge und Freund der Kinder

„Liebe Mädchen und Jungen, ich begrüße Euch freundlich zu diesem Konzert. Und auch die Erwachsenen sind herzlich willkommen.“ Für Hermann Große-Jäger kamen die Kinder immer zuallererst. Nur ein einziges Stück stand normalerweise auf dem Programm: Stefan Heuckes „Selbstsüchtiger Riese“ oder Smetanas „Moldau“, ein Satz einer Mahler-Syphonie oder Strawinskys „Petruschka“. Nahezu jedes Werk konnte Große-Jäger mit seinem fantasievollen reichen pädagogischen Werkzeugkasten so aufbereiten, dass ihm die Kinder mit roten Ohren eine Stunde lang folgten. Sie hörten, fragten, bewegten sich, sie folgten einzelnen Melodien, der gesamten Begleitung oder dem Tutti, wurden mit jeder Wiederholung vertrauter mit Werk und Ausführenden, bis sie die Musik ganz in sich aufgenommen hatten. Bei der Wiederholung des Stücks am Schluss des Konzerts konnten sie selig alles wiederentdecken, was sie gerade kennengelernt hatten.

Große-Jäger wurde1975 zum Pionier dieses Konzertformats in Deutschland. Fast 1.500 Konzerte für Kinder und Familien hat er in großen und kleinen Städten des Landes mit professionellen und freien Orchestern aufgeführt. In Sälen mit 300 oder auch 2.000 Plätzen wie in der Stuttgarter Liederhalle oder der Berliner Philharmonie kamen innerhalb von 38 Jahren mehr als 50 Programme zur Aufführung. In teilweise jahrzehntelanger Zusammenarbeit hatten insgesamt 30 Klangkörper das Privileg, mithilfe Große-Jägers Zehntausende begeisterter Menschen zu erreichen. Mehrere CD-Einspielungen vergrößerten die Hörerschaft zusätzlich.

Die vielen Anfragen quer durch die Republik und auch aus Österreich an den Moderator Große-Jäger überstiegen sehr bald dessen Möglichkeiten, sie persönlich zu erfüllen. Diese „Personallücke“ wollte er unbedingt schließen: An der Musikhochschule Detmold bildete er mit dem Kollegen Dr. Ernst Klaus Schneider und mir ein enthusiastisches Trio, das 1998 gemeinsam in kürzester Zeit ein viersemestriges Zusatzstudium „Musikvermittlung“ an der Hochschule entwickelte und etablierte. Diese musikpolitische Pioniertat hat bereits ein Vierteljahrhundert Früchte getragen. Es gibt inzwischen kaum noch ein Kulturorchester im deutschsprachigen Raum, das auf die Mitarbeit professioneller Musikvermittlerinnen und -vermittler verzichtet. Viele entstammen dem Detmolder Studiengang und besetzen renommierte Positionen im Musikleben.

Das Argument einiger Intendanten, dass mit Konzerten für Kinder das Publikum von morgen herangebildet würde, griff für Hermann Große-Jäger zu kurz. Sein Vermächtnis formulierte er so: „Das Leitbild des Humanen bezeichnete ein Leben, das Zeit und Raum hat zur eigenen Lebensgestaltung. Durch Musikmachen und Musikhören gewinnen wir eine unverwechselbare Selbsterfahrung und eine Vertiefung der Gefühle. Weil Musik Mittel und Merkmal einer humanen Gesellschaft ist, deshalb bleiben Konzerte für Kinder eine zeitunabhängige Aufgabe.“

  • Joachim Harder, Professor für Dirigieren i. R., hat mit Hermann Große-Jäger von 1976 bis 2013 dutzende Programme entwickelt und hunderte seiner Konzerte dirigiert.

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