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Der Unkoordinierbare

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Lamentationen des koordinierenden Redakteurs
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Die neue musikzeitung ist bundesweit eine einmalige Musikzeitschrift: Sie ist Organ der großen Verbände des deutschen Musiklebens. Und sie ist unabhängige Kultur- und Musikzeitung, deren Redakteure in Regensburg, München, Frankfurt und Leipzig tätig sind. Ein komplexes Gebilde also, das koordiniert sein will.

Die neue musikzeitung ist bundesweit eine einmalige Musikzeitschrift: Sie ist Organ der großen Verbände des deutschen Musiklebens. Und sie ist unabhängige Kultur- und Musikzeitung, deren Redakteure in Regensburg, München, Frankfurt und Leipzig tätig sind. Ein komplexes Gebilde also, das koordiniert sein will.Daraus ergab sich im Laufe der Jahre ein eigentümliches Pflichtenheft für den jeweiligen koordinierenden Redakteur. Er ist nicht einfach Musikredakteur, sondern gleichzeitig Schlussredakteur, Textredakteur, Chef vom Dienst und Rezensent. In beinahe 50 Jahren nmz-Geschichte machten diesen Job Eckart Rohlfs, Franz A. Stein, Theo Geißler, Ulrich Walczuch, Hellmut Wechsler und Reinhard Schulz. Seit 1997 koordiniere ich die nmz.

Das heißt, ich versuche es, denn die Redaktion der nmz besteht aus vielen klugen, aber auch eigensinnigen Köpfen. Unter diesen Köpfen gibt es einen, den ich (innerlich) längst für „unkoordinierbar“ erklärt habe: Es ist Gerhard Rohde, seit 1969 zuständig für die Berichte im Blatt. Zweiter Chefredakteur neben Theo Geißler (eigentlich auch völlig unkoordinierbar) wurde er 1986. Die Funktion eines koordinierenden Redakteurs hat er selbstverständlich übersprungen. Zum Glück: Denn Rohde ist das Gegenteil von redaktioneller Koordination, er steht für redaktionelle Anarchie. Wo andere ihre Wochen- und Monatsplaner mit sich herumschleppen, da zieht Rohde nach langem Suchen einen Zettel aus der Jacketttasche, auf dem ein Termin oder die Telefonnummer notiert ist, die er braucht. Wenn er sie nicht zufällig im anderen Anzug gelassen hat.

Themenpläne, Meetings, Redaktionssitzungen – für Rohde sind das alles Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit. Er kommt und geht, wann er will. Dennoch: Zeitung machen ist und bleibt auch für ihn ein Termingeschäft. Insofern hat er sich so weit an Realitäten angepasst, dass er bei telefonischer Terminanfrage schon mal die Proforma-Zusage gibt: „Ich komme zum nächsten Umbruch“. Das sagt allerdings noch nicht sehr viel. Denn darin schwingt immer mit: „Und was macht ihr, wenn ich mal nicht komme?“

Etwa eine Woche vor dem Umbruch häufen sich Rohdes Anrufe. Wenn ich den Hörer abnehme und ich höre die zwei Silben „Roh-de!!!!“, dann weiß ich, der Umbruch hat begonnen. Schließlich die erste Ankündigung der realen Ankunft: „Ich komme Mittwoch und bleibe bis Freitag.“ Unnötig auf diese Floskel zu bauen! Eine Opernpremiere in Brüssel, Salzburg, Paris oder wenigstens München kann diese schöne Planung jederzeit zunichte machen: „Roh-de, Tach! Ich kann heute nicht kommen, ich komme wahrscheinlich Donnerstag. Lass uns telefonieren.“

Tags darauf erneut ein Anruf: „Ich fahre jetzt gegen 11.00 Uhr in Frankfurt, (Salzburg, Brüssel) los“. Diesen Satz quittiere ich nur mit einem (müden) Lächeln. Ich weiß, dass heute nichts mehr gearbeitet wird. Rohde kommt wahrscheinlich spätabends, erscheint womöglich gar nicht mehr in der Redaktion, sondern fährt direkt ins Hotel. Wahrscheinlicher aber spricht er zuerst der deftigen Regensburger Küche zu. Oft genug schafft er es, auch meine Arbeitsmoral zu zerstören: Dann gehen wir in eine Wirtschaft, am liebsten zum Pächter des Landshuter Hofs, Herrn Silberhorn. Dort am schweren Holztisch räsoniert der „Unkoordinierbare“ über Gott und die Welt und ist sichtlich zufrieden mit seiner, die Arbeitsmoral zersetzenden Wirkung, die er gerne noch mit einigen Bärwurz (für Nichtbayern: ein starker Kräuterschnaps aus dem Bayerischen Wald) verstärkt.

Sonntag früh um 12.00 Uhr. Rohde ist seit drei Tagen in der Stadt, doch geschrieben hat er bestenfalls ein, zwei kleine Meldungen. Die Seiten müssten schon längst belichtet sein! Erst wenn ich gewissermaßen „Dolche lächle“, wenn mein Blick beginnt, leicht zu flackern: Dann endlich fängt Rohde an.

Endlich herrscht die Spannung und der Zeitdruck, den er braucht. Jetzt schreibt er druckreif in den Computer. Die Korrekturleser schicke ich nach Hause, sie sind nicht mehr nötig. Seite um Seite füllt sich, und beim ersten Lesen erkenne ich den einen oder anderen Gedanken wieder, der uns im Biergarten unter den Kastanien durch den Kopf gegangen ist. Zumindest durch Rohdes Kopf.

So entstehen sie, die Rohde-Texte, über deren weitere Fassetten (bei Rohde würde freilich Facetten stehen, er schreibt konsequent in der alten Rechtschreibung) auch in anderen Artikeln dieses Dossiers geschrieben wurde.

Sonntag Nachmittag, 17.00 Uhr. Die Übergabe an die Belichtungsfirma läuft bereits, da steckt Rohde seinen Kopf nochmals durch die Tür: „Auf Wiedersehen, ich melde mich.“ Ich schaue ihm nach und weiß: Ohne Termindruck und ohne „seinen“ koordinierenden Redakteur stände nichts auf dem Papier, wäre alles nur ins Blaue des Himmels über einem oberpfälzischen Biergarten gedacht. Ich sammle meine Seitenmappen ein und während ich zur Filmabnahme fahre, träume ich wieder einmal meinen alten Traum: „Wenn du wüsstest, lieber Gerhard Rohde, dass ich den Druck-termin längst um zwei Tage nach hinten verschoben hatte, ohne dir Bescheid zu geben. Nur um deine Texte rechtzeitig zu kriegen...“

PS: Selten hat Rohde übrigens mal eine Umbruchwoche gefehlt. Seine ganze widerspenstige Unkoordinierbarkeit ist nur geschickte Tarnung absoluter Verlässlichkeit gegenüber „seiner“ nmz und Verantwortung gegenüber dem Gegenstand seiner Reflexionen, der Musik sowie ihrer Schöpfer und Interpreten.

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