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Ende eines New Yorker Alptraums: Geiger Stefan Arzberger ist frei. Foto: Lieberwirth
Ende eines New Yorker Alptraums: Geiger Stefan Arzberger ist frei. Foto: Lieberwirth
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Ende eines New Yorker Alptraums: Geiger Stefan Arzberger ist frei

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New York - 461 Tage lang saß Stefan Arzberger in den USA fest. Nach einem endlos scheinenden Gezerre um eine Nacht in einem New Yorker Hotel kommt der Paukenschlag: Der Mordvorwurf gegen den Star-Geiger wird fallen gelassen. Es ist das vorläufige Ende einer bizarren Justiz-Story.

Dicke, rote Buchstaben kündigen den nächsten Teil des Justiz-Alptraums an: «Stefan Arzberger Verfahren in New York vertagt», steht am Donnerstag auf der Unterstützer-Website für den Leipziger Geiger geschrieben. «Nächste Anhörung am 10. August 2016», ist im englischen Teil der Website zu lesen. Dabei ist dieses wohl dunkelste Kapitel im Leben des Musikers beendet, das Verfahren beigelegt, die Anhörung gestrichen. Nach juristischem Gezerre über 15 Monate ist Stefan Arzberger ein freier Mann und kann die Heimreise nach Deutschland antreten. Noch im Juli wird er in Leipzig erwartet.

Es ist eine dramatische Wendung in einem bizarren Fall, der den 43-Jährigen seit seiner Festnahme im März 2015 in New York an den Rand der Verzweiflung getrieben haben dürfte. Denn die Vorfälle jener Nacht in einem Hotel nahe des Columbus Circle, wo Arzberger während seiner Tournee mit dem Leipziger Streichquartett einquartiert war, haben sein Privatleben komplett auf den Kopf gestellt und auch seine Karriere als Musiker für mehr als ein Jahr durchkreuzt.

Fast zu Tode habe er eine Unbekannte in einem Hotelzimmer gewürgt, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, nachdem die Polizei ihn am Morgen des 27. März festnimmt. Arzberger weist die Vorwürfe zurück und beteuert, sich an nichts erinnern zu können. 30 Stunden verbringt er hinter Gittern, bevor er gegen eine Kaution von 100 000 Dollar auf freien Fuß kommt. Doch bis der Vorwurf des versuchten Mordes geklärt ist, entzieht ihm die Justiz den Pass. Arzberger sitzt in der Millionenmetropole fest.

«Man ist einsam und wird immer einsamer», sagt er der «New York Times» im Sommer 2015, als seine Tage des Wartens zu Wochen und Wochen zu Monaten geworden sind. Schweren Herzens trennt er sich schließlich vom Leipziger Streichquartett, weil das Ensemble nicht planen kann, solange niemand weiß, was mit ihm wird. Das Verfahren zieht sich hin, wieder und wieder werden Gerichtsanhörungen vertagt. In Gesprächen mit der Deutschen Presse-Agentur klingt Arzberger teils hoffnungslos. Zu Hause in Deutschland kämpfen Unterstützer für ihn und sammeln Spenden.

Die überraschende Wendung verdankt er nun seinem Anwalt Nicholas Kaizer, der einen Fall von 1974 ausgrub und die Staatsanwaltschaft zur Neubewertung der Akte Arzberger bewog. Ein stark betrunkener Mann hatte damals um sich geschossen und konnte sich nach einem Kopfschuss der Polizei, den er überlebte, an nichts mehr erinnern. Trotz dieses Gedächtnisverlusts konnte der Täter sich schuldig bekennen. Kaizer spricht von einem «historischen Präzedenzfall».

Denn auch Arzberger beteuert, sich an nichts mehr erinnern zu können. Seinem Anwalt zufolge wurde er unter Drogen gesetzt und ausgeraubt, bevor er «in unbewusstem Zustand» einen anderen Hotelgast angriff. Dass er sich trotzdem der fahrlässigen Körperverletzung ohne Vorsatz schuldig bekennen konnte, bedeutet sein Rückflugticket nach Deutschland. Die Staatsanwaltschaft lässt den Vorwurf des versuchten Mordes fallen und kann durch das Teil-Schuldgeständnis ihr Gesicht wahren. «Keine Geldstrafe, kein Gefängnis, keine Bewährung», sagt Kaizer.

Nicht nur in Leipzig ist die Erleichterung nun groß. «Wir freuen uns, dass sich die ganze Mühe, das ganze Warten, das ganze Daumendrücken gelohnt haben», sagt Rainer Ohler, Sprecher der Initiative «Support for Stefan Arzberger». Mehrere Zehntausend Euro hatten Freunde und Bekannte an Spenden gesammelt. Selbst Dirigent Kurt Masur und Schriftstellerin Irene Dische machten sich für ihn stark.

«Ich bin überglücklich, ohne meine Unterstützer hätte ich es nicht geschafft», sagt Arzberger der Deutschen Presse-Agentur. Nach der guten Nachricht sei er mit Freunden ausgegangen und habe angestoßen. Zunächst muss er nun Fragen zu Pass und Visum klären, um bald wieder in den USA auftreten zu können. Dann wolle er zu seinen Eltern im Vogtland reisen und sehen, wohin es ihn beruflich verschlägt.

Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben, denn die im Verfahren Beteiligte fordert 10 Millionen Dollar (9,1 Mio Euro) Schadenersatz. «Wir hoffen auf eine Einigung in den kommenden Wochen oder Monaten», sagt Kaizer. Der Star-Geiger blickt der Heimat trotzdem glücklich entgegen. Am Telefon sagt er am Donnerstag: «Es wird für mich ein kompletter Neuanfang werden.»