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Die Ausstellung „Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022“ ist vom 24. November bis 12. Februar im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt zu sehen. Fotos: Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum
Die Ausstellung „Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022“ ist vom 24. November bis 12. Februar im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt zu sehen. Fotos: Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum
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Der vergessene Komponist

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Zum 200. Todestag von E. T. A. Hoffmann gab es kaum Aufführungen seiner Musik
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„Unheimlich fantastisch“ jubelt der Titel der Ausstellung in der Staatsbibliothek Bamberg, in der Staatsbibliothek zu Berlin und im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt am Main über den Autor, Musikschriftsteller, Kapellmeis­ter und Komponisten, dessen fantastische Sujets über Generationen Leser faszinierten und Künstlerinnen aller Gattungen zu Nachschöpfungen inspirierten.

Doch sein kompositorisches Schaffen betreffend herrschte um den 200. Todestag des 1776 in Königsberg geborenen, 1822 in Berlin verstorbenen Ernst Theodor Amadeus Hoffmann akustische Ebbe. In Felix Pestemers historischer Graphic Novel „Alles bleibt anders“ über die Geschichte des Berliner Schauspiel- und Konzerthauses am Gendarmenmarkt ist E. T. A. Hoffmann beim Brand am 29. Juli 1817 präsent – und als Komponist jener „Undine“ (1816), welche für den Beginn der deutschen romantischen Oper oft in einem Atemzug mit Webers „Freischütz“ (1821) genannt wird.

„Stimmt, von Hoffmann gibt es dieses Jahr keine Oper.“ sagt die Frau beim Einlass des E. T. A.-Hoffmann-Hauses Bamberg Anfang Oktober. Gegenüber der Kasse hängt ein Plakat von konzertanten „Undine“-Aufführungen mit Marcel Cordes und Antonia Fahberg im Jahr 1959. In den 1990er Jahren gab es an der alten Spielstätte des E. T. A.-Hoffmann-Theaters eine andere Produktion unter dem damaligen Intendanten Rainer Lewandowski, der in seinen Ruhestandsjahren zahlreiche Texte über Hoffmann für Regionalkultur und Tourismus verfasste. Eine Rundfunk-Neuproduktion wie die legendäre mit Rita Streich (1959) gab es 2022 nicht und die SWR-Aufnahme mit Krisztina Laki unter Roland Bader entstand vor 29 Jahren. Dabei schätzen Kenner E. T. A. Hoffmanns Vertonung von Fouqués Novelle weitaus höher als jene von Albert Lortzing. Undines Abschiedsgesang und der Schlusschor gehören in Hoffmanns Vertonung zu den eindrucksvollsten Musiktheater-Szenen des frühen 19. Jahrhunderts.

In der Erinnerungskultur-Wüste um die Musik E. T. A. Hoffmanns war es rühmlich, dass das Leipziger Kammermusikfestival Con spirito im September sein Grand Trio E-Dur auf das Programm des Eröffnungskonzerts setzte. Con spirito „beleuchtet(e) zudem zahlreiche weitere Komponisten, die sich dem Hoffmannschen Künstlerbild und dem Alter Ego Johannes Kreisler verschrieben haben – alles eng verbunden mit der Musikstadt Leipzig“, versprachen die Veranstalter. E. T. A. Hoffmann war von 1813 bis 1814 vom Operndirektor Joseph Seconda als Musikdirektor in dessen Operngesellschaft berufen worden. Die mehr am literarischen Nachruhm des „Gespenster-Hoffmann“ als an dessen kompositorischem Schaffen orientierte Hommage des Festivals war immerhin ein engagiertes Gegenargument zu Norbert Elys Invektive in der Rezension von zwei Kammermusik-CDs auf Deutschlandradio vom 29. Juni 2003. Ely resümierte, „dass Hoffmanns poetische Prosa eben doch musikalischer ist als seine vergleichsweise prosaische Musik“. Seit Generationen wird Hoffmanns Kompositionen auch in der Sekundärliteratur eine niedrigere Qualität als dessen Belletristik und Musikliteratur zugeschrieben. Die Überprüfung und im Idealfall Widerlegung solcher Verurteilungen wären eine konzeptionelle Aufgabe für das Jubiläumsjahr gewesen. Aber dazu kam es aufgrund mangelnder Konzert- und Musiktheater-Offerten nicht. Hinsichtlich Entdeckungen und Würdigungen schnitten der Schweizer Romantiker und Liszt-Schüler Joachim Raff oder César Franck weitaus günstiger ab.

