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Inhalte statt Erlebnispädagogik

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Von der Notwendigkeit gymnasialer Bildung für die musikalische Mündigkeit
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Dies beginnt in der Ausbildung an den Musikhochschulen. Viel zu lange hat es gedauert, bis dem Praxisbezug im Schulmusikstudium ein angemessener Stellenwert zuteil wurde – Defizite gibt es noch heute. An anderer Stelle hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und in permanenter Praxisnähe einen Typus Musiklehrer hervorgebracht, von dem nicht wenige Gymnasien hoffen, er möge ihnen erspart bleiben. Die Balance zwischen der umfassend gebildeten Künstlerpersönlichkeit und dem souveränen pädagogischen Vermittler scheint also nicht immer einfach. Wo aber ersteres fehlt, ist auch alle Vermittlungskompetenz letztlich entbehrlich.

Schulmusik ist in die Defensive geraten. Die Kulturpolitik und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben an dieser Entwicklung zweifelsfrei einen Anteil. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass es auch positive Tendenzen gibt – etwa die zunehmende Verfügbarkeit von Musik oder die kreativen Möglichkeiten der neuen Medien. Allein, es ist wenig produktiv, die Misere des Faches zu konstatieren oder zu beklagen. In einer Zeit raschen Wandels ist nahezu alles zur Disposition gestellt. Anstatt konsequent an ihrer Legitimation zu arbeiten, hat die Schulmusik während der letzten Jahrzehnte allzu oft an der Klagemauer gestanden oder aber Strategien entwickelt, deren Erfolg mehr als zweifelhaft ist. Ohne eine grundsätzliche Revision der hausgemachten Versäumnisse und Fehlentwicklungen kann es daher keinen Wandel geben. Dies beginnt in der Ausbildung an den Musikhochschulen. Viel zu lange hat es gedauert, bis dem Praxisbezug im Schulmusikstudium ein angemessener Stellenwert zuteil wurde – Defizite gibt es noch heute. An anderer Stelle hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und in permanenter Praxisnähe einen Typus Musiklehrer hervorgebracht, von dem nicht wenige Gymnasien hoffen, er möge ihnen erspart bleiben. Die Balance zwischen der umfassend gebildeten Künstlerpersönlichkeit und dem souveränen pädagogischen Vermittler scheint also nicht immer einfach. Wo aber ersteres fehlt, ist auch alle Vermittlungskompetenz letztlich entbehrlich. In der Schule selbst wird immer noch viel zu oft ein Unterricht erteilt, dessen Attraktivität noch optimiert werden könnte. Es ist daher nicht länger zeitgemäß, Fortbildungen in das Belieben der einzelnen Musiklehrkräfte zu stellen. Ein Interessenverband täte gut daran, sich verpflichtenden Fortbildungen (wie in der Schweiz) nicht zu verschließen. Eine solche Maßnahme demonstrierte zugleich nach außen den festen Willen, zu verbesserten Qualitätsstandards in der Schule beizutragen. Schließlich ist die Option überfällig, Spitzenpositionen in der Ausbildung nur mehr auf Zeit zu besetzen. Ein solcherart beschleunigtes Innovationstempo käme der gesamten Schulmusik zu gute. Die wohl tiefgreifendsten Konsequenzen hat der Musikunterricht dadurch erfahren, dass man (letzlich aus gesellschaftlichem Druck) den Wissenskanon des Faches weitgehend zugunsten von voraussetzungslosen Inhalten suspendiert hat. Lernen im Musikunterricht, so scheint es, dient nicht länger primär dem Wesen von Musik, sondern neben dem nötigen Ausgleich im Schulalltag vor allem dem Erwerb von Sozialkompetenz – der Fähigkeit zu Kommunikation und Toleranz, kurzum: Musik als Lebenshilfe. Eine solche Pädagogik, die gern mit den humanen Wirkungsweisen von Musik kokettiert, steht nicht nur mit Blick auf die eigene Geschichte auf höchst unsicherem Fundament. Musikunterricht ist nämlich hier mit Beliebigkeit eines Tuns verkettet, an dem Adorno schon vor einem halben Jahrhundert beklagte, Musik habe hier ihr humanes Ziel nicht in sich selbst, sondern in ihrer pädagogischen Verwendbarkeit.

Dergleichen kann nicht gut gehen. Wissen im Musikunterricht ist nämlich gleichbedeutend mit Anforderungen, mit einem kontinuierlichen Aufbau von Verstehen, mit der Tradierung theoretischer Inhalte statt vordergründiger Erlebnispädagogik samt ihrem diffusen psychologischen Überbau. Nur so, in eigener Entscheidung durch eigene Mündigkeit, vermag sich ein Schüler vom akustischen Kulturmüll zu befreien, anstatt ihn sich zu eigen zu machen. Allein so können Standards verinnerlicht oder in der medialen Welt kreative Momente von Verfallsmomenten unterschieden werden – auch und gerade in der Popularmusik. So haften denn dem Verzicht auf die inneren Gesetzmäßigkeiten des musikalischen Kunstwerks durchaus reaktionäre Züge an. Zugleich untergräbt er die Berechtigung eines Schulfaches Musik, das seinen eigenen Gegenstand aus dem Blick verloren hat.

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