Zieht man nun nach einem halben Jahrhundert Bilanz in der Arbeit des Verbandes Deutscher Schulmusiker, so fällt diese zwiespältig aus. Der derzeitige Vorsitzende Hans Bäßler kann auf einen beachtlichen Mitgliederstamm von über 5.000 Musikpädagogen verweisen, auf eine Vielzahl nationaler und internationaler Grundsatzdiskussionen und Initiativen, weshalb die österreichischen Kollegen auch in ihrem Grußwort den Wunsch außerten, der VDS möge auch weiterhin die „Erste Geige im großen europäischen Orchester der Musikpädagogik spielen“. Ganz frei von Rissen im Resonanzkasten scheint indes diese „Erste Geige“ nicht zu sein. So sah man sich bei den diesjährigen Feierlichkeiten in Weimar zu einem Statement veranlasst, wonach das „Fundament der Musikpädagogik unmittelbar bedroht“ sei. Die sogenannte Weimarer Erklärung gipfelte schließlich in einem dramatischen Appell an „alle für unsere Kultur Verantwortlichen..., insbesondere dem Abbau des allgemeinbildenden Musikunterrichts Einhalt zu gebieten“.
Zu der Vielzahl von Verbänden und Organisationen, die in diesen Monaten ihr 50-jähriges Bestehen feiern, gehört auch der Verband Deutscher Schulmusiker (VDS). Als man sich 1949 begründete, galt es, zwei wichtige Traditionslinien neu zu bestimmen. Zum einen all das, was sich an musikpädagogischen Strömungen aus der Jugendbewegung der 20er-Jahre nach dem Ende des III. Reiches noch verwerten ließ, und nicht zufällig gehörte deren Protagonist Fritz Jöde 1949 zu den Gründungsvätern des VDS. Zum andern war man nunmehr bemüht, nach einer Verzögerung von fast einem Vierteljahrhundert die Modelle des preußischen Kulturreformers Leo Kestenberg umzusetzen. Diese unbestritten profilierteste Persönlichkeit, welche die Musikpädagogik je besaß, hatte zu Beginn der 20er-Jahre unseres Jahrhunderts – gewissermaßen im Alleingang – nahezu alle Strukturen und Fundamente begründet, die heute in der gesamten Musikausbildung nach wie vor wirksam sind: Musikschulen, Musikhochschulen, ja die gesamte musikalische Volksbildung. Zieht man nun nach einem halben Jahrhundert Bilanz in der Arbeit des Verbandes Deutscher Schulmusiker, so fällt diese zwiespältig aus. Der derzeitige Vorsitzende Hans Bäßler kann auf einen beachtlichen Mitgliederstamm von über 5.000 Musikpädagogen verweisen, auf eine Vielzahl nationaler und internationaler Grundsatzdiskussionen und Initiativen, weshalb die österreichischen Kollegen auch in ihrem Grußwort den Wunsch außerten, der VDS möge auch weiterhin die „Erste Geige im großen europäischen Orchester der Musikpädagogik spielen“. Ganz frei von Rissen im Resonanzkasten scheint indes diese „Erste Geige“ nicht zu sein. So sah man sich bei den diesjährigen Feierlichkeiten in Weimar zu einem Statement veranlasst, wonach das „Fundament der Musikpädagogik unmittelbar bedroht“ sei. Die sogenannte Weimarer Erklärung gipfelte schließlich in einem dramatischen Appell an „alle für unsere Kultur Verantwortlichen..., insbesondere dem Abbau des allgemeinbildenden Musikunterrichts Einhalt zu gebieten“. Die Ursachenforschung jedoch, warum etwa Ausbildungsstätten ersatzlos und ohne wirksamen öffentlichen Protest gestrichen werden, warum Musik „im derzeitigen Zustand kein ordentliches Schulfach“ mehr sei, wie der frühere VDS-Vorsitzende Karl Heinrich Ehrenforth konstatierte, blieb zumeist sorgsam dispensiert – Kritik an den eigenen Anteilen der Misere, die doch ein erster wichtiger Schritt zur Besserung sein könnte, unterblieb weitgehend. Möglicherweise ist es dafür ohnehin zu spät. Da man schlechterdings nicht allen Verantwortlichen in den Ministerien Ignoranz vorwerfen kann, dürfte die zunehmend schütter gewordene Stundentafel Musik an allgemeinbildenden Schulen nicht selten exakt mit dem zusammenhängen, was im Unterricht