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Kulturwissenschaftler Opitz: Geld für die Kultur neu verteilen

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Hannover - Stephan Opitz ist Mitautor des Buches "Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche". Dessen Vorabdruck sorgte für eine heftige Debatte. Kritik entzündete sich vor allem an der provokanten These des Buches, wonach die Hälfte der deutschen Theater und Museen entbehrlich sei. Sein Anliegen sei jedoch keinesfalls eine Halbierung der Kultur in Deutschland, sondern eine Neuverteilung der vorhandenen Mittel, betonte Opitz. Mit dem Honorarprofessor an der Universität Kiel und Referatsleiter im schleswig-holsteinischen Kulturministerium sprach dapd-Korrespondent Alexander Kohlmann.

dapd: Herr Opitz, welchen Theatern würden Sie die Gelder streichen?

Opitz: Sie setzen sofort immer notwendigerweise voraus, dass ein Theater schließen muss, wenn keine Steuergelder mehr fließen. Schon dieser Gedanke ist falsch. Wenn Sie sich die Verteilung der Theatergelder zum Beispiel in Hamburg einmal angucken, dann sehen Sie, dass die Zuschüsse, die das Deutsche Schauspielhaus und das Thalia Theater gegenüber dem privaten Ernst Deutsch Theater und den Hamburger Kammerspielen bekommen, exorbitant hoch sind.

Wir haben in Deutschland eine besonders weit auseinandergehende Schere zwischen den staatlichen Theatern und privaten Einrichtungen. Es gibt eine Zweiteilung der Kultur in Deutschland. Wir wollen nicht weniger Kultur, sondern das vorhandene Geld anders verteilen.

dapd: Wo liegt das Problem bei der bisherigen Kulturförderung?

Opitz: Wir haben ungeheuer viele Ebenen von Staatlichkeit. Wir haben oberste Landesbehörden für Kultur, dann haben wir kommunale Ebenen, dann haben wir noch die ganzen Fachverbände, Landesverbände und Bundesverbände. Das bildet sich alles in einer unheimlichen Vielzahl von nicht künstlerischen Kulturbetriebsleuten ab, die allesamt von diesen Steuergeldern leben.

Sie haben keinen einzigen Beweis, dass große Kunst der letzten 40 Jahre durch den direkten Fluss von Steuergeldern entstanden ist. Die entscheidende Frage ist: Wie setzen wir die zehn Milliarden Euro, die jährlich in Deutschland in die Kultur fließen so ein, dass zum Beispiel große Kunst entsteht und der Teil des kulturellen Erbes gut gesichert ist, den wir für unsere Verständigung über uns selbst benötigen.

dapd: Aber hat das bestehende System nicht immer wieder anerkannte Künstler hervorgebracht, wie auf der Bühne die Choreografin Pina Bausch?

Opitz: Das Phänomen Pina Bausch mit großartigem Tanztheater konnte nicht dadurch entstehen, dass irgendwer Pina Bausch besonders fördern wollte, sondern weil es eine Infrastruktur gibt. Und weil Pina Bausch eine fantastische Persönlichkeit war. Und diese Infrastruktur will niemand abschaffen.

Unser Buch hat einen ordnungspolitischen Ansatz. Die Überlegung ist, ob wir nicht zum Beispiel auch nach bildungs-, wirtschafts- und sozialpolitischen, nach raumplanerischen und demografischen Parametern zu einer anderen Verteilung kommen können. Im Moment arbeiten zum Beispiel Theater und Museen an den Grenzen verschiedener Bundesländer nicht einmal zusammen.

dapd: Besteht nicht die große Gefahr, dass experimentelle und risikoreiche Projekte nicht mehr möglich sind in einem ausschließlich auf den Markt ausgerichteten System?

Opitz: Das Ideal des vom Markt befreiten Künstlers ist eine bescheuerte Idee, deren Ursprung in Romantik und Biedermeier die Sache nicht besser macht. Es ist eine Blödsinnigkeit, dass man in Deutschland das Wort Markt nicht in Zusammenhang mit Kunst in den Mund nehmen kann. Seit 4.000 Jahren, solange wir unseren Kulturraum einigermaßen überblicken können, bewegen sich auch Künstler auf einem Markt. Ja glauben Sie denn, Homer hat ohne zu Essen abends in der Kneipe gesungen?

dapd: Angenommen, ihre Vorschläge würden umgesetzt, was wäre gewonnen?

Opitz: An allen Ecken und Enden des Kulturbetriebs fehlt Geld. Wir sagen nur, überlegt mal, wenn wir von der in Stein gemeißelten Infrastruktur einen zu verhandelnden Teil nicht mehr bezuschussen und dafür die anderen Sachen richtig gut machen, dann kriegen die Museen wieder Ankaufsetats, und die Theater können endlich ihre Sänger und Schauspieler vernünftig bezahlen.

Es könnte wieder mehr Geld in die Kunst fließen. Denn die Künstler sind in dem bestehenden System die am schlechtesten bezahlten Mitarbeiter, während die Funktionäre der Institutionen, zum Beispiel des Bühnenvereins hohe Gehälter kassieren. Das alles könnten wir in Ordnung bringen.

 

s. auch Stellungsnahmen vom Deutschen Kulturrat, der DOV und des DMR