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Nachbarschaftsmusik in Coronazeiten. Foto: Kammerphilharmonie Frankfurt
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Hessens Künstler in Corona: Nachbarschaftskonzerte und Lockdown-Fotos

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Offenbach/Darmstadt - Kulturschaffende sind in besonderem Maß von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Wie steht es um die Künstler in Hessen? Wie wird ihnen geholfen und was lassen sie sich in der Krise selbst einfallen?

Geschlossene Theater, abgesagte Konzerte, gestrichene Ausstellungen: Kreative und Kulturschaffende in Hessen sind im besonderen Maße von Corona betroffen. Einer von ihnen ist Nicolai Bernstein. Der 34-Jährige ist Chefdirigent und Geiger an der Frankfurter Kammerphilharmonie. «Seit fast einem Jahr kann ich meinem Beruf nicht mehr richtig ausüben, das ist eine große Belastung», sagt er. Zugleich habe die Pandemie aber neue Möglichkeiten eröffnet. Gemeinsam mit seiner Frau Anna-Lena Perenthaler, einer international tätigen Cellistin, hatte er beim ersten Lockdown im Frühjahr Nachbarschaftskonzerte in Frankfurt-Ginnheim ins Leben gerufen und dafür Spenden gesammelt.

Wenig später wurden solche Konzerte von der Kammerphilharmonie mit Unterstützung der Stadt auch in anderen Vierteln organisiert. «Das war eine tolle Erfahrung und eine gute Möglichkeit, die Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen», sagt Bernstein. Die Musiker hätten gemerkt, wie wichtig Kultur auch in solch schwierigen Zeiten sei. Auch deshalb sollen die Konzerte im Frühjahr fortgesetzt werden.

Er wolle aber auch nichts verklären, sagt Bernstein. «Die momentane Situation ist gerade für freischaffende Künstler sehr schwierig.» So habe er auch gemerkt, dass der Kultur seitens der Politik derzeit eine eher geringe Bedeutung zukomme. «Hier würden wir uns mehr Wertschätzung und Unterstützung wünschen.»

Im benachbarten Offenbach an der Hochschule für Gestaltung (HfG) macht sich der Lockdown ebenfalls bemerkbar. Die rund 800 Studierenden werden derzeit fast ausschließlich digital unterrichtet. Die Situation sei nicht immer einfach: «Eigentlich lebt unsere Lehre von der Präsenz», sagt Jens Balkenborg von der Pressestelle der HfG. Zugleich hätten die Studierenden auf die neuen Umstände reagieren: «Viele stellen jetzt digitale Events und Galerien auf die Beine. Natürlich gab es das vorher schon, aber das hat sich durch Corona nochmal verstärkt.»

Da Ausstellungen in der Hochschule coronabedingt gestrichen wurden, hat sich die HfG was Besonderes einfallen lassen. Nach dem Motto «Wenn die Besucher nicht zu uns kommen können, kommen wir zu ihnen» wurden im letzten Jahr Kunstwerke im öffentlichen Raum präsentiert, etwa auf Plakatflächen oder an Litfaßsäulen. Und Studierende im Bereich Fotografie haben unter dem Titel «Handy, Heim, Heimat» ihren Alltag im ersten Lockdown mit Smartphone-Fotos dokumentiert. Eine Ausstellung der Bilder ist, so es Corona zulässt, noch 2021 geplant. Um Studierenden zu helfen, die in finanzielle Nöte gerieten, beispielsweise weil Jobs weggebrochen sind, haben die «Freunde der HfG» den Hilfsfonds #hfghelps aufgestellt, wo bislang rund 22 000 Euro zusammengekommen sind.

In Frankfurt hat derweil das Lindley-Hotel eine außergewöhnliche Aktion ins Leben gerufen. Das Haus vergibt für ein Jahr kostenlos fünf Zimmer an Kulturschaffende. Die einzige Bedingung: Sie sollen sich an Gemeinschaftsarbeiten beteiligen.

Und wie reagiert das Land auf die Lage der Kulturschaffenden? Hessen habe schon für die erste Welle der Pandemie ein mehr als 50 Millionen Euro umfassendes Paket geschnürt, heißt es beim Kunstministerium in Wiesbaden. Und: Das Ministerium entwickle auch jetzt wieder Hilfen, «die jene des Bundes sinnvoll ergänzen und etwaige Lücken schließen». «Kultur ist so viel mehr als das Sahnehäubchen in guten Zeiten, Kultur ist ein unersetzlicher Teil einer lebendigen demokratischen Gesellschaft», betonte Kunstministerin Angela Dorn (Grüne).

Auch am Darmstädter Staatstheater ist der Werkstatt- und Probenbetrieb runtergefahren. Insgesamt arbeiten dort rund 550 Menschen, davon sind aktuell etwa 400 in Kurzarbeit. Nach letzten Planungen soll die Bühne im April wieder für Vorstellungen öffnen. «Ob und in welcher Form wird sich zeigen», sagt Intendant Karsten Wiegand. «Die Katastrophe ist nicht, dass die Bühnen in diesem Land geschlossen sind, sondern dass täglich so viele Menschen sterben.»

Am vergangenen Wochenende hat das Staatstheater auf seiner Homepage eine Livestream-Installation «Sterberaum» des preisgekrönten Künstlers Gregor Schneider gezeigt. Diese geht den Fragen nach Tod, Sterben, Gedenken und Verdrängen nach. Das Theater hatte dafür auf seiner Webseite die Präsentation anderer künstlerischer Arbeiten unterbrochen und die Installation kostenlos in drei Perspektiven übertragen. «Es gab eine immense Resonanz und Zugriffe aus der ganzen Welt. Das hat einen Nerv getroffen», sagt Wiegand.

An der Darmstädter Bühne werden seit Beginn der Corona-Zeit verschiedene digitale Produktionen und Formate aufgeführt. Und auch jetzt im Lockdown werde viel unternommen, um Gemeinschaft zu stiften und die Kunst weiterhin sichtbar zu machen, erklärt der Intendant. So gibt es Publikumsgespräche über das Netz. Zudem wird gerade ein Hörspiel produziert, für das die Künstler von zu Hause über Zoom proben. Außerdem gibt es Aktionen mit Schulen, bei denen sich die Kinder und Jugendlichen online mit Teilen des Ensembles austauschen können. Wiegand sagt: «Wir sollten die Krise nicht schön reden, aber sie birgt auch Möglichkeiten.»