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Bundesmusikpreis Applaus wurde vergeben. Foto: Hufner
Künstler stehen in Krise mit Rücken zur Wand. Foto: Hufner
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Künstler stehen in Krise mit Rücken zur Wand - «Blick in den Abgrund»

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Mainz - Ob Sänger, Schauspieler oder Betreiber eines Kulturclubs - sie alle leiden heftig unter der Corona-Pandemie. Einnahmen brechen weg, Engagements werden abgesagt, staatliche Hilfen fließen oft an ihnen vorbei. Es droht ein Kahlschlag in der Szene.

Der Hauptraum des Mainzer Kulturclubs «schon schön» gleicht einem Lagerraum. Seit Monaten herrscht unter einer Diskokugel erzwungene Ruhe, kein DJ legt auf, keine Band spielt, keine Party steigt. Inmitten gestapelter Barhocker und zusammengerückter Couches sitzt Inhaber Nobert Schön und sagt: «Es gibt noch keinerlei Perspektive.» Er hält einen Clubbetrieb so lange für nicht wirtschaftlich machbar, wie die Abstandsregeln in der Corona-Krise gelten. Ihm sind - wie vielen anderen Akteuren aus der Kulturszene in Rheinland-Pfalz - unverschuldet und plötzlich in der Pandemie die Einnahmen weggebrochen. Aufgeben will er aber nicht.

«Helft uns den Kulturclub «schon schön» zu retten!», heißt es prominent auf der Homepage - darunter ein Video mit einem Hilferuf von Norbert Schön. Der Club stehe mit dem Rücken zur Wand, erzählt er da. Der Club habe nie auf Fördergelder gesetzt und brauche nun Spenden. Darum zu bitten, falle ihm schwer. Schön schließt seinen Aufruf mit den Worten: «Allles liebe, bis bald.»

Mehrere Wochen sind seitdem vergangen. Inzwischen sind auf verschiedenen Wegen 20 000 Euro zusammengekommen, erzählt der Inhaber. Das Ziel seien 50 000 Euro. «Wir können jeden Euro brauchen», sagt er. Corona-Soforthilfe des Landes habe das «schon schön» nicht bekommen, weil es mit 42 Mitarbeitern über der Grenze von 30 liege. Auch Stundungen etwa bei der Miete hälfen nur vorübergehend, irgendwann stünden die Zahlungen an. Auch die Mehrwertsteuer-Senkung sei bis Jahresende befristet. Wenn der Betrieb erst danach wieder starte, gehe auch das am Club vorbei.

Etwas Geld spülen inzwischen zumindest wieder das benachbarte Café «Blumen» und der Salon «3sein» in Schöns Kasse. So könne er die Verluste minimieren, in die Gewinnzone komme er damit freilich nicht. Ebenso oder noch düsterer sieht es für so manchen freiberuflichen Künstler zwischen Westerwald und Pfalz aus. Freie Kultureinrichtungen und freie Künstler aller Genres seien Mitte März in eine Art Schockstarre gefallen, für einige sei es auch der «Blick in den Abgrund», berichtet Margret Staal vom Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur Rheinland-Pfalz.

Musikclubs oder Einrichtungen ohne öffentliche Förderung stünden mehr oder weniger vor dem Nichts, berichtet sie. Da freie Kultureinrichtungen in der Regel nicht so große Räume hätten, rechneten sich Veranstaltungen mit reduzierter Besucherzahl und Abstandsgebot oft nicht, befindet auch Staal - «vom zusätzlichen Aufwand ganz zu schweigen».

Und wenn die Förderung aufgrund der Löcher in öffentlichen Haushalten in Folge der Pandemie künftig zusammengestrichen werde und das Sponsoring einbreche, könne es noch schlimmer werden. «Das große Erwachen wird vermutlich im Herbst oder kommendes Jahr kommen», befürchtet Staal - auch, weil Hilfsprogramme an Künstlern größtenteils vorbeigingen. Diese hätten weniger Ausgaben für Mieten oder Leasingraten für Autos, sie probten vielfach zuhause, nutzten Privat-Pkw, bei fehlenden Einnahmen greife kein Kurzarbeitergeld.

