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Münchner Philharmoniker stehen nach Thielemann-Ära vor Neuorientierung

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München - Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker, das schien eine ideale Paarung zu sein. Der bekennende Konservative mit einem ausgeprägten Faible fürs klassische und spätromantische Repertoire, der sich gerne als Kapellmeister alter Schule sieht. Auf der anderen Seite ein tief in der romantischen Tradition verwurzeltes Orchester, das den Tod von Klang-Großmeister Sergiu Celibidache, der die Philharmoniker zu Weltruhm geführt hatte, vielleicht immer noch nicht ganz verwunden hatte.

Das alles in einer Stadt mit einem Publikum, das Tradition und Kontinuität im Zweifel immer dem Neuen, Unbekannten vorgezogen hatte. Nach seinem triumphalen Einstand mit Anton Bruckners fünfter Symphonie avancierte Thielemann, der populärste deutsche Dirigent der Gegenwart, in München rasch zum Publikumsliebling. Der schneidige Maestro mit der Berliner Schnauze bediente die Beethoven-Brahms-Bruckner-Adepten mit nicht selten exemplarischen Aufführungen. Die Philharmoniker statteten als erstes deutsches Orchester dem bayerischen Papst Benedikt XVI. einen Besuch im Vatikan ab und steuerten zum Eröffnungskonzert der Fußball-WM 2006 mit allen drei Münchner Spitzenorchestern den «Einzug der Gäste» aus Richard Wagners «Tannhäuser» bei.

Streit eskaliert
Doch das Sommermärchen war nicht von Dauer. Zunächst musste Orchester-Intendant Wouter Hoekstra gehen, ein eher blasser holländischer Musikmanager. Doch auch unter dessen Nachfolger Paul Müller schien sich die Stimmung nicht nachhaltig zu bessern. Die jährlichen Programm-Pressekonferenzen gerieten zu frostigen Auftritten. Thielemann erfüllte brav seinen Vertrag, machte sich jedoch rar in der Stadt, die es immer so schätzt, wenn ihre Generalmusikdirektoren an der Isar Wurzeln schlagen. In der öffentlichen Wahrnehmung zog das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) unter Mariss Jansons, lange nur ewiger Zweiter, an den Philharmonikern vorbei. Nicht zuletzt auch durch Jansons' vehementen Einsatz für einen neuen Münchner Konzertsaal.

Im Sommer 2009 kam es zum Showdown. Der Münchner Stadtrat kippte, auf Drängen des Orchesters, die schon fertig ausgehandelte Vertragsverlängerung. Offiziell ging es darum, wer bei der Verpflichtung von Gastdirigenten und deren Programmgestaltung das letzte Wort hat: Thielemann oder Intendant Müller. Der Streit, bei dem auch die Frage im Raum stand, wie breit das Orchester repertoiremäßig aufgestellt sein soll, eskalierte.

Am Ende ging alles ganz schnell: Thielemann unterschrieb überraschend einen Vertrag als neuer Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden ab 2012. Und die Münchner verpflichteten wenig später den US-Dirigenten Lorin Maazel, der in München von 1993 bis 2002 schon einmal Chef des BR-Symphonieorchesters war.

Hoffnung auf Generationswechsel
Während sich die Philharmoniker mit Thielemanns bei dessen Amtsantritt dann 82-jährigen Nachfolger auf eine Interimszeit einstellen müssen, legt der abgängige GMD in Dresden schon vor seinem offiziellen Start richtig los. Er hat sich fest vorgenommen, die Stadt musikalisch zu prägen. Dabei kommt dem passionierten Operndirigenten zupass, dass die Staatskapelle auch die Dresdner Semperoper bespielt. So viel Thielemann in Dresden war in München nie. Seine Fans werden künftig an die Elbe pilgern müssen.

Die Münchner Philharmoniker müssen sich dagegen schon jetzt nach einem Nachfolger des Nachfolgers umsehen. Vielleicht gelingt dem eher behäbigen Stadtorchester ja endlich ein echter Generationswechsel. Jüngst stellte sich der exzentrische Teodor Currentzis, ein 39 Jahre alter Grieche aus dem sibirischen Novosibirsk, mit einem umjubelten Programm in der Philharmonie vor. «Hut ab, ihr Leute, der Mann scheint ein Genie zu sein», schrieb ein Münchner Kritiker. Wenn sich München ein Herz nimmt und den Sprung ins Unbekannte wagt, könnte der Verlust Thielemanns schneller verschmerzt sein, als gedacht.

 

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