Hauptbild
Keine Lust mehr zum Singen - Heldenbariton Theo Adam wird 90. Foto: Hufner
Dirigent Levine wird 75: Ein Geburtstag, überschattet von Vorwürfen. Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Dirigent Levine wird 75: Ein Geburtstag, überschattet von Vorwürfen

Publikationsdatum
Body

New York - James Levines Geburtstag hätte so schön werden können. Vor fünf Jahren hatte die Metropolitan Opera ihren gefeierten Dirigenten noch mit einem Sonderprogramm hochleben lassen, ein ganzes Wochenende wurde in New York ein Konzert-Marathon mit Werken von Mozart, Verdi und anderen Meistern abgehalten. Heute kämpfen die Met und Levine, der im März nach Anschuldigungen sexuellen Missbrauchs rausgeworfen wurde, vor Gericht gegeneinander. Beide Seiten fordern Schadenersatz in Millionenhöhe. Happy Birthday, James Levine.

Die künstlerische Hinterlassenschaft des Dirigenten, der am 23. Juni 75 Jahre alt wird, will die Met deshalb nicht einfach verpuffen lassen. «Historische Daten zu allen Auftritten während seiner umfangreichen Met-Karriere sind auf der Met-Website verfügbar», stellte Met-Sprecher Tim McKeough Anfang des Monats in der «New York Times» klar. Mehr als 175 der von Levine dirigierten Aufführungen seien im Streamingdienst der Met abrufbar. Im Opernhaus versucht man offenbar, das Werk behutsam vom Künstler und dessen mutmaßlichen persönlichen Fehltritten zu trennen, die Levine bestreitet.

Doch in Zeiten der #MeToo-Bewegung und angesichts von Levines fortgeschrittenem Alter dürfte es schwerfallen, den angeknacksten Ruf des Dirigenten zu kitten. Levine ist der bislang ranghöchste Vertreter der Klassik-Welt, der im Zuge der #MeToo-Debatte seinen Job verloren hat. Das Boston Symphony Orchestra, wo Levine von 2004 bis 2011 als musikalischer Direktor am Pult stand und das zu den besten Symphonieorchestern der USA gezählt wird, ging bereits auf Distanz. Levine werde dort nie wieder angestellt oder unter Vertrag genommen, hieß es aus Boston.

Sein Debüt feierte der gelockte Klaviervirtuose aus Ohio 1953 mit dem Cincinnati Orchestra. Er lernte bei der legendären Klavierpädagogin Rosina Lhévinne und an der Juilliard School in New York. Der ungarische Dirigent George Szell holte ihn zum Cleveland Orchestra, wo Levine von 1965 bis 1972 auch am Cleveland Institute of Music (CIM) lehrte. Aus dieser Zeit und bis in die 1980er Jahre reichen die Vorwürfe von vier Männern. Drei von ihnen behaupten, Levine habe sie erstmals missbraucht, als sie noch Teenager waren.

Im Detail hatte der «Boston Globe» nach Gesprächen mit mehr als 20 Studenten und Ex-Kollegen Levines berichtet, dass dieser in Cleveland Anhänger um sich versammelte wie in einem Kult. Seinen als «Leviniten» bekannten Verehrern soll Levine vorgeschrieben haben, «was sie lesen, wie sie anziehen, was sie essen, wann sie schlafen - sogar, wen sie lieben», schrieb die Zeitung. Bei ihm Zuhause soll er sie musikalischen Tests unterzogen und auch zum Sex gedrängt haben. Ein Mann behauptet, Levine habe ihn als Teenager Mitte der 1980er Jahre missbraucht.

Die Schlagzeilen über Levines Suspendierung und seine Entlassung versetzten der Operngemeinde einen Schock. Langjährige Unterstützer der Met, wo Levine seit seinem Debüt 1971 mehr als 2500 Aufführungen von 85 Opern dirigierte, fragten sich, inwieweit die Met und andere Häuser von Levines mutmaßlichem Verhalten wussten.

Auch in Deutschland ist Levine kein Unbekannter: Zusätzlich zu seiner Tätigkeit in New York war er - als Nachfolger von Sergiu Celibidache - von 1999 bis 2004 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und unternahm mit dem Orchester ausgedehnte Konzerttourneen. Bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen war er zwischen 1982 und 1998 häufig zu Gast, er dirigierte dort «Parsifal» und den «Ring des Nibelungen».

In New York prägte Levine vier Jahrzehnte lang das Repertoire der Met - die Freude des Publikums an hunderten Opernabenden an der Upper West Side kann ihm niemand nehmen. Er steigerte den künstlerischen Anspruch des Hauses, tourte mit dem Orchester und interpretierte die Partituren auf lebendige, klare und geradlinige Weise.

Gesundheitliche Beschwerden - Levine dirigierte zuletzte im Rollstuhl mit Hilfe zweier Assistenten - haben ihm das Leben nicht leichter gemacht. An seinem nächsten Geburtstag könnte feststehen, ob Levine die von der Met geforderten 5,8 Millionen Dollar (6 Mio Euro) Schadenersatz wegen Rufschädigung und Verletzung seiner Pflichten zahlen muss. Fans werden sich aber lieber daran erinnern, wie er die Met in eines der bekanntesten Opernhäuser weltweit verwandelte, wie er im Disney-Spektakel in «Fantasia 2000» an Seite von Micky Maus im TV zu sehen war oder wie ihn das «Time»-Magazin 1983 auf der Titelseite bezeichnete: «Amerikas Top-Maestro».

Ort