Seit John Adams’ „Nixon in China“ ist die Affinität der Minimal-Music-Oper zu zeitgeschichtlichen Sujets klar; mit der bescheideneren deutschen Variante von Gerhard Rosenfelds „Kniefall in Warschau“ (und pittoresken Opernhelden wie Brandt und Genscher) bestätigte sich dieser Konnex, den der Marktführer Philip Glass zugunsten (trivial-)mythischer Stoffe eher vermeidet. Dabei hatte er zuvor mit „Einstein on the Beach“ eine vehemente Diagnose des vergangenen Wissenschafts- und Technik-Jahrhunderts geleistet.
In die Nähe solch einer Generaluntersuchung kamen jetzt die „Three Tales“ des 65-jährigen Amerikaners Steve Reich, entstanden auf Anregung von Klaus-Peter Kehr, dem früheren Leiter der Wiener Festwochen, und jetzt dort als Uraufführung zu erleben (der erste der drei Teile wurde bereits separat in Bonn vorgestellt).
Weitaus lockerer und zufälliger mutet der Zusammenhang der „Three Tales“ an. Der erste Akt handelt vom Absturz des deutschen Luftschiffs „Hindenburg“ im Jahre 1937, der zweite von den amerikanischen Atombombentests 1946 auf dem Bikini-Atoll. Beim dritten Segment waren die Autoren zunächst unsicher, ob sie nochmals eine „Katastrophe“ wählen sollten (etwa die Challenger-Explosion); sie entschlossen sich dann zu einem Schlaglicht auf das Klonschaf „Dolly“, mit dem die Thematik der Gentechnologie als einem zentralen Motiv am Jahrhundertende angerissen war – einerseits einleuchtend, andererseits aber auch zu kurz und kursorisch gegriffen als 25-Minuten-Exkurs eines insgesamt nur 65-minütigen Bühnen-Essays.
Als nichtnaturalistische, multimedial technisch aufgerüstete Theaterform funktionierte das Stück ähnlich schlüssig wie „The Cave“. Die Aufführungsoptik (in einer Halle des Wiener Museumsquartiers) wurde bestimmt von einer riesigen, vielfach unterteilbaren Leinwand; hier war dokumentarisches Filmmaterial zu sehen, das einer raffiniert montierten und rhythmisierten Bearbeitung unterzogen war. Dramatisch aufgepeitschte Bilder, beim Bikini-Countdown (skandiert durch eingeblendete Genesis-Texte) angeheizt und irritiert durch quälende Wiederholungen und Multiplikationen. Fragwürdig freilich die Manipulation der Expertengesichter und -statements zur Genforschung: Es braucht nur eine Winzigkeit (ein stehkaderartig als hämisches Grinsen eingefrorenes Lächeln, einen in mehrfacher Repetition rechthaberisch anmutenden Satz), um Normalität ins bizarr Horrible zu verändern und statt Nachdenklichkeit Abscheu beim Betrachter zu erzeugen.
Die engagierte „Ideenoper“ mutiert auf diese Weise zum billigen Tendenzstück. (Harmloser und antiquierter zeigt sich das, vielleicht auch als Chaplin-Zitat, in einer die Übermacht der Technik symbolisierenden Sequenz der Hindenburg-Episode). Solche „Ausrutscher“ entwerten das dramaturgische Prinzip nicht, weisen aber auf die Gefahren eines gedankenlos mit dem „Dokumentarischen“ hantierenden Vorgehens hin.
Die Autoren sind um der „guten Sache“ und der sicheren Wirkung willen zu einer Vergewaltigung der Fakten geneigt, die bei nüchternem Blick für (vielmehr: gegen) sich selbst sprächen.
Die Sache ist auch insofern verzwickt, als die „minimal music“, wie Steve Reich sie betreibt, durchaus einen Konnex zu Gewaltförmigkeit und Katastrophe hat – das eben macht sie auch zum probaten Mittel, Zeitgeistgefühle zu musikalisieren.
Reichs Klangsphäre ist, vereinfacht gesagt, die der unentrinnbaren, losgelassenen Maschine. Deren scheinbar seelenloser Ausdruck evoziert freilich weniger Abstand und Kälte als einen suggestiven Sog, ein strudelndes Hineintauchen in einen dämonisierten Ablauf. Mit rigorosen Kanontechniken wird der gnadenlos gehärtete Tonsatz zum Pendant der optischen Katastrophendarstellung. So sind denn auch die fünf beteiligten Sänger anonymisiert zu tönenden Automaten (eine seltsame Radikalisierung des Brecht-Akteurs). Nicht weniger „maschinell“ der Instrumentalpart, den das Ensemble Modern (Streicher, zwei Klaviere, Schlagzeug) unter der Leitung von Bradley Lubman mit niemals nachlassender Anspannung wiedergab. Nick Manganos Bühnenarrangement blieb bei alldem eine weitaus diskretere Ebene als die von Beryl Korot ausgefeilt mit der Musik koordinierte Videogestaltung und -montage. Das Stück wird die Runde über verschiedene Festivalstationen machen (u.a. Holland, Straßburg, Paris, Berlin).
Interessant ist zweifellos der Aspekt der Wirklichkeitsannäherung, wenngleich das Dokumentarische als Stoff sich hier auch ungut mit einer gewaltig technifizierten „Verführungsmaschine“ verbindet.