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AEMP Kreativwerkstatt. Foto: Beate Robie
AEMP Kreativwerkstatt. Foto: Beate Robie
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Leerstellen benennen, Potenziale entfalten

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Der Arbeitskreis Elementare Musikpädagogik veranstaltete eine Werkstatt zu Zukunftsthemen der EMP
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Seit ihrer Namensgebung im Jahr 1994 hat die Elementare Musikpädagogik eine große Entwicklung genommen. An zahlreichen Hochschulen kann der Studiengang in Bachelor und/oder Mas­ter studiert werden, signifikante Abbrecherquoten gibt es nicht, die Absolventinnen und Absolventen erwartet nach einem erfolgreichen Studienabschluss eine nahezu hundertprozentige Arbeitsplatzgarantie und durch die Kombination des EMP-Hauptfachs mit einem zweiten instrumentalen/vokalen Fach verfügen die Lehrpersonen über ein maximal großes Spektrum an künstlerischen und künstlerisch-pädagogischen Kompetenzen für die Arbeit mit Menschen ganz unterschiedlicher Alters- und Zielgruppen.

Die Darstellung klingt nahezu brillant. Warum nun also ein Werkstatt-Setting mit dem alleinigen Ziel, die aktuelle Situation der EMP als wesentliches Merkmal für deren zukünftigen Erfolg kritisch in den Blick zu nehmen? Kaum eine Tagung des Arbeitskreises Elementare Musikpädagogik (AEMP) vergeht, ohne dass der enorme Mangel an ausgebildetem EMP-Personal thematisiert und beklagt wird. Um Abhilfe zu schaffen, arbeiten bereits zahlreiche EMP-Lehrende der Hochschulen selbst in der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung. Darüber hinaus werden Quereinstiegsmodelle konzipiert und erprobt. Auch werden zunehmend zusätzliche Anreize für besonders mobilitätsaffine EMP-Lehrende der Musikschulen in ländlichen Regionen geschaffen. Dies alles reicht aber nicht aus, um ausgebildete EMP-Lehrkräfte an die Musikschulen in der Stadt und auf dem Land zu vermitteln, um Kindertagesstätten mit musikalischen, EMP-nahen Angeboten zu versorgen, um Erzieher*innen professionell musikalisch fortzubilden, mit älteren Menschen elementar zu  musizieren und um dazu beizutragen, dass auch die verpflichtende Einführung der Ganztagsschule im Jahr 2026 von Beginn an mit EMP zusammengedacht werden kann. Last but not least sollte auch die kontinuierliche Nachwuchs-Förderung für ein EMP-Studium zukünftig noch viel selbstverständlicher vonstattengehen, respektive institutionell besser verankert sein, als es bisher vielerorts der Fall ist.

Musik als Hobby, nicht als Beruf

Derzeit ist eine Tendenz zu beobachten, die sich zuvor bereits andeutete, die durch die Corona-Pandemie jedoch noch einmal mehr befeuert wurde: Musikalisch begabte Jugendliche streben hierzulande heute weniger selbstverständlich als noch vor einigen Jahren ein Musikstudium an. Mit Blick auf ihre zukünftige Berufswahl wiegen sie neben ihrer Leidenschaft für die Musik heute ganz selbstverständlich soziale, nachhaltige und nicht zuletzt auch ökonomische Aspekte sorgfältig gegen- und miteinander ab. Offensichtlich kommen sie dabei mitunter zu dem Schluss, dass Musik für sie ein geliebtes Hobby bleiben soll, während ein Studium oder ein Beruf in anderen Bereichen mit größerer thematischer Offenheit und attraktiveren finanziellen Dimensionen gewählt wird.

Hier setzte nun bei den Mitgliedern des AEMP die Motivation für eine kritische Bestandsaufnahme in einem dafür vorstrukturierten Setting an. Ihnen schwebte eine Tagung im Format einer kreativen Zukunftswerkstatt vor. Der schließlich gewählte Titel „Kreativwerkstatt“ änderte nichts an der Grundidee, dass frei von Zwängen, Schranken im Kopf und Barrieren im Alltag über die Zukunft der EMP nachgedacht, diskutiert und nicht zuletzt auch wild gesponnen werden sollte. Bereits Wochen vor der Tagung wurde unter den AEMP-Mitgliedern mit der Themensuche in Form einer kontinuierlich wachsenden Mindmap begonnen. Darüber hinaus wurde mit Annette Jagla als externe Moderatorin eine erfahrene Trainerin für Settings und Werkstattformate dieser Art verpflichtet.

