In der neuen musikzeitung, Ausgabe Mai 2023, fand sich ein Beitrag zum Thema „Musikwettbewerbe und ihre Jurys“. Im Nachgang baten wir einige verantwortliche Wettbewerbsleitungen um eine Stellungnahme und Einschätzung dieser Untersuchung. Der nmz-Redaktion ging es dabei darum, ein Meinungsbild von Verantwortlichen zu erhalten, und Hinweise darauf, was es braucht, um generell Musikwettbewerbe fair zu gestalten. Lesen Sie die Antworten der Musikchefin von BR-Klassik, Meret Forster, die in einer Doppelspitze mit Falk Häfner den ARD-Musikwettbewerb leitet, sowie von Irene Schwalb, Projektleiterin des Deutschen Musikwettbewerbs. Für den Internationalen Instrumentalwettbewerb Markneukirchen antwortete Carola Schlegel schriftlich, gemeinsam mit Prof. Julius Berger und Prof. Christian Lampert. Gregor Willmes von der Bechstein Stiftung antwortete ebenfalls in Schriftform.
Meret Forster,
ARD Musikwettbewerb
neue musikzeitung: Frau Forster, wie kann man Juryurteile allgemein transparenter machen?
Meret Forster: Jeder Wettbewerb, egal, ob auf nationaler oder internationaler Ebene, kann und sollte Jury-Richtlinien publik machen, die verbindlich für alle Juror*innen sind, die eingeladen werden. Die Richtlinien des ARD-Musikwettbewerbs findet man auf der Website. Von der Jury vergebene Punkte zu veröffentlichen, halte ich deswegen für kritisch, weil die Jury eben nicht über objektive, technisch messbare Dinge urteilt, sondern über eine künstlerische Leistung und Performance. Ich kann mir vorstellen, dass sich eine Jury sehr schnell im Mittelfeld des Punktesystems bewegt, wenn dieses veröffentlicht wird, und sich schwer tut, sich für jemanden stark zu begeistern. Damit wird potentiell auch eine klare Positionierung verhindert. Aus der Perspektive der Teilnehmenden kann das ein Frustmoment sein. Um eine Bepunktungsdynamik im Auge zu haben und intern transparent zu halten, haben wir beim ARD-Musikwettbewerb ein Sechs-Augen-Prinzip. Das heißt, die Juror*innen können und sollen individuell und geheim punkten, aber der Juryvorsitz und die Leitung des Wettbewerbs dürfen Einblick nehmen. Da ist schon ein Kontrollmechanismus da.
nmz: Was gibt es noch für Konzepte, die Wettbewerbsfairness garantieren?
Forster: Ich finde zum Beispiel die Schülerthematik ganz wichtig. Auch diese ist in unseren Richtlinien ganz klar definiert. Ein Jurymitglied darf bei einem*er Schüler*in nicht werten. Für mich ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass die Zusammensetzung der Jury international, möglichst paritätisch und ausgewogen ist – da sind Lehrende dabei, aber keine wettbewerbsreisenden Juror*innen, sondern Stimmführer*innen von ersten Pulten in Orchestern, Kammermusiker*innen oder Solist*innen, die sich gut in die Podiumssituation der Kandidat*innen hineinversetzen können und nicht ausschließlich lehrend unterwegs sind.
nmz: Was halten Sie von dem Vorschlag, Mitarbeiter von Künstleragenturen oder Musikkritiker zu bestellen?
