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John-Cage-Orgel
Die Orgel in der Burchardikirche in Halberstadt. Foto: John Cage Orgel Stiftung Halberstadt
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Klangwechsel nach sieben Jahren beim langsamsten Musikstück der Welt

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Halberstadt - Seit fast sieben Jahren klingt es in der Halberstädter Burchardi-Kirche nach etwas, das Rainer O. Neugebauer mit einer Mischung aus Maschinenraum und Hamburger Hafen vergleicht. Je nachdem, wo der Besucher steht, hört er etwas anderes. Wer die fast leere, annähernd tausendjährige Kirche betritt, die schon Zisterzienserinnenkloster und Schweinestall war, folgt unwillkürlich dem Klang.

Und ist mittendrin in einem verrückten Projekt, wie es Neugebauer nennt, Kuratoriumsvorsitzender der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt. Verrückt meint hier, dass die Erwartungen an ein Konzert mit Melodie und Rhythmus, Anfang und Ende, Instrument und Musiker nicht erfüllt werden.

Seit 2001 führt die Stiftung hier John Cages (1912-1992) Stück ORGAN²/ASLSP auf, gemäß der Spielanweisung des US-amerikanischen Musikers und Philosophen: So langsam wie möglich. Festgelegt sind Tonhöhe und relative Dauer der Klänge. Während die Uraufführung von Gerd Zacher 29 Minuten und 15 Sekunden dauerte, will man sich in Halberstadt 639 Jahre Zeit nehmen. So viel Zeit war laut Neugebauer zur Jahrtausendwende vergangen, seit 1361 im Halberstädter Dom die wohl erste Großorgel mit einer 12-tönigen Klaviatur fertiggestellt worden war. Auch die neue Orgel ist ein Großprojekt und nicht eben günstig. Das ursprüngliche Provisorium - ein Holzgestell mit jeweils genau den Orgelpfeifen, die aktuell nötig sind - steht bis heute. Das Geld für eine große Orgel fehlt.

An diesem Samstag steht der 14. Klangwechsel beim John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt Halberstadt an. Zu den bisherigen fünf Pfeifen c'(16'), des'(16'), dis', ais' und e'' kommen zwei neue Pfeifen gis und e'. Vor mehr als 200 Gästen in der Kirche und Hunderten auf dem Gelände davor wird der Klangwechsel zelebriert. Neugebauer, emeritierter Professor für Sozialwissenschaften und Liebhaber moderner Musik, wird weiße Handschuhe tragen und die neuen Pfeifen an die Sopranistin Johanna Vargas und den Komponisten Julian Lembke übergeben, beide sind Träger des John-Cage-Preises. Sie werden die Pfeifen in die vorgesehenen Löcher stecken. Die Aufführung geht weiter, der nächste Klang währt bis zum 5. Februar 2022. Dann fällt das gis wieder weg.

Christine Grau-Metzler und ihr Mann Rainer aus der Umgebung von Neuss sind auf Deutschlandtour und haben durch einen Zeitungsartikel von dem Cage-Projekt erfahren. «Viele kennen es gar nicht», sagt Grau-Metzler. Sie habe kürzlich bei einem Besuch in Berlin davon erzählt, gekannt habe es keiner. Faszinierend finde sie die Idee und die Umsetzung, sagt Grau-Metzler. Ihr Mann macht währenddessen beim Gehen durch die Kirche ein Video und hofft, dass er das Klangerlebnis so konservieren kann.

Wenn alles wie geplant läuft, dauert die Aufführung des Stückes bis zum Jahr 2640. Genau hochgerechnet wurde die von Cage geschriebene Original-Partitur - meinte das Projektteam, musste sich 2004 aber berichtigen. Man stellte fest, dass der erste Klang der Orgelpfeifen elf Monate zu zeitig eingesetzt hatte. Es wurde zudem ein Schreibfehler entdeckt. Die Folge: der längste gleichbleibende Klang, der aktuell zu hören ist, wurde um elf Monate bis zu John Cage's 108. Geburtstag an diesem Samstag verlängert.

Berechnet sind laut Neugebauer bislang die ersten 71 Jahre - das ist der erste von acht Teilen von ORGAN²/ASLSP. «Spätestens kurz vor dem Klangwechsel am 5. September 2072 müssen sich die Verantwortlichen dann Gedanken machen, wie es weiter geht», sagt Neugebauer. Es könnten die Teile zwei bis acht folgen, in jeder beliebigen Reihenfolge, oder der Teil eins könne wiederholt werden. Der Anarchist Cage habe sogar eingeräumt, dass es möglich ist, zuerst die Wiederholung zu spielen. Spielräume bleiben also trotz aller Berechnungen.

Oder doch nicht? «Eigentlich haben wir nur Zeit und Luft, aber es braucht auch eine materielle Basis», sagt Neugebauer. Eine stabile Finanzierung fehle. Bislang werde das Projekt rein ehrenamtlich betrieben. Spenden und private Eigenmittel halten es am Laufen. Stifter konnten Geld für die Klangjahre geben und sich mit kleinen Tafeln in der Burchardi-Kirche verewigen. «Die Hardcorefans haben fast alle schon gekauft», sagt Neugebauer. Nur rund 50 Tafeln seien noch zu haben, diese Finanzierungsquelle für das Projekt sei fast versiegt. Nötig sei eine institutionelle Förderung, die den laufenden Betrieb unabhängig vom Spendenaufkommen absichert.

Nötig seien 150 000 Euro pro Jahr, um die Kirche und das daneben stehende Cage-Haus für Veranstaltungen zu betreiben. Aktuell kämen nur knapp 50 000 Euro zusammen. Förderung gebe es nur für die Events rund um Klangwechsel, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. Wenn es keine finanzielle Lösung gibt, hält es Neugebauer für möglich, dass das Cage-Haus stillgelegt wird und auch die Kirche mit dem Cage-Stück, das weltweite Beachtung findet, nicht mehr sechs Tage die Woche geöffnet werden kann.

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