Ungefähr 20 Schülerinnen und Schüler sind im Halbrund auf der Bühne, haben Trommeln, Musikinstrumente und elektronische Geräte bei sich. Dann folgt ein Film, in dem eben diese Schüler von Erinnerungsstücken – Schmuck, Steine, Klamotten – aus verschiedenen Reisen erzählen. Man lernt sie ein wenig kennen, ehe sie das eigentliche Thema des Abends betreten, die „Voids“ des jüdischen Museums in Berlin, dessen philosophisch und politisch gedachte Architektur durch Daniel Libeskind seit seiner Eröffnung 1999 weltberühmt geworden ist. „Void“, das sind im Museum die fünf Leerräume, die unterschiedlich gestaltet sind und zu unterschiedlichem Gedenken anregen. Eines heißt „Gefallenes Laub“, auf dem Boden liegen blättergroße Metallplatten, in die Gesichter gelocht wurden (eine Idee des israelischen Künstlers Menashe Kadisman).
Die Schüler gehen darüber – erschüttert und ergriffen, sie erfahren den Verlust sicht- und fühlbar, „ein Ort der Wiedergeburt, an dem sich jeder Gedanken über seinen Platz im Leben und in der Gesellschaft machen kann“ (Christophe Rosenberg). Und der Philosoph Ulrich Kaiser, der den Schüler/-innen beim inhaltlichen Einstieg in das Thema zur Seite stand: „Das ganze Projekt war angelegt auf Sensibilisierung und möglichst achtsames Zusammenspiel aller möglichen Bild-, Text- und Klangelemente. Grenzen sollten überschritten werden, indem sie entdeckt und respektiert werden.“ Die Empfindlichkeit, mit der aufeinander gehört wurde, prägte dann das eher zarte Klangbild der Gesamtkomposition, in der nahezu alles gemeinsam entschieden worden war.
Dieses in jeder Hinsicht hoch ambitionierte Educationsprojekt der Hamburger Klangwerktage wurde realisiert von der Pariser École Perceval und der Rudolf-Steiner-Schule in Harburg (10.Klasse). Mit einer Woche Vorlauf wurde es vom Pädagogen und Komponisten Christophe Rosenberg von der Cité de la Musique in Paris geleitet und spielte in keiner Weise eine Nebenrolle in dem zum vierten Mal stattfindenden sechstägigen Festival der Hamburger „Klangwerktage“. Im Gegenteil: Zur Konzeption gehörte die zentrale Präsentation innerhalb des Festivals mit derselben Wichtigkeit wie die großen Konzerte. Ein Faktum, das den Schüler/-innen ganz besondere Anreize geben kann: Im Anschluss an das Hamburger Festival wurde „Void“ in Paris bei der UNESCO präsentiert.
Ein zweites musikalisches Vermittlungsprojekt an allgemeinbildenden Schulen in Hamburg war „Klangradar 3000“. In diesem Projekt erarbeiteten die Komponisten Jürgen Hall und Udo Kirfel mit den Schülern des Gymnasiums Hittfeld auf der Basis eines Stückes von Georg Hajdu ein eigenes Werk – „Blueprint“ – ebenfalls in der Autorschaft der Schüler.
Dann gab es gezielte Studentenarbeiten, so „Mnemosyne – Archäologie der Spuren“, in dem Architekturstudierende sich mit Gedenkformen für die Deportationen von Juden, Sinti und Roma vom ehemaligen Hannover’schen Bahnhof auseinandersetzten. Die Anbindung ans Festival war dann hervorragend gewährleistet nicht zuletzt durch die tief beeindruckende Anwesenheit von Daniel Libeskind. Kunst als Gedächtnis, als Begegnung, wie es der Komponist Nikolaus Brass formulierte: Das kann und sollte man schon als Kind lernen. Die Kompositionsklassen der Hamburger Musikhochschule stellten in einem kammermusikalischen Konzert so viele verschiedene Konzepte vor, wie es Komponisten waren: keine Spur von Mainstream, sondern Spannung pur. Und last not least hatten die Studierenden der Architekturklasse die riesige Rauminstallation „Troposphères“ mit ihren Rohren und Loopings gebaut, in der man sich wie auf einem anderen Stern vorkam.
Nicht nur die pädagogischen, sondern alle Veranstaltungen der Klangwerktage überzeugten grundsätzlich durch ihre Perspektiven der Vermittlung (siehe nmz Online). Erstmalig unter der Leitung von Christiane Leiste wurde keine Mühe gescheut, Neue Musik nach außen zu öffnen. „Ich habe es satt, Konzerte für ein Spezialisten-Publikum zu veranstalten. Musik ist Leben und muss lebendig sein“, hatte sie verkündet. Dazu gehörte unter anderem die wunderbare Idee, die Konzerte von sogenannten „Reisebegleitern“ kommentieren zu lassen, die aus ganz anderen Berufen kamen. Da sagte der Tontechniker etwas zu Neuer Blasmusik, der Soziologe etwas zur Musik von Kurtág, der Drehbuchautor etwas zur Kammermusik und der Kunsthistoriker etwas zur Laptop-Musik. Das klappte natürlich inhaltlich nicht immer, konnte es nicht, hatte aber einen eigenen Reiz. Es prickelte und brodelte in diesen fünf Tagen auf Kampnagel, so dass man sich den nächsten Festivaltermin vom 23. bis 26. November vormerken sollte.