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Dreizehneinhalb Popstars und ein Instrument

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Das Prominenz-Potenzial der 90er auf der Compilation „At Home With The Groovebox“
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So klingt der Werbetext der Firma Roland für ihr Produkt, die MC 505 Groovebox, offiziell „Dance Music Sequencer“ betitelt. Offensichtlich ist das Gerät ein Tausendsassa, 46 cm breit, 32 cm tief und 11 cm hoch. Gewicht: fünf Kilo, portabel also. Neben den zahlreichen Effekt- und Bearbeitungsmöglichkeiten lockt es mit programmierbarem Mixer, Midi-Control sowieso dem besonders schicken D-Beam-Controller: Per Handbewegungen in einem Infrarotlichtstrahl lassen sich Effekte steuern. Da grüßt das gute alte Theremin, das in den Neunziger Jahren von vielen Elektronik-Musikern wiederentdeckt wurde. Das Entscheidende an der MC 505 aber ist: Die Soundbanken beherbergen so ziemlich alle maßgeblichen, legendären und immer wieder neu zu entdeckenden Geräusche und Klänge aus der Dancemusik-Geschichte der vergangenen 20 Jahre.

„Dank der 64-stimmigen Polyphonie und des neuen High Performance Sound Chips hat die MC 505 Groovebox 512 allerfeinste Dance Sounds mit reichlich Druck. Um den Sound genau an deine Musik anzupassen, hat sie außerdem besonders flankensteile Filter, eine ADSR Hüllkurven Regelung, wirkungsvolle LFO- und Filter/Amplifier-Regler und einen Low Boost-Regler mit Oktavierungs-Schalter (Deine Nachbarn wird‘s freuen...).“ So klingt der Werbetext der Firma Roland für ihr Produkt, die MC 505 Groovebox, offiziell „Dance Music Sequencer“ betitelt. Offensichtlich ist das Gerät ein Tausendsassa, 46 cm breit, 32 cm tief und 11 cm hoch. Gewicht: fünf Kilo, portabel also. Neben den zahlreichen Effekt- und Bearbeitungsmöglichkeiten lockt es mit programmierbarem Mixer, Midi-Control sowieso dem besonders schicken D-Beam-Controller: Per Handbewegungen in einem Infrarotlichtstrahl lassen sich Effekte steuern. Da grüßt das gute alte Theremin, das in den Neunziger Jahren von vielen Elektronik-Musikern wiederentdeckt wurde. Das Entscheidende an der MC 505 aber ist: Die Soundbanken beherbergen so ziemlich alle maßgeblichen, legendären und immer wieder neu zu entdeckenden Geräusche und Klänge aus der Dancemusik-Geschichte der vergangenen 20 Jahre. Bill Mooney, 32-jähriger Chef der amerikanischen Rock-Merchandising Firma Tannis Root, war begeistert von dem Instrument und bat diverse Bands und Musiker aus dem Pop-, Rock- und Elektronikmusik-Umfeld, die üblicherweise nicht speziell den Dancefloor beschallen, um je einen Track oder Song. Der sollte allein mit der MC 505 eingespielt werden. Nur Gesang und mit der Groovebox bearbeitete Samples waren zusätzlich erlaubt.

 

Die meisten Kontakte ergaben sich von selbst, immerhin zählt Tannis Root Stars wie Beck, Sonic Youth und Pavement zu ihren Klienten. Und die Zusammenarbeit mit Grand Royal, der Plattenfirma der Beastie Boys, eröffnete weitere Prominenz-Potenziale: Das Trio selbst hatte zwar keine Zeit, Money Mark, Buffalo Daughter oder Johns Sohn Sean Lennon aber schon.

Das riecht natürlich nach einem konzertierten Schulterschluss innerhalb des Mainstream-Formats „Alternative“. Und Roland lacht sich ins Fäustchen. Doch wer nach dem pophistorischen Stellenwert der Fender Stratocaster Gitarre, der Moog- und Yamaha DX7-Synthesizer oder des Technics 1210MK2-Plattenspielers fragt, interessiert sich ja auch weniger für die Einnahmen der Hersteller-Firmen. Was also sagt diese Compilation über die Popmusik per Groovebox?

