Es begann mit Luigi Nonos „Prometeo“. Die denkwürdige Aufführung in der Salzburger Kollegienkirche bei den Salzburger Festspielen 1993 markierte den Auftakt einer wunderbaren Zusammenarbeit zwischen den Festspielen und einer privaten Kulturinitiative, die den Namen „Zeitfluss“ trug.
Es begann mit Luigi Nonos „Prometeo“. Die denkwürdige Aufführung in der Salzburger Kollegienkirche bei den Salzburger Festspielen 1993 markierte den Auftakt einer wunderbaren Zusammenarbeit zwischen den Festspielen und einer privaten Kulturinitiative, die den Namen „Zeitfluss“ trug.Der Pianist Markus Hinterhäuser und der Komponist Thomas Zierhofer-Kin boten ihre Ideen und Konzepte dem damals neuen Direktorium der Festspiele, Gerard Mortier und Hans Landesmann, an, die das Potenzial, das „Zeitfluss“ enthielt, sofort erkannten; waren doch die eigenen Vorstellungen über eine ästhetische Erneuerung des Festspielprogramms auf dieselben Ziele gerichtet: nämlich die Moderne in Musik und Szene nicht länger als Appendix zum Tradierten zu behandeln, sondern beides im Bewusstsein einer geschichtlichen Kontinuität der abendländischen Musik miteinander zu verschmelzen. Dass dieses durchaus mit hohen Risiken belastete Unternehmen in den zehn Jahren der Ära Mortier/Landesmann so überzeugend gelang, ist nicht zum geringsten den „Zeitfluss“-Initiatoren zu danken, die in den fünf Festivals – „Zeitfluss“ fand im Zweijahresrhythmus statt – ein breites Spektrum von „Musik heute“ entwarfen, das zugleich in die Zukunft verweist: In der Einbeziehung außereuropäischer Musik-Regionen, aber auch in der Erprobung neuer Formen der Vermittlung von Musik außerhalb der bestehenden Institutionen von Konzertsaal und Opernhaus.Das letzte „Zeitfluss“-Festival wirkte in dieser Hinsicht geradezu demonstrativ: Der überwiegende Teil der sechzehn Veranstaltungen fand nicht in fes-ten Räumen, sondern in einem großen Zelt im Volkspark am Rande der City statt. In einem zweiten Zelt richtete sich eine hochkarätige Gastronomie (immerhin!) ein. So breitete sich vor und nach den Konzerten fast eine kleine Woodstock-Atmosphäre zwischen den Zelten und einen nahen Teich aus. Das außereuropäische Element vertraten im Programm „Die Fakire vom Schrein des Shah Abdul Latif“ in einer Sufi-Nacht. Die persischen Komponis-ten und Musiker Nader Mashayekhi und Hossein Alizadeh vereinigten eigene Musik mit den Klängen von Perotin und Scelsi. Und wenn an einem Abend der Akkordeonist Stefan Hussong und die Sho-Spielerin Mayumi Miyata die Cage-Stücke für Sho und Akkordeon, die sich mit dem zarten Luft-Glucksen mit Wasser gefüllter Muscheln gleichsam „vermählen“ sowie eine als Verbindung funktionierende Komposition Toshio Hosokawas darbieten, dann vermeint man, sich in einem fernöstlichen Meditationsraum zu befinden.
Es gab auch Erinnerungen, die zugleich in die Zukunft weiterwirken: An den „Prometeo“ knüpfte eine Aufführung von Nonos „Io, Frammento da‘ Prometeo“ an, wieder in der Kollegienkirche, von André Richard mit seinem Freiburger Experimentalstudio souverän gestaltet. Markus Hinterhäuser (Klavier, Celesta), Robyn Schulkowsky (Percussion) und der Flötist Dietmar Wiesner unterwarfen sich und das Publikum mit Morton Feldmans „For Philip Guston“ einem fast fünfstündigen strengen Exerzitium. Hinreißend auch das Konzert mit dem Klarinettis-ten Gianluigi Trovesi und dem Akkordeonspieler Gianni Coscia. Die Nietzsche-Rezitation mit Einar Schleef muss-te ausfallen: Der plötzliche Tod Einar Schleefs erschütterte das „Zeitfluss“-Publikum. Markus Hinterhäuser widmete spontan den Cage-Abend dem Andenken an den ungewöhnlichen Künstler und Menschen Einar Schleef. Eine Lesung Erwin Steinhauers aus den Erinnerungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß beschwor gespenstisch eine fürchterliche Vergangenheit, die unverändert zu unserer Gegenwart gehört. Das „Zeitfluss“-Fes-tival hat sich in den zehn Jahren immer auch als eine moralische Instanz verstanden. Dadurch hob es sich aus der Vielzahl anderer Avantgarde-Treffen nachdrücklich heraus.