Für das Fehlen eines wirklichen Schutzschirms für Soloselbstständige, wie es viele Künstler sind, wurden bei einer Kundgebung am Dienstag in Mainz symbolisch zerfetzte Regenschirme aufgestellt oder in die Höhe gereckt. Künstler ganz verschiedener Richtungen - von Streich- und Blechmusikern bis hin zum Kabarettisten - zeigten auf einer Bühne unweit des Landtags ihr Können und forderten Unterstützung, damit der Weg nicht in Hartz IV führe, wie auf Plakaten dargestellt wurde.

Der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär Denis Alt (SPD) sagte: «Die Corona-Pandemie war eine Vollbremsung für die Kulturszene.» Das Land habe reagiert, etwa mit angepassten Förderbedingungen und 7,5 Millionen für Künstlerstipendien. Der Bund sei mit einem Programm von einer Milliarde Euro gefolgt, um Kultureinrichtungen, Clubs und Festivals zu helfen. «Wir brauchen hier passgenaue Hilfen.» Bei den Soloselbstständigen müsse der Bund nun noch nachlegen.

Trüb schätzt auch Astrid Sacher die Situation ein. Sie ist ein zentraler Kopf des Knirps Theaters in Bad Ems und Vorsitzende des Landesverbandes professioneller freier Theater Rheinland-Pfalz. Sie sagt: «Unsere Theater leben vom Spielen und nicht von irgendwelchen Förderungen. Sie müssen spielen, um zu überleben.» Weil sie meist nur kleine Probe- oder Aufführungsräume hätten, seien sie vermutlich die letzten, die wieder loslegen dürften. Sie könnten es sich auch nicht leisten, mögliche Rechtsrisiken bei Vorstellungen einzugehen.

Sacher sieht Verzweiflung und Existenzangst bei den insgesamt 38 in dem Verband organisierten Theatern - und «ein großes Sterben». Das werde nicht plötzlich kommen, sondern schleichend. Künstler müssten sich vermutlich Nebenjobs suchen, um über die Runden zu kommen, könnten dann aber immer weniger Zeit dem Theater widmen. Auffallen werde das vor allem dort, wo sonst weniger Kultur stattfinde, sagt Sacher. Denn die professionellen freien Theater gingen auch in kleine Orte. Auftritte in Schulen und Kitas oder auch Gemeindesälen seien in den kommenden Monaten kaum vorstellbar. «Es bräuchte dafür zum Beispiel einen geradezu wagemutigen Schulleiter», sagt Sacher.

Der rheinland-pfälzische Ableger des Deutschen Tonkünstlerverbandes beurteilt die Situation für viele Freischaffende ebenfalls als sehr schwierig. Gerade habe jemand einen Fuß für ein Engagement in der Tür gehabt, dann sei alles zusammengebrochen, ein Ende der Krise sei noch nicht absehbar, sagt die erste Vorsitzende des Landesverbandes, Carina Vogel. Freie Musiker sprängen oft kurzfristig ein, wenn Orchester aufgestockt würden oder Krankheitsvertretungen bräuchten. «Gerade passiert da aber gar nichts, weil nicht in großen Besetzungen gespielt werden kann.»

Beim Gesangs- oder Instrumentenunterricht hätten viele Musiker auf Online-Stunden umgestellt. Zahlreiche Eltern und Kinder hätten mitgezogen, sagt Vogel. Doch teils mangele es an der dafür nötigen technischen Infrastruktur, und ersetzen könne es den persönlichen Unterricht ohnehin nicht gänzlich. Sie beklagt, dass Hilfen häufig nicht bei Künstlern als letztes Glied in der Kette ankommen. Sie würden nunmal nicht engagiert, selbst wenn ein Veranstalter unterstützt werde. Viele Künstler bedrückten aber nicht nur Einnahmeverluste, einige stellten sich auch die Frage, wie viel Kultur wert sei und ob sie nicht ähnlich wie Autoindustrie oder Lufthansa ebenfalls systemrelevant sei.

Trotz aller Widrigkeiten will Clubbetreiber Schön in Mainz weiter kämpfen. Er glaubt an eine Zukunft, nicht umsonst renoviert er gerade die Toiletten im «schon schön». Er habe in den vergangenen Wochen viel Solidarität und Aufmunterung erfahren, sagt er. Das helfe, weiterzumachen. «Es ist Balsam für die Seele.»

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