Hauptbild
Kein Zukunftsmodell: Geige mit Stummschaltung. Foto: Martin Hufner
Kein Zukunftsmodell: Geige mit Stummschaltung. Foto: Martin Hufner
Banner Full-Size

Geld erwünscht, Kultur verboten: Was ein Musiker auf Wohnungsssuche erleben kann

Publikationsdatum
Body

Was treibt einen bezüglich des Schreibens sonst eher nüchtern veranlagten Fachautor auf satirische Abwege? Ist dies dem Einfluss des Kölschen Karnevals zuzuschreiben? Was lässt ihn vorläufig in der Glosse, dereinst womöglich gar in der Gosse landen? Die verblüffende Antwort lautet: Es handelt sich um die Freuden einer Wohnungssuche im Köln-Bonner Raum!

Schon vor einigen Jahren spielte sich die folgende Episode in der Nähe des Kölner Ebertplatzes ab: Der Autor dieser Zeilen wird nach seinem Beruf gefragt und gibt wahrheitsgemäß zur Antwort: „Professor für Musikpädagogik“, worauf es ihm vom Makler entgegenschallt: „So einen Hallodri nehmen wir nicht!“ Der Musikpädagoge als vogelfreie Zielscheibe gesellschaftlicher Schmähungen? Eine Berufskollegin jenes Maklers konterte die Unzufriedenheit des Autors beim Besichtigen eines dunklen, muffigen und engen Mietraumes mit den Worten: „Ja, als Musiker müssen Sie schon nehmen, was Sie kriegen!“ Das goldene Kalb vieler Makler, Vermieter und Mieter scheint die Ruhe in der wohl verdienten Freizeit zu sein. Sie ist es, die mit dem Anspruch des „guten Rechts“ eingeklagt und mit Klauen verteidigt, dann aber tatsächlich oft genug der Zerstreuungsindustrie dargebracht wird. Eine einschlägige Erinnerung stellt die alte Dame im Nachbarhaus dar, deren Gehör offensichtlich schon etwas nachgelassen hatte, so dass man noch im Nebenhaus die von ihr goutierten Fernsehshows annähernd mitverfolgen konnte, die aber gleichwohl stets in Bereitschaft war, auf die Wand einzuschlagen, wenn irgendwelche musikalisch anmutenden Töne die Fernsehruhe zu stören drohten ... Nicht eine wirkliche Ruhe, die so etwas wie Ausgeglichenheit und Frieden beinhaltet, wird hier gepflegt oder eingefordert, sondern eine rein physikalische: die Abwesenheit von Tönen und Geräuschen.

Tatsächlich scheinen musikalische Klänge besonders gefürchtet zu sein, so dass die Absolventinnen und Absolventen des Autors als junge, zunächst oder dauerhaft selbständige Musiklehrerinnen und -lehrer etwa die Wahl zwischen dem Kauf eines freistehenden Hauses und damit einer ruinösen Verschuldung oder aber der Obdachlosigkeit hätten – man sollte einmal auf Inserate der Art „Biete Flötenstunden im Freien!“ oder „Klavierstunden auf der Domplatte; Instrument ist mitzubringen!“ achten (für Köln-Unkundige: die Domplatte ist der Vorplatz des Kölner Doms, wo sich unter anderem ständig auch wohnungslose Menschen aufhalten)! Ach ja: die dritte Alternative wäre der wiederum kostspielige Ankauf einer industriell präzise für diesen Fall konstruierten Übezelle, einem überaus ansprechenden Einrichtungsgegenstand, der zwar bei ahnungslosen Besuchern den Verdacht aufkommen lässt, man halte hier seine alte Mutter bei Wasser und Brot, der aber dafür das Abenteuer bietet, einen erklecklichen Teil seines Lebens in der Düsternis und Enge einer mittelalterlichen Kerkerzelle zu verbringen. Was hätte die oben erwähnte alte Dame wohl von einer „Fernsehzelle“ gehalten? Natürlich ist das ein unverschämt anmaßender Gedanke für einen Angehörigen eines ehrlosen weil ruhegefährdenden Gewerbes. Selbstverständlich ist das Bedürfnis nach Ruhe als Ausgleich zu einem stressigen Arbeitsleben und gerade auch vor dem Hintergrund des akustischen Dauerbeschusses in unserer Umwelt nur allzu gut nachvollziehbar. Auch empfindliche Musiker-Ohren wollen zuweilen „mal nichts mehr hören“, auch für sie könnten dann in solchen Momenten der nebenan übende Geiger beim Studium des Flesch’schen Skalensystems, die benachbarte Pianistin beim Einstudieren einer Boulez-Partitur, die funktionale Stimmtrainerin beim Explorieren der stimmlichem Bandbreite ihrer Klientel, der Bratschist bei der Auseinandersetzung mit einer Hindemith’schen Solosonate (etwa mit dem vierten Satz von op. 25/1 mit der Überschrift „Rasendes Zeitmaß, wild, Tonschönheit ist Nebensache“), der Pubertierende mit der frisch erworbenen E-Gitarre, der Volksmusik-Tubist, der passionierte Zither-Virtuose, der Rockschlagzeuger, die Amateur-Oboistin, der Jazz-Bassist, aber auch der Dauerhörer der Fischerchöre oder die enthusiastische Boy-group-Verehrerin zur Belastungsprobe werden.