Forster: Bei einem internationalen Musikwettbewerb liegt bei der Jury eine große Verantwortung. Sie muss meiner Meinung nach Klangerzeugung, technisches, instrumentales und sängerisches Tun einschätzen können. Wir sind der Überzeugung, dass die Juror*innen, die entweder noch selbst eine Bühnenkarriere verfolgen oder ausgebildete Musiker*innen sind, fachlich urteilskräftiger und -fähiger sind als Agent*innen, die vielleicht eher andere Dinge im Blick haben. Ein Agent vertritt oft verschiedene „Spezies“ – Dirigenten, Sänger, Pianisten – und dann soll er zum Beispiel über Posaunen ein Urteil fällen...? Wir bewegen uns im „Spitzensport-Bereich“. Es geht manchmal um Nuancen. Um da argumentativ stark zu sein und eine Bewertung begründen zu können, muss das Handwerkliche und Künstlerische gelernt, verstanden und praktiziert worden sein. Deswegen gilt für uns in den Jurys beim ARD-Musikwettbewerb: keine Journalist*innen, Intendant*innen, Agent*innen.
nmz: Nora Sophie Kienast führt weitere Aspekte an. Einer der Ansätze ist es, Wettbewerbe unter anonymer Audiobedingung stattfinden zu lassen.
Forster: Das ist eine total berechtigte Anmerkung, weil Probespiele ja auch hinter dem Vorhang stattfinden. Auf der anderen Seite ist die künstlerische Gesamtpersönlichkeit auf einer Tonspur nur reduziert zu erleben. Den Eintritt ins Berufsleben startet man auch nicht im stillen Kämmerlein oder allein im Aufnahmestudio. Da gehören Vermittlungskompetenz und Bühnenpräsenz dazu. Das technische und klangliche Können ist Voraussetzung. Aber dann kommt noch dieses „gewisse Etwas“ oben drauf – im besten und positivsten Sinne „Rampensauqualität“, Ausstrahlung, Charisma-Qualitäten, die ein Lehrer auch nur begrenzt vermitteln kann. Ein ARD-Preisträger wie beispielsweise der Klarinettist Sebastian Manz hat von der ersten Runde an ein Vermittlungsanliegen ausgestrahlt, das spürbar und erlebbar war und damals sicherlich in die Preisfindung mit eingegangen ist.
nmz: Die Arbeit geht auch auf die Sitzordnung der Jury ein. Wie sinnvoll wäre es in Ihren Augen, die einzelnen Jurymitglieder im Publikum verteilt zu platzieren?
Forster: Diesen Vorschlag finde ich fragwürdig: Eine Sitzordnung alleine ist nicht die Garantie für Fairness, weil es so viele andere Austausch- und Kommunikationsmöglichkeiten gibt, machen wir uns nichts vor.
nmz: Sie sind seit 2016 mit der Leitung des ARD-Musikwettbewerbs betraut. Was haben Sie in der Zeit in Bezug auf Juryarbeit verändert?
Forster: Das Thema Gendergerechtigkeit ist eines, was mir natürlich auf den Nägeln brennt, immer mit der Maßgabe: Kompetenz vor Gender. Es ist in manchen Fächern gegebenenfalls mehr Arbeit, eine Jury möglichst paritätisch zu besetzen, aber es ist dringend notwendig, dass sich solche Jury- und Gremienzusammenstellungen ändern. Das haben wir uns auferlegt. Die Internationalität muss dabei natürlich immer gewahrt bleiben. Auch die Repertoirelisten schreiben wir permanent fort. Zum Beispiel gibt es jetzt im Harfenwettbewerb im ersten Durchgang in einer Kategorie eine Auswahloption von vier Werken, die alle von Komponistinnen stammen. Beim Klaviertrio ist auch einmal ein Trio von Rebecca Clarke dabei oder in der zeitgenössischen Sparte eines von Judith Weir. An der Zusammenstellung von Jury und Repertoire und an der Vergabe von Kompositionsaufträgen arbeiten wir jedes Jahr von neuem.
nmz: Sind Musikwettbewerbe Ihrer Meinung nach wirklich unter Legitimationsdruck, wie Nora Sophie Kienast schreibt? Ist dieses Nadelöhr, durch das viele Karrieren gehen müssen, tatsächlich so problematisch und von Unfairness bedroht?