der jeweiligen Bundesländer noch an relevanten Inhalten hervorgebracht wird (eine gewisse Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang Baden-Württemberg dar, wo Kultusministerin Annette Schavan in ihrer reformierten Oberstufe zusätzliche Pflichtstunden im Fach Musik geschaffen hat, um eine hinreichende Zahl qualifizierter Bewerber an den Ausbildungsstätten zu sichern). Und letztlich spricht nichts dafür, dass die gestrichenen Stunden eines Tages zurückgegeben werden könnten: Um die finanziellen Ressourcen der Ministerien ist es schlecht bestellt, neue Fächer drängen mit Macht in die Schulen, und im Rahmen der europäischen Einigung wird man angesichts einer Harmonisierung der Inhalte nur wenig Neigung verspüren zu einer Restauration dessen, was während der letzten Jahre längst auf dem Müllhaufen der deutschen Musikpädagogik endgelagert wurde – nämlich die eigene Bildungstradition. Wer es nicht glaubt, der werfe einen Blick auf das Selbstverständnis eines Faches, wie es sich in Weimar artikulierte: Toleranz gegenüber anderen Kulturen, verantwortlicher Umgang mit der Geschichte, da sollen Brücken gebaut und über Musik mitmenschliche Kommunikation angebahnt werden. Auch die Perspektiven verheißen wenig Gutes. Da wurde ein schwedisches Modell für die Ausbildung an Musikhochschulen vorgestellt, welches in den ersten Semestern mit der Pädagogik beginnt („der Mensch im Mittelpunkt“). Aus Wien schließlich berichtete man über ein zukünftiges Ausbildungskonzept, in dem musikalische Kompetenz der Studierenden zwar „nicht hinderlich, aber nachrangig“ sei. Alle genannten Tendenzen sind, für sich genommen, nicht ohne Berechtigung. In ihrer Gesamtheit verweisen sie jedoch ausschließlich auf Begründungszusammenhänge, die nicht aus dem Fach selbst herrühren, sondern ihre Legitimation in wünschenswerten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen suchen. Die Bemerkung des früheren bayerischen Kulturministers, Hans Maier, Musik sei „selber Geist, ein eigenständiges Element der Bildung“, trifft auf ein Fach, welches besagten Geist längst auf akustische Phänomene reduziert hat, die in den Dienst eines voraussetzungslosen und rein kompensatorischen Unterrichts gestellt sind. Ganz in diesem Sinne gemahnte die Vorsitzende des Bundeselternbeirates in ihrem Grußwort daran, die „kognitive Vergewaltigung“ im Musikunterricht zu unterlassen – welch unsägliche Kulturlosigkeit, an diesem Ort, zu diesem Anlass! Dergleichen aber bleibt allein schon deshalb unwidersprochen, weil sich Schulmusik ohnehin in die Rolle eines cordon sanitaire gefügt hat, der – allenfalls noch in Fun-Kategorien messbar – den Lebenskampf von Schülern im Stahlbad von Wissensüberhäufung erträglich macht. Dieser Kotau könnte dem Fach Musik spätestens dann zum Verhängnis werden, wenn Bildungsplaner entdecken, dass dergleichen, etwa im Fach Ethik, auch ohne den Umweg über Klangtapeten zu bewerkstelligen wäre. Jede Generation von Musikpädagogen, so der VDS-Bundesvorsitzende Hans Bäßler, habe ein Recht auf Irrtum. Letzterer könnte für ein Fach, das man sehenden Auges auf primär kompensatorische Funktionen regredieren ließ, durchaus finale Konsequenzen haben – ähnlich einem schleichenden Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Und auch den in diesen Weimarer Tagen mehrfach zu vernehmenden Wunsch nach einem „neuen Kestenberg“ sollte man sich vielleicht besser versagen. Von dessen aus Busoni und der spätromantischen Musik herrührenden Bildungs- und Kunstverständnis ist man nämlich heute weiter entfernt denn je.Hauptrubrik
Vergebliches Warten auf den neuen Kestenberg
Untertitel
Schulmusik in Deutschland: Erste Geige mit Rissen im Resonanzkasten · Von Hermann Wilske
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