Zu dem internationalen Symposium „Musikunterricht(en) im 21. Jahrhundert“, das vom 13. bis 15. September an der Hochschule für Musik Basel stattfand, trafen sich 385 Expertinnen und Experten für musikalische Bildung, darunter 125 Kinder. Organisiert wurde es von der Abteilung Forschung und Entwicklung des Studiengangs Musikpädagogik der Hochschule für Musik Basel/Fachhochschule Nordwestschweiz (www.musikforschungbasel.ch), vertreten durch Beat Hofstetter, Peter Knodt, Michael Kunkel, Meike Olbrich und Silke Schmid.
Der Zeitpunkt war für ein solches Symposium prädestiniert, da in der Schweiz die Volksabstimmung zum Verfassungsartikel Musikalische Bildung kurz bevorstand. Ideal war auch der Veranstaltungsort, eine spartenübergreifende Musikakademie, welche Hochschule, Schola Cantorum Basiliensis sowie allgemeine städtische Musikschule vereint und somit Kinder und Erwachsene aller Alters- und Leistungsstufen beherbergt, die sich dort der Komposition, Improvisation und Interpretation Neuer und Alter Musik in einer bunten Vielfalt widmen. So haben die Lehrpersonen dieser Institution Erfahrung mit kooperativen Modellen zwischen den einzelnen Abteilungen. Die Begegnung von Berufs- und Laienmusikern ist hier Alltag.
Im Zentrum des Symposiums stand die Frage, was hochwertigen Musikunterricht ausmacht und wie Zugänge zu Musik und musikalischer Förderung künftig aussehen können. Um sich dieser globalen Fragestellung zu nähern, bekamen die Teilnehmenden aus den Bereichen Instrumental- und Vokalpädagogik, Schulmusik oder musikpädagogische Forschung und Lehre auf verschiedene Weise Zugang zu Best-Practice-Modellen. Auf dem Programm standen sowohl Werkstatteinblicke und Workshops mit starkem Praxisbezug als auch wissenschaftliche Formate.
So wurden diverse Unterrichtssituationen und -konzepte vorgestellt, in welche regelmäßig im wiederkehrenden Format Begegnungen vertieft, weitergedacht und diskutiert wurden. Dadurch gelang es den Veranstaltern, auf lebendige Art und Weise die Kompetenz aller Teilnehmenden zu integrieren. Angeleitet durch professionelle Prozessmoderatoren brachten diese eigene Ideen, Visionen und Erfahrungen ein.
Praxis und Forschung
Mit seiner breiten inhaltlichen Ausrichtung gelang dem Symposium eine zeitweise Verschmelzung von Praxis und Forschung sowie von Kunst und Pädagogik. In manchen Momenten erschienen diese, auf Hochschulebene immer wieder als diametral gegenüberstehend empfundenen Perspektiven, vereint. Wie zwei zusammengehörige Seiten einer Medaille, die aus Musik und musizierenden Menschen besteht und damit von unschätzbarem Wert ist. Die Kooperation mit dem Archiv der Zukunft brachte spannende Impulse aus der Allgemeinen Pädagogik ein. Der Anschluss an die Allgemeine Pädagogik ist eine längst überfällige Notwendigkeit, da die Musikpädagogen als qualifizierte Fachleute dringend und vermehrt auch im allgemeinpädagogischen Diskurs gefordert und gefragt sind.
Musikalischen Auftakt bildete das Familienkonzert „Songcontest der Tiere“, eine tönende Suche nach dem größten Kompositionstalent unter den Tieren. Dieses musikpädagogische Projekt des Akademischen Orchesters Basel hatte zum Ziel, bereits Anfängern der Saiteninstrumente einen frühen Zugang zum großen sinfonischen Orchesterklang zu ermöglichen. Neben dem Akademischen Orchester Basel spielten streichende und zupfende Musikschülerinnen und Musikschüler aus Basel und Umgebung.