Forster: Ich sehe Musikwettbewerbe zuallererst als Chance. Nicht jede Musikerkarriere braucht als Sprungbrett einen Wettbewerbserfolg. Es gibt auch andere Wege. Nicht zuletzt sollte jeder individuell entscheiden, was für ihn eine Karriere als Musiker oder Musikerin wirklich bedeutet. Reden wir allein von Solistenkarrieren? Dieser Solistenberuf ist hart und wird auch nicht unbedingt leichter. Da kann ein Wettbewerbserfolg oder selbst eine Teilnahme ein Sprungbrett sein, ein Podium, eine Chance, ein Begegnungsort. Wettbewerbe sind Plattformen für junge Musiker*innen, um auf sich aufmerksam zu machen. Allein sich darauf vorzubereiten, bedeutet zu wachsen und sich weiter zu entwickeln. Wer an einem Wettbewerb teilnimmt, muss wissen, dass er sich einer subjektiven Bewertung durch eine Jury aussetzen wird. Denn noch einmal: Es gibt in der Musik keine absolut messbaren Kriterien wie etwa die Zeitmessung beim 100-Meterlauf. Nicht zuletzt ist ein Musikwettbewerb auch ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem Musikbegeisterte zusammenkommen – auf der Bühne wie auch im Publikum.
nmz: Warum sprechen jetzt gerade so viele über die Arbeit von Frau Kienast? Trifft sie einen wunden Punkt?
Forster: Wir sind in der Gesellschaft und im Kulturleben an einem Punkt, wo prinzipiell vieles – oft auch zu Recht – hinterfragt wird, wo nach der Corona-Pandemie auch ein Musikleben wieder neu belebt werden will und neu startet. Das kann eine riesige Chance sein, aber wir merken auch, wie schwierig das ist. Gegenüber politischen Verantwortungsträgern scheint der Kultur- und Musikbetrieb oft und allzu schnell in eine Rechtfertigung für Kostenaufwände und Minderheitenrelevanz gehen zu müssen. Es ist nicht üblich, dass Klassik als Imagewert verstanden wird. Vor diesem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund erfährt eine solche Arbeit Aufmerksamkeit, weil Existenz und Kostenaufwände von Musikwettbewerben schnell gerechtfertigt werden müssen.
Ich wünsche mir hier wirklich eine Differenzierung und Diskussion. Die methodische Grundlage dieser Arbeit kann und sollte man dringend diskutieren. Ob eine qualitative Auswertung auf der Basis von 10 befragten Jurorinnen und Juroren und 4 Teilnehmenden wirklich belastbar und aussagekräftig ist, möchte ich zumindest in Frage stellen. Ich würde mir wünschen, dass es zu einer kritischen Selbstbefragung einiger Institutionen kommt und Themensensibilisierung stattfindet. Das ist vielleicht ein positiver Effekt der ganzen Sache, dass an der einen oder anderen Stelle Evaluation und Bewegung einsetzt. Das wünsche ich mir auch für unser gesamtes Musikleben.
Irene Schwalb,
Deutscher Musikwettbewerb
neue musikzeitung: Wie garantieren Sie die Fairness des Deutschen Musikwettbewerbs?
Irene Schwalb: Von absoluter Fairness kann man nie sprechen, da man nicht weiß, was abends an der Hotelbar gesprochen wird. Alle, die Wettbewerbe organisieren, wissen, dass das nicht zu verhindern ist.
Mein Procedere ist: Die Jurynamen werden veröffentlicht und auch die Jury-Richtlinien, die auf der Website stehen. Die Fachjury – das sind bei uns fünf Personen – stimmen unmittelbar, nachdem sie gehört haben, ab. Da bin ich oder eine*r meiner Mitarbeiter*innen anwesend und achte darauf, dass nicht miteinander gesprochen wird, bevor alle fünf ihre Wertung abgegeben haben.