Wenn aber die Eltern von Geigenschülerinnen des Autors berichten, dass man sich im Nebenhaus vehement das zeitlich wahrhaft nicht opulente Üben der Kinder verbittet, dass aber andererseits aus just diesem Nebenhaus den lieben langen Tag das Geschrei der sich bekriegenden Familienmitglieder in die Nachbarschaft dringt, dann wird einmal mehr deutlich, von welch doppelgesichtiger Art die verteidigte Ruhe ist, vor allem auch, wie lebensfeindlich, unverhohlen ichbezogen und auch generationsspezifisch sie häufig gedacht wird. Die schlimmsten Übel für den friedliebenden Bürger sind offensichtlich Kinder und Musik.

Eine Maklerin, die unter den Bewerbern um eine freie Wohnung geeignete Mieter in spe suchte, erzählte jüngst, sie habe den anderen Mietern des Hauses zunächst eine Rechtsanwältin mit einem achtjährigen Sohn als neue Nachbarn vorgeschlagen. Sofort hieß es: „Ach bitte kein Kind!“, – worauf der Autor, der an zweiter Stelle auf der Liste jener Maklerin stand, von ihr gar nicht erst mehr vorgeschlagen wurde. Die Makler und Vermieter, die den Autor beim Stichwort „Klavier“ bestenfalls auf die Pflicht hinwiesen, ein Dämpfungspedal eingeschaltet zu lassen, im schlechteren Falle aber schlagartig kühler wurden und befanden: „Das geht nicht! Wenn ich das Ihnen erlaube, dann müsste ich es ja allen gestatten!“ (warum eigentlich nicht?), – jene Immobilienvermittlerinnen und -besitzer vergessen vielleicht, dass es sich mit Geld und ruhigen Häusern in der Gegenwart leidlich störungsfrei leben lässt, dass aber keine Immobilie später zum siebzigsten Geburtstag gratulieren oder tröstend am Krankenbett erscheinen wird. Wenn auch das tiefere Eindringen in die Welt der Musik nicht locken mag: vielleicht sind ja doch auch ein Ständchen zum Ehrentag, ein Konzertbesuch, der einen Höhepunkt in den Alltag zu bringen vermöchte, eine feierlich-schöne Orgelmusik bei der Hochzeit der Tochter oder schon nur eine gruselige Filmmusik zum geliebten Krimi nicht zu verachten? Zugegeben: Musik und Kinder stören, ja sie verstören manchmal. Vielleicht sollte man sie also in Mietobjekten gesetzlich verbieten, sollte man Hausordnungen frank und frei nach etwa dem folgenden Muster gestalten: „Untersagt sind von 0.00 bis 24.00 Uhr: Kinder, Musik, Tiere, Freudenbekundungen, überraschte Ausrufe, Spielen, Tanzen, Singen, Feiern, Lachen, das Einschalten von WDR 3, SR 2, Bayern 5, SWR 2…“?

Bei Mietangeboten in der Zeitung liest man dann demnächst: „Geld erwünscht, Kultur verboten!“

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!