Mooney hatte natürlich nicht vor, ein Demo-Produkt für Roland zusammenzustellen. „Die Absicht des Projektes war, dass die Künstler sich der Sache mit einer experimentellen Haltung nähern. Die Idee ähnelt dem Versuch, jedem Künstler die gleichen Werkzeuge und einen Haufen Holz in die Hand zu drücken und sie um den Bau eines Schuppens zu bitten“, skizziert er seinen Ansatz und bat zum Beweis seiner Seriösität noch drei Veteranen der Synthesizer-Musik um einen Beitrag: Den 72-jährigen Dick Hyman aus New York, eher ein Mann des Jazz, der aber in den Sechzigern schon mit Synthesizern musiziert hat. Dazu den Electronic-Pop-Helden Jean-Jacques Perrey sowie dessen Wegbegleiter in den 60ern, Gershon Kingsley, der 1972 das Instrumental „Popcorn“ in die Welt setzte und damit zu Ruhm und Reichtum kam.

Nun ist die Groovebox ein Instrument, dessen Vorzüge im schnellen Recyceln, Organisieren und Variieren bestehender Klänge liegen, ein Instrument also, das trefflich die allgemeine Pop-Ästhetik der Neunziger Jahre widerspiegelt. Kein Wunder also, dass die Zusammenstellung „At Home With The Groovebox“ wie eine Manifestierung dieser Ästhetik, mit allen Nach- und Vorteilen, gehört werden kann. Selten hat sich der Reichtum der digitalen Speicher als gleichzeitig geschichtsträchtiger und beliebiger Klangkosmos deutlicher offenbart. Doch neue Sounds, wie der „Popcorn“-Pluck, den Kingsley damals auf dem Moog-Synthesizer generiert hatte, lassen sich kaum aus den Presets schaffen.

Kingleys Groovebox-„Schuppen“ geriet im übrigen zu einer Neu-Modellierung seines One-Hit-Wonders. Ihm, dem alten Recken, schien das Gerät jedoch keine Inspiration zu liefern, der Track klingt mit seinem schlappen Beat und den schmierigen Flächen wie – nun ja: wie altes, in der Schachtel aufgeweichtes Popcorn eben. Jean-Jacques Perrey wiederum hat sich bei seinem „Groovy Leprechaun“ vollends im Gewimmel der Presets verloren. Und Dick Hyman blieb seiner Stellung als Künstler mit dem geringsten Popappeal dieser Runde treu: Er schuf eine wallende Synthie-Streicher-Komposition mit der Reduzierung auf fast einen einzigen Sound. So zeichnet es sich ab, dass die schlüssigeren Ergebnisse mit der Groovebox von den Musikern stammen, die die popkulturellen Entwicklungen der 90er ganz unmittelbar erlebt und, wie John McEntire von der Band Tortoise, zum Teil mitgestaltet haben. „Boys – press a Million Dollar buttons“, raunt Super-Eklektiker Beck, während er drei Minuten lang souverän mit den diversen Sounds jongliert. Weder er noch Air noch die anderen Nineties-Helden zeigen Probleme mit den unzähligen Möglichkeiten eines solchen Gerätes. Ihre Beiträge wirken in den besten Fällen wie kleine schillernde Paläste und in den zweitbesten immer noch wie nette skurrile Baumhütten. Das Geheimnis liegt in der Unbekümmertheit, mit der ein Großteil der Musiker das Konzept umsetzte – jener Unbekümmertheit, die gewichtigen Anteil am vergangenen Pop-Jahrzehnt hat: „The Groovebox is a little toy, so we wanted to do something not serious with it“, meint Nicolas Godin von Air zu dem Projekt. Sean Lennon, der sein niedliches „Winged Elephants“ im Tourbus gebaut hat, und die britische Band Bis bekennen ebenfalls, das Gerät mache ihnen vor allem „Spaß“. Dementsprechend haben Bis ihre kleine wilde Pophymne „Oh my!“ mit einem pointierten Refrain geschmückt: „I can do it with my MC 505; You can do it with your MC 505; They can do it with their MC 505; Everybody, come on – MC 505!“ Punk ist, wenn jedermann mit einem leicht zu bedienenden Werkzeug im Garten einen Schuppen bauen kann. 1977 hieß das noch: Lerne drei Gitarrenakkorde und gründe eine Band.

„Jochen“, der Betreiber der Internet-Fanpage, formuliert es so: „Ich selber habe meine Groovebox zum Ausspannen und zur Abwechslung gekauft. Eigentlich spiele ich Heavy Metal E-Bass.“

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