Während ich die Ergebnisse anschaue, kann geredet werden. Dann zeige ich den Juror*innen die Ergebnisse der ersten Abstimmung. In der ersten und zweiten Runde wird nur mit „Ja“ und „Nein“ gestimmt. Es gibt insgesamt vier Jury-Runden. Wir gehen ab der dritten Runde in Punkte. Zum Thema Fairness: Ich plädiere dafür, in der 1. Runde großzügig zu sein und mehreren eine Chance zu geben, sich zu zeigen. Ab der 2. Runde muss man streng werden.
nmz: Wie kann man Juryurteile allgemein transparenter machen? Oder ist das nicht immer zielführend?
Schwalb: Ich halte das nicht für notwendig, dass jeder genau weiß, welche Punkte er hatte. Der Teilnehmende ist bei uns Stipendiat*in und weiß, dass er oder sie mindestens 13 Punkte erreicht hat.
Wie knapp das war, spielt dann keine Rolle. Beim Deutschen Musikwettbewerb steht nicht fest, wie viele Preise pro Ausgabe verliehen werden. Wir wollen nicht diesen ersten, zweiten und dritten Preis. Denn das ist häufig der Grund dafür, warum es immer wieder bis zur Prügelei bei der Jury kommt. Es können auch mehrfach Preise für dasselbe Instrument verliehen werden. Im aktuellen Wettbewerb sind noch 22 von 44 Cellist*innen in der 2. Runde und ich gehe davon aus, wir haben mindestens eine*n Preisträger*in. Es können also nicht nur bereits bekannte Namen gewinnen, sondern jeder hat eine Chance. Das halte ich für echte Fairness.
nmz: Sollte man anonym, also hinter dem Vorhang spielen?
Schwalb: Das halte ich nicht für zielführend. Man kann sicher darüber diskutieren, inwieweit das Auge mithört. Ich sage: ‚Entweder ich kann mein Zeug oder ich kann es nicht so gut.‘ Und da ist mir der Vorhang eigentlich schnuppe.
nmz: Halten Sie es für richtig, dass häufig Professor*innen und Lehrende in der Jury sitzen? Wäre es nicht sinnvoller, „Außenstehende“ wie Dirigent*innen, Korrepetitor*innen, erfahrene Inhaber*innen von Solostellen (ohne Lehrauftrag), Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Agenturen oder auch Musikkritiker*innen einzubeziehen?
Schwalb: Ich nehme das in Kauf, denn wer kann es denn besser beurteilen? Ich habe häufig die Musikkritikerin Eleonore Büning oder Volker Hagedorn in der Jury. Aber für das Handwerkliche habe ich in der Cellojury Wen-Sinn Yang oder Wolfgang Emanuel Schmidt. Natürlich hören wir immer wieder den Vorwurf, dass Juror*innen eigene Schüler*innen im Wettbewerb haben. Bleiben wir beim Cello: Ich brauche die drei Professoren in Deutschland, deren Leute alle internationalen großen Wettbewerbe gewinnen: Wolfgang Emanuel Schmidt, Jens Peter Maintz, Wen-Sinn Yang. Ich wäre töricht, diese prominenten Juroren nicht einzuladen. Natürlich kommen auch deren eigene Studierenden zum Wettbewerb. Wie soll es denn anders gehen, wenn ich attraktive Jurys haben will. Die Teilnehmer sollten nicht besser spielen als die Juroren. Ich erwarte aber von der Jury, dass sie diese Fairness haben, sich damit auseinanderzusetzen, dass jemand nicht bei ihm studiert und trotzdem gut ist. Zudem versuche ich, ehemalige Preisträger*innen in den Wettbewerb zu holen. Denen ist es egal, wo jemand studiert. Der Deutsche Musikwettbewerb hat noch ein Alleinstellungsmerkmal: Von der 3. Runde an haben wir eine Gesamtjury, die sich aus allen vorherigen Fachjurys zusammensetzt. Damit wird garantiert, dass das Fachliche nicht überhandnimmt, sondern die Musik und der Typus des/der Musiker*in bewertet wird.
nmz: Woher kommt es Ihrer Meinung nach, dass Wettbewerbe immer wieder mit Vorwürfen wie den genannten zu kämpfen haben?