In seinem Eröffnungsvortrag „Musik! Oder die Kultivierung der Bildung“ kritisierte Reinhard Kahl, Journalist und Filmemacher (bekannt u.a. durch den Dokumentarfilm „Treibhäuser der Zukunft – wie Schulen in Deutschland gelingen“), die „Normalverwahrlosung an Schulen“, zu der er beispielsweise den Verlust der Lernfreude bereits im zweiten Schuljahr zählt. Der Begriff Schule steht dabei für alle Lernsysteme, die für (musikalisches) Lernen ungünstige Strukturen aufweisen. Kahl betont, dass Musik Schule zum Leben erwecken kann, dafür aber zunächst Raum benötigt. Hieraus ließe sich leicht ein Wortspiel kreieren, das zum Weiterdenken anregt, nämlich dass Musikschule zum Leben erwecken kann! Kann sie das, tut sie das, wie macht sie das heute und künftig? Das Erwecken zum Leben wird eine der zentralen Herausforderungen von Bildungsinstitutionen bleiben, und die Musikpädagogik hat hierzu ihren Beitrag zu leisten. Mit den Worten Barenboims ausgedrückt, braucht es hierfür Musikpädagogen, die „Kinder nicht nur zur Musik bringen, sondern durch die Musik zum Leben bringen“. Eine Veränderung (schulischer) Erziehung kann Schule zu einem Lebens- und Lernort machen, in dem Kinder von lebensfrohen Lehrern viel über das Leben und die Musik lernen.
Dass sich Schule, so Kahl, direkter Instruktion und Leistungskontrollen verschreibt und somit die Drift zum Pseudolernen verstärkt, sei obsolet. Es erklingt ein Plädoyer für autoeletische Tätigkeiten, die Kinder zu einer Haltung befähigen, die ein Dasein in der Gegenwart ermöglicht. Dazu werden Lernorte benötigt, die ähnlich den Kathedralen im Mittelalter aufzeigen, an was eine Gesellschaft glaubt und was ihr wichtig ist. Bei der Kultivierung der Bildung spielt Musik eine herausragende Rolle. Deshalb sollen Musikpädagogen künftig verstärkt mit dem Netzwerk der Schul- und Bildungsvisionäre, so ließe sich das Archiv der Zukunft vielleicht beschreiben, zusammenwirken.
Musikpädagogische Visionen
Eine entsprechende musikpädagogische Vision ist das Haus der Musik, das Prof. Dr. Andreas Doerne vorstellte. Sie basiert auf einem anderen (der eigenen Bezeichnung nach neuen) Verständnis von Musiklernen und fordert veränderte Zugänge zu musikalischen Angeboten. Musikalische Bildung soll umfassend für interessierte Menschen aller Alters- und Leistungsstufen auf der Grundlage eigenen, künstlerisch inspirierten Musizierens, jenseits stilistischer oder genrebezogener Abgrenzung stattfinden. Das Haus der Musik integriert Musikschule, Übe-
refugium, Konzerthaus, Band-Proberaum, Jazzclub, Aufnahmestudio, Bibliothek, Hör-Bar, Seminarort, Klanglabor, Kreativwerkstatt und ist ein sozialer Treffpunkt. Diese vielseitige Ausrichtung eines Hauses der Musik erfordert ein stringentes pädagogisches Konzept und eine baldige Realisierung, damit von ihm eine breitere Wirkung ausgehen kann. Entwicklung ist nämlich nur dann möglich, wenn der Vision Handlungen folgen. Die Vision ist wie die Stille in der Musik. Sie ist Grundvoraussetzung und geht der Handlung voraus.
Dass auch Musik aus der Stille kommt und dahin zurückführt, durften Kinder handlungsorientiert unter Anleitung von Sylwia Zytynska erfahren, die zusammen mit den Kindern in eine Geschichte eingebettete Klangbilder erzeugte. Dabei konnten die Symposiumsteilnehmenden erleben, wie Musik spielerisch produziert und ein Spiel zu Musik wurde. Diese musikalische Arbeit mit Kindern findet ganzjährig im Gare des Enfants statt, einer Bühne für und mit Kindern (www.garedunord.ch/garedesenfants). Ein Workshop von Dorothea Baier widmete sich der kollegialen Zusammenarbeit an Musikschulen und demonstrierte, dass diese aus einem guten Arbeitsklima und einem integrativen Führungsstil der Leitungskräfte erwächst. Schülerinnen und Schüler profitieren davon, wenn die Ensemblearbeit gut aufeinander abgestimmt ist, Team-Teaching oder ein Lehrerwechsel im Konsens stattfindet.