In der Konzertreihe des Bayreuther Pianohauses Steingraeber spielte der Pianist Albert Lau am 25. Juni 2022 zum 200. Todestag in einem „hundsföttischen, nichtswürdig vergeudeten Abend“ Hoffmanns Klaviersonate A-Dur AV 22 zwischen Robert Schumanns „Kreisleriana“ und seinen „Kinderszenen“. Der jüngste Eintrag eines Bühnenwerks von E. T. A. Hoffmann auf der Online-Plattform Operabase ist die Produktion von der 1808 als Probearbeit in Bamberg entstandenen Oper „Der Trank der Unsterblichkeit“ am Theater Erfurt (2012). Der 2021 verstorbene Romantik-Raritäten-Allrounder Peter P. Pachl, welcher mit seiner leidenschaftlichen Eloquenz immer wieder Intendanten zu verwegenen Initiativen mitgerissen hatte, trug jahrelang die Idee der posthumen Uraufführung von Hoffmanns Singspiel „Liebe und Eifersucht“ mit sich herum und hatte diese mit dem Pianopianissimo-Musiktheater München 2002 auf dem Flaggenhof der Plassenburg Kulmbach mit zwei Klavieren realisiert. Eine historisch informierte Wiedergabe der originalen Partitur folgte erst 2008 bei den Ludwigsburger Festspielen und am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz, inklusive CD. Der damalige Gärtnerplatz-Intendant Ulrich Peters, derzeit am Badischen Staatstheater Karlsruhe, hatte sich über die öffentliche Anerkennung gefreut.

Vor Hoffmanns Kompositionen drückten sich 2022 sogar Raritäten-Archäologen wie das Münchner Rundfunkorchester, die Neuburger Kammeroper, Edda Mosers Festspiel der deutschen Sprache im Goethe-Theater Bad Lauchstädt und Intendanzen, die sonst vor nichts zurückschrecken.

Warum? Wahrscheinlich braucht es für E. T. A. Hoffmann generell leidenschaftliche Gesinnungstäter wie Pachl oder den als Editor von Werken wie Meyerbeers „Ein Feldlager in Schlesien“ und Joachim Raffs „Samson“ tätigen Volker Tosta. Die Überlegungen von Sebastian Ritschel für seine erste Spielzeit als Intendant am Theater Regensburg sind paradigmatisch für das generelle Zögern der Theater bei Opern Hoffmanns. Ritschel hatte vor Jahren „Undine“ für eine Wiederaufführung erwogen und „überprüft“, aber „hinsichtlich Publikumsattraktivität gab es gewichtigere Präferenzen, andere Themen waren drängender.“ Gegen neue Opern mit berühmten Sujets und ambitionierte Musicals hat Hoffmann offenbar keine Chance, auch weil die Raritäten-Suche derzeit mehr im frühen 20. als im 19. Jahrhundert stattfindet.

Guy Montavon, der am Theater Erfurt eine imposante Reihe von romantischen Entdeckungen wie Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ und Reinthalers „Das Käthchen von Heilbronn“ herausbrachte, reagiert in seiner Erinnerung an die Publikumsreaktionen zum „Trank der Unsterblichkeit“ nicht enthusiastisch. Als eventuelle Gründe für die Vernachlässigung der Kompositionen E. T. A. Hoffmanns beobachten Montavon und Peters in den letzten Jahren einen Popularitätsverlust des literarischen Schaffens von E. T. A. Hoffmann, der auch einen Interesseverlust an Aufführungen seiner musikalischen Bühnenwerke nach sich zieht. Peters setzt das in Bezug zu den Veränderungen der Schullehrpläne. Montavon bezeichnet aus seiner kulturellen Prägung als französischer Schweizer die hohe Wertschätzung für Hoffmann in Frankreich, von der im Zusammenhang mit Bühnen-Nachschöpfungen von Offenbach, Delibes und Tschaikowsky regelmäßig zu lesen ist, als beschönigende Mystifizierung.

So sind auch im Hoffmann-Jahr Nachschöpfungen im Musik- und Tanztheater als Adaptionen von Hoffmanns Belletristik häufiger zu erleben als seine eigenen Kompositionen. Dazu zählt etwa Léo Delibes‘ Ballett „Coppélia“, dessen originales Sujet nach der Novelle „Der Sandmann“ durch andere Stoffe wie Ira Levins „Die Frauen von Stepford“ erweitert wird. Für das Ballett „Der Nussknacker“ ist „Nussknacker und Mausekönig“ zudem eine sekundäre Quelle, weil Tschaikowsky und der Choreograf Marius Petipa die poetische Bearbeitung „Histoire d’un casse-noisette“ von Alexandre Dumas Vater dem Original vorzogen.

Offenbachs von Peters als „genial“ apostrophierte fantastische Oper „Les Contes d’Hoffmann“ nach dem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré hat bei Publikum und Bühnenschaffenden ihre große Beliebtheit nur zum Teil wegen der Collage mehrerer Novellen und Motive Hoffmanns. Zum einen sind die vielen Fassungen und Editionen von Offenbachs Fragment besonders affin zu den multiperspektivischen und sprunghaften Erzähl- und Wiedergabetechniken der Gegenwart. „Offenbachs Oper hat den idealen Plot für spezifische Themen unserer Zeit: Es geht um Bilder vom Frau-Sein und ihre Zerstörung, Identitätsprobleme, die Visionen eines Künstlers und die Zweifel an der Welt“, erörterte Guy Montavon. Deshalb ist Offenbachs faszinierende Oper auch im Jubiläumsjahr der häufigste und bekannteste Musikbeitrag zu E. T. A. Hoffmann. Vom Rathausturm von Offenbachs Geburtsstadt Köln erklingt jeden Tag daraus Hoffmanns „Ballade von Kleinzack“ als Glockenspiel.

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