Schwalb: Dass die Autorin Nora Sophie Kienast nur zehn Personen befragt hat, finde ich grotesk. Man braucht ein größeres Bild. Außerdem hätte ich auch Leute aus der Organisation befragt. Wir sind nicht beim Sport: Wir können nicht in Zentimetern messen, wir können nicht die Stoppuhr stellen. Und das ist gut. Es geht nicht um Leben und Tod. Es geht um eine Förderung von 25 bis 30 Künstlerinnen und Künstlern für drei Jahre.
Im Zentrum steht bei uns eine wertschätzende Wettbewerbsatmosphäre. Das geht damit los, dass wir Gespräche zwischen Jurymitgliedern auf dem Flur verbieten und endet mit ausführlich Zeit fürs Feedback. Diese Gespräche finden stets mit der kompletten Jury und dem oder der Teilnehmer*in statt.
Carola Schlegel,
Internationaler Instrumentalwettbewerb Markneukirchen
Carola Schlegel: Wir haben die Erfahrung, dass es bei internationalen Musikwettbewerben unfair zugehen würde, persönlich nicht gemacht. Gerade der Wettbewerb in Markneukirchen wird als sehr fair wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass dem früheren Präsidenten des Wettbewerbes für Blasinstrumente und jetzigen Ehrenpräsidenten Prof. Peter Damm genau diese geforderte Fairness immer schon extrem wichtig war. Die von ihm entworfene Wettbewerbsordnung und die Auswahl der Jurymitglieder in Zusammenarbeit mit der/dem Juryvorsitzenden hatte immer eben die geforderte Fairness als Maxime.
neue musikzeitung: Wie kann man Juryurteile transparenter machen?
Schlegel: Eine Veröffentlichung der persönlichen Wertungen halten wir für falsch, da die Juror*innen dann nicht nach bestem Wissen und Gewissen punktieren könnten, sondern sich mehr danach richten könnten, so zu punkten, dass sie nicht „auffallen“! Feedback an jede*n einzelne*n ausgeschiedene*n Teilnehmer*in erachten wir für geeigneter, als die Punkte bekannt zu geben. In Markneukirchen nehmen sich alle Juror*innen diese Zeit nach den jeweiligen Runden (teilweise mehr als 2 Stunden nach einem „Marathontag“!).
nmz: Wie garantieren Sie die Fairness Ihres Wettbewerbs?
Schlegel: Als Mitglied der World Federation of international Music Competitions sehen wir uns besonders hohen Standards von Musikwettbewerben verpflichtet. Dazu gehören auch Kriterien, die mit Blick auf die Jury die größtmögliche Fairness sicherstellen sollen. So berücksichtigen wir u. a. Folgendes:
- Die Jury setzt sich aus Musikern oder Personen aus dem Musikbereich zusammen, die international für ihr Fachwissen, ihre Kompetenz, Integrität und Fairness anerkannt sind.
- Die Mehrheit der Jurymitglieder sind anerkannte Experten in der Disziplin des jeweiligen Wettbewerbs.
- Eine Minderheit der Jurymitglieder können Experten in verwandten Disziplinen sein.
- Die Jury besteht aus mindestens 7 Mitgliedern, mit überwiegend nicht deutscher Staatsangehörigkeit.
- Vorspiele hinter einem Vorhang scheinen uns nicht geeignet, denn in einem Wettbewerb sucht man ja die/den beste*n Solist*in – dazu gehört auch untrennbar deren/dessen Bühnenpräsenz. Und da lässt sich der visuelle Eindruck (nicht das Outfit!) nicht von der Musik trennen.