Exemplarisch seien hier nur einige der zuvor gesammelten Hauptthemen genannt, die es nach Priorisierung durch die AEMP-Mitglieder zur Weiterbearbeitung in die Kreativwerkstatt geschafft haben:

  • unterrepräsentierte Zielgruppen in EMP-Kontexten: Jugendliche allgemein sowie musikalisch besonders begabte junge Erwachsene
  • EMP und Gesellschaft: Artistic Citizenship
  • EMP und Diversity: Wie vielfältig ist sie wirklich?
  • EMP und kulturelle Vielfalt / Umgang mit kultureller Aneignung
  • Inklusive EMP
  • EMP und die sogenannte populäre Musik: Offenheit für mehr musikalische Genres und Stile
  • Künstlerische Praxen der EMP (mehr Kunst/Gestaltung/Performance in die künstlerische Praxis der EMP/die EMP-Lehrpraxis/das Hauptfach EMP?!)
  • EMP-nahe Fort- und Weiterbildungsstrategien
  • Braucht die EMP einen eigenen Berufsverband?
  • Curriculums-Strukturen: Sind die Studiengänge individuell und profiliert genug konzipiert?
  • EMP-Nachwuchs(mangel)
  • Image der EMP (Innen- versus Außenwahrnehmung)
  • EMP: welche Berufsbezeichnung braucht der Studiengang/das Fach für die Zukunft?
  • Attraktivitätsförderliche Faktoren: Arbeitsfelder, -strukturen, bessere Bezahlung
  • Konzeptentwicklung und konkrete Gründung eines Studierendennetzwerks.

Anfang März war es dann soweit: Etwa 50 AEMP-Mitglieder und 100 EMP-Studierende aus ganz Deutschland reisten für zwei Tage in die Landesmusikakademie nach Berlin. Auch einige österreichische und schweizerische Gäste waren dabei. Die oben genannten Themen befanden sich bereits zu Beginn der Tagung an Pinnwänden und auf dafür vorbereiteten Arbeitstischen in mehreren Arbeitsräumen. Der erste aktive Arbeitsschritt lautete dementsprechend, sich interessengeleitet in Gruppen zusammenzufinden, über die Themen zu diskutieren, erste Lösungsansätze Brainstorming-artig zu kreieren und an Flipcharts zu visualisieren. Vorläufige Zwischenergebnisse wurden in Form erster Lösungsansätze diskutiert und dem Plenum mithilfe einer offenen Marktplatz-Präsentation anhand der kommunikationsintensiven Methode eines sogenannten Gallery-Walks präsentiert.

Am nächsten Morgen bestand – frei nach dem Motto „Modellieren geht über Studieren“ – ein weiterer, intensiver Arbeitsauftrag darin, in den bereits vertrauten Kleingruppen im Rahmen einer zeitlich begrenzten Bau- und Konstruktionsphase mithilfe der Aktivierung eigener kreativer Ressourcen und der Zuhilfenahme von Bastel- und Schrottmaterialien Modelle zu bauen. Dabei hieß es, schnell zu sein, um das am Vortag bereits auf Flipcharts Visualisierte in etwas Greifbares zu verwandeln und gegebenenfalls noch bestehende, unterschiedliche Sichtweisen während des Bauvorgangs zusammenzuführen. Im Handumdrehen nahmen am Vortag entworfene Ideen im Wortsinn Gestalt an – und im übertragenen Sinne schimmerte die auf vielfältigste Arten und Weisen in Augenschein genommene Zukunft der EMP plötzlich dreidimensional auf, indem sie plastisch und begreifbar wurde. Als Marktplatzbesucher*in bewegte man sich anschließend regelrecht auf einem großen EMP-Abenteuerspielplatz, um die Modelle der anderen zu betrachten, zu hinterfragen und – falls erlaubt – auch zu berühren.

Studentisches Netzwerk

Zu den besonderen Highlights gehörte am Ende der Werkstatt wohl die Gründung eines studentischen Netzwerks, für das ab sofort eine Gruppe von vier EMP-Studierenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich zeichnet. Die kommunikative Basis für einen kontinuierlichen Dialog zwischen Hochschule, Studium und Berufswelt sowie Lehrenden, Studierenden und Alumni könnte damit – erstmalig solide durchdacht und zukunftsorientiert konzipiert – gelegt sein. Über ein ansprechendes, kommentiertes Fotoprotokoll hinaus begann die eigentlich „harte“ Arbeit wohl erst im Anschluss an die vielseitigen und kurzweiligen Arbeitsphasen: Welche konkreten Umsetzungspläne und -maßnahmen lassen sich aus dem Ideen­pool und den mitunter kunstvollen Modellen ableiten, welche unmittelbar umsetzbaren Arbeitsaufträge sind zu vergeben, was lässt sich von wem kurz-, mittel- und langfristig realisieren?

Seitens der AEMP-Mitglieder wurden bei der sich unmittelbar an die Werkstatt anschließenden AEMP-Arbeitstagung Umsetzungsstrategien überlegt, Priorisierungen vorgenommen, Dringlich- und Wichtigkeiten festgelegt, Gäste für kommende Tagungen ins Auge gefasst und weiterdenkende Arbeitsgruppen zu einzelnen Themenbereichen gegründet. Die Aufnahme des weiterführenden Dialoges mit den Studierenden steht an den einzelnen Hochschulen für das Sommersemester an, und das Sprecher*innenteam des AEMP ist ab jetzt wohl unausgesprochen in der Pflicht, die nun zu erfolgenden Arbeitsschritte im Blick zu behalten.