Interessante Einblicke in die Hornklasse von Stefan Ruf gab es in Form einer Diskussionsrunde zum Baseler Hornmodell „Von der Breite zur Spitze“, in der Schüler, deren Eltern und Ehemalige über ihre Erfahrungen in einem hochmotivierenden und individuell fördernden Umfeld berichten. Weitere Werkstatteinblicke und praktische Workshops unter anderem zu den Themen Musik und Bewegung, Soundpainting, Improvisation und Experimentelles Musizieren in der Klasse gaben neue Impulse, entfachten die Kreativität der Teilnehmenden und machten deutlich, dass Unterricht Kunst ist. Das laufende Medienprojekt „Die Kunst zu unterrichten“ der Hochschule für Musik Basel soll es ermöglichen, Unterricht anhand eines Faktorenmodells zu beschreiben und zu analysieren. Gesammelte Videobeispiele von Unterrichtssituationen ermöglichen interessante Einblicke in alltägliche Unterrichtssituationen und können zur Reflexion anregen.
„Musikunterricht(en) im 21. Jahrhundert: Wohin geht die Reise – und wer geht mit?“ So lautete der Titel des Podiumsgesprächs zwischen Ulrich Mahlert, Andreas Lehmann-Wermser, Helga Boldt und Beat Hofstetter. Es verdeutlichte, dass Einigung darüber besteht, dass Schulen und Musikschulen in Zukunft näher zusammenrücken müssen, um Kindern eine gute, umfassende musikalische Bildung zu ermöglichen. Gemeinsam gilt es Formen zu finden, die Instrumentalunterricht in der Schule möglich machen, ohne die Musikschulen völlig aufzulösen. Diese sind aus einer vielseitigen musikpädagogischen Landschaft nicht wegzudenken. Monokulturen bergen ein allen bekanntes Risiko – sie sind krisenanfällig. Strukturen befinden sich im Wandel, und die Vertreter der Musikpädagogik wollen allesamt musikbezogenes Lernen emanzipieren und stärken. Hierfür sind neue Unterrichtsformen von Nöten, die auch die Bedürfnisse der Lehrkräfte – als Pädagogen und Künstler – integrieren und deren musikpädagogischen Forschergeist pflegen.
Das Symposium gab den teilnehmenden Musikpädagoginnen und Musikpädagogen Raum für Begegnungen, Einblicke, Perspektiven, aber auch für Visionen, Träume und Ideen. Dies wirkte auf manche wie ein Lebenselixier. Sich abseits des Alltags, inspiriert durch Impulse und Begegnungen, Forschung und Praxis konstruktiv mit dem Alltäglichen auseinanderzusetzen, erzeugt eine reflexive Distanz, die es ermöglicht, das eigene Handeln zu verbessern und eigene Bedürfnisse oder Wünsche wahrzunehmen.
Offene Fragen
Ein Symposium zum „Musikunterricht(en) im 21. Jahrhundert“ darf nicht nur fertige Antworten bieten. So tauchte unter den Teilnehmern der Diskussionsforen immer wieder die Frage nach dem eigenen persönlichen Wohlbefinden bei all den derzeitigen Veränderungen auf. Wie gelingt uns Zufriedenheit im (Berufs-)Leben? Diese Frage geht weit über die motivierte Optimierung oder Erweiterung von unterrichtlichem Kunsthandwerk hinaus. Sie verweist vielleicht auf die eigentliche Bestimmung der Musik und des Menschen. Die derzeitige Auf- und Umbruchsstimmung in der Musikpädagogik darf diese zentralen Sinnfragen weder ausklammern, noch dürfen sie im Pragmatismus des Alltags und der Forschung untergehen. Im Gegenteil, sie müssen den Ausgangspunkt jeglicher Entwicklung bilden, denn Musikpädagogen, egal welcher Fachrichtung, sehnen sich ganz konkret nach Strukturen, die es ermöglichen, Lernlandschaften so zu gestalten, dass Schüler und Lehrer auf Basis gegenseitigen Vertrauens und wechselseitiger Wertschätzung gemeinsam wachsen können – mit, durch und beim Musizieren.