Dass während des Wettbewerbes nicht über noch im Wettbewerb befindliche Kandidaten*innen gesprochen wird, ist Bestandteil jeder Juryordnung des Internationalen Instrumentalwettbewerbes Markneukirchen und wird aus den genannten Gründen zu Beginn jedes Wettbewerbes den Jurymitgliedern verdeutlicht und in fast jeder Jurybesprechung erneut erwähnt. Die räumliche Distanz zwischen den Mitgliedern der Jury ist in Markneukirchen seit Jahrzehnten gegeben, indem die Tische der Jurierenden einzeln im Raum verteilt stehen.
nmz: Sollte man Richtlinien für die Jury veröffentlichen?
Schlegel: Die Juryordnung des Wettbewerbs wird von uns in Auszügen für die Teilnehmer in den Wettbewerbslokalen veröffentlicht. Darin enthalten sind beispielsweise bei Wettbewerben für Blasinstrumente u. a. folgende Informationen:
- Die Jury soll aus mindestens sieben Juroren bestehen. Ihr gehören angesehene Künstler und Pädagogen des In- und Auslandes an.
- Der Präsident ernennt eine Jury für die Vorauswahl, die unter seiner Leitung stattfindet.
- Gehört ein Kandidat zum Schülerkreis eines Jurors, kann dieser bei der Bewertung dieses Kandidaten nicht mitwirken; er lässt das Bewertungsfeld leer. Besuchte ein Kandidat Kurse oder Seminare eines Jurors, bleibt es dem Juror überlassen, ob er werten will oder ob er die Bewertung wegen Befangenheit unterlässt. Kein Juror, der mit einem Kandidaten verwandt oder verschwägert ist, darf diesen bewerten.
- Die Juroren, einschließlich des Juryvorsitzenden, dürfen keinen Kontakt zu Teilnehmern aufnehmen, die sich noch im Wettbewerb befinden.
- Als Maßstab für die Bewertung sind die Erfordernisse des professionellen internationalen Konzertlebens anzulegen.
- Bewertet werden:
I. Technische Souveränität
II. Ausdrucksstärke des Klanges
III. Geistiges Verständnis des Werkes, seiner stilistischen Besonderheit (insbesondere bei Barock und Klassik)
IV. Kammermusikalische Fähigkeiten
V. Überzeugungskraft der künstlerischen Persönlichkeit
Die zuletzt genannten Kriterien der Bewertung werden zudem in der Ausschreibung des Wettbewerbes veröffentlicht und sind damit bereits vor einer Bewerbung jedem Kandidaten/jeder Kandidatin zugänglich.
nmz: Halten Sie es für richtig, dass häufig Professor*innen und Lehrende in der Jury sitzen?
Schlegel: Dass eine Jury aus Nicht-Hochschullehrer*innen fairer entscheidet, bezweifle ich stark. Auch Kritiker*innen, Veranstalter*innen, (gerade) Musiker*innen in Solopositionen sind doch mindestens genauso befangen oder unbefangen, wie Hochschullehrpersonen.
Gerade weil man sich in der Musikwelt kennt, hat man als Präsident/Juryvorsitzende/r die Möglichkeit, die Juryauswahl so zu treffen, dass möglichst integre, firmenunabhängige, faire, dem jungen Teilnehmerfeld offene und aufgeschlossene Jurymitglieder ausgewählt werden. Einen Teil mit Nicht-Lehrenden zu besetzen ist bereits oft gängige Praxis.
nmz: Welche Veränderungsvorschläge halten Sie für zielführend?
Schlegel: Nicht zielführend ist:
- Spielen hinter der Wand
- Jury ausschließlich aus Nicht-Hochschullehrern
Für zielführend halten wir:
- Einzelne „fachfremde“ Jurymitglieder (war bisher oft nicht durchführbar wegen der zeitlichen Belastung)
- Eventuelle Veröffentlichung der Juryordnung (erfolgt bereits in Auszügen)
- Bewertungskatalog (haben wir bereits in Markneukirchen)
- Jury verteilt im Raum (ist gegeben in Markneukirchen)