Die Diskussionen waren in allen Arbeitsgruppen so intensiv und komplex, dass sich aktuell nur schwer eine Tendenz einschätzen lässt, in welche Richtung sich die Weiterarbeit entwickeln wird. Insgesamt kam man sehr anregend ins Gespräch, große emotionale Meinungsverschiedenheiten blieben dabei jedoch weitestgehend aus. Um die 150 Menschen, die nach Berlin reisen, weil sie verbindet, dass sie die EMP kennen, mögen und schätzen, sind qua Gefüge eine recht homogene Interessensgruppe. Ihr größtes Anliegen ist es, mehr und andere für ihr berufliches Lebenselixier zu gewinnen und im Optimalfall auch zu begeistern. Dementsprechend hoch war die Empathie für die Sache an sich. Die eine oder andere Pro- und Contra-Diskussion wäre womöglich etwas weniger ausgewogen ausgefallen, wenn eigene Erfahrungen mit noch mehr Überzeugung hätten dargebracht werden müssen. In Berlin konnten sich die Beteiligten stattdessen im positiven Sinne meist recht unmittelbar in unterschiedliche Betroffenenrollen versetzen. Bei solch offenen Settings gehört es selbstverständlich dazu, dass am Ende Fragen offen bleiben. Sind die entwickelten Ideen neu und im positiven Sinne utopisch genug, ist die EMP im Rahmen der kreativen Werkstatt hinreichend visionär aus der Zukunft heraus gedacht worden und wird das, was neu gewagt werden soll, am Ende wirklich besser sein als vieles, das sich in der Vergangenheit über Jahre und Jahrzehnte bewährt hat?

Flexibilitätskompetenz

Die große Frage, ob die identifizierten Leerstellen und gegebenenfalls auch Missstände präzise genug benannt wurden, um daraus Forderungskataloge abzuleiten, die im Optimalfall hinreichend Potenzial für spürbare Veränderungsressourcen mit sich bringen, kann nur die Zukunft zeigen. Dazu gehört sicher mit hoher Priorität eine spürbare Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Mehr denn je verlangt diese Aufgabe den dafür Verantwortlichen über ihre eigene Kreativität hinaus auch ein enormes Maß an Flexibilitätskompetenz ab. Dies ändert nichts daran, dass die Kreativwerkstatt für alle Beteiligten wohl eine gleichermaßen intensive wie bereichernde Abwechslung war. Wünschenswert wäre, dass zahlreiche Aspekte bei vielen Teilnehmenden auch im Alltag sowohl bewusst in Form konkreter Aufgabenstellungen als auch im Unterbewusstsein „weiterlaufen“ werden, mit dem Effekt, sich weiterhin kontinuierlich, kreativ und nicht zuletzt auch kritisch im Visionieren über die EMP zu üben.

Neben der internen Weiterarbeit an den aufgezeigten Themen werden weitere Schritte wohl auch in Form konkreter Appelle an externe EMP-Interessent*innen, Interessensgruppen und Interessenvertretungen gerichtet werden müssen. Dazu zählen an erster Stelle vermutlich die Verantwortlichen zur Optimierung der Arbeitsbedingungen für EMP-Absolvent*innen. Neben deutlich verbesserten Verdienstmöglichkeiten könnte dazu aber, um nur einige Beispiele zu nennen, Folgendes gehören: die Ermöglichung einer hierarchieübergreifenden Partizipation an der Gestaltung der eigenen Arbeitssituation, eine Förderung von Innovationspotenzial für neue Kurse und Projekte mit bekannten und unbekannten Zielgruppen (geleitet von individuellen Fähigkeiten und Interessen), eine individuelle Potenzialentfaltung gemäß Herkunft, Ausbildung, künstlerischen und musikpädagogischen Stärken und nicht zuletzt die Ermöglichung einer gelungenen und gesundheitsfördernden Symbiose zwischen Arbeits- und Privatleben.

Womöglich müssen dafür zukünftig auch noch viel mehr Zuständige identifiziert und angesprochen werden, die ideelle Ansprüche an EMP-nahe künstlerische Aktivitäten realisieren, die Experimentierphasen zulassen und die den dafür erforderlichen neuen, sozialen und kooperativen Settings hinreichend Spielraum gewähren. Last but not least wird das Gelingen einer „Charme-Offensive“ für die Weiterentwicklung der EMP wohl auch davon abhängen, ob es Studierenden und Lehrenden gelingen kann, Optionen zu identifizieren, wie sie sich mit „ihrer“ EMP allgemein und gesellschaftlich relevant an der Gestaltung von Zukunft beteiligen können.

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