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Einblick in ein Musikprojekt an der JVA Wuppertal-Ronsdorf. Foto: Frank Zipfel
Einblick in ein Musikprojekt an der JVA Wuppertal-Ronsdorf. Foto: Frank Zipfel
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Klingende Brücken zur Außenwelt

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Musik im Strafvollzug: Bestandsaufnahme und Perspektiven
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In Zeiten der Inklusion darf nicht vergessen werden, dass es berechtigte gesellschaftliche Interessen auch für exkludierende Settings gibt. Ein drastisches Beispiel stellt hierfür der (Jugend-)Strafvollzug dar, der in der Regel eine vorübergehende Maßnahme mit dem Ziel einer erfolgreichen Resozialisierung darstellt.

Infolgedessen muss es somit berechtigte gesellschaftliche Interessen geben, die Gruppe straffällig gewordener Menschen näher in den Blick zu nehmen. Hierbei bietet die Auseinandersetzung mit Musik, die auch „hinter Gittern“ in vielfältiger Form stattfindet, ein wichtiges Feld.

„Ich erzähle dir von der Straße,
weil es mich krank macht –
Freunde verraten, Träume platzen,
Brüder fallen hier ins Leere –
Leuchtende Blaulichtsirenen,
Mütter weinen blutige Tränen,
Gefährliche Gegend –
Pechschwarz ist die Welt, in der ich lebe, Hass, Schmerz keine Liebe“

Dieser Ausschnitt aus einem Rap-Text eines straffällig gewordenen Jugendlichen, der in einem musikpädagogischen Angebot in der Jugendjustizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf entstanden ist, stellt einen Bruchteil der Vielfalt der kulturellen und kreativen Angebote (im Musikbereich) dar, die „hinter Gittern“ möglich gemacht werden. Für Außenstehende gibt es allerdings nur sehr begrenzt Möglichkeiten, solche an deutschen Vollzugs­einrichtungen entstehenden künstlerischen Prozesse und Produkte wahrzunehmen und zu würdigen. Informationen erhält man in erster Linie aus vereinzelten Zeitungsartikeln oder aber über wenige Online-Plattformen wie etwa „knastkultur“, auf der allerdings nur die hier geförderten Projekte, Workshops und Konzerte dokumentiert werden.

Auch hier wird also nur ein Bruchteil abgebildet. Weiterhin existieren einzelne Einführungs- und Überblickstexte1 (z.B. Hartogh & Wickel 2019; Grosse & Wickel 2018; Wickel 2018; Hartogh 2007), einige Projektbeschreibungen (z.B. Brüning) und unveröffentlichte Qualifikationsarbeiten (siehe hierzu exemplarisch Bürger 2016, Ehlers 2013 und Hendler 2013), die sich mit verschiedenen Fragestellungen diesem großen Themenbereich zuwenden. Im Gegensatz zur deutlich umfangreicheren Forschung vor allem im angloamerikanischen Raum (z.B. Hickey 2015 und 2018; Cohen & Henley 2018; Gardner et al. 2014, Lee 2010) präsentiert sich der Themenbereich „Musik im Strafvollzug“ in Deutschland als weitgehend unerforschter Bereich. Ein diesbezüglicher erster Impuls ging im Mai 2019 von der internationalen Tagung „Jailbreak – musikalische Inklusion im Strafvollzug“ an der KU Eichstätt-Ingolstadt aus, dessen Beiträge Eingang in ein erstes Herausgeberwerk zu „Musik im Strafvollzug“ (de Banffy-Hall, Eberhard & Ziegenmeyer 2020, i.V.) finden werden. Der Themenbereich eröffnet in Bezug auf den deutschen Raum also noch vielfältige Forschungsdesiderata. In diesem Beitrag sollen folgende Fragen thematisiert werden:

  • Welche Bedeutung haben Musikangebote innerhalb des Strafvollzugs?
  • Welche Art von Musikangeboten finden in welcher Form im Strafvollzug statt?
  • Welche Perspektiven eröffnen Musik­angebote im Strafvollzug?

Bedeutung von Musikangeboten

Der Strafvollzug als stationärer Vollzug von gerichtlichen Sanktionen, die verurteilten Menschen die Freiheit entziehen, beinhaltet den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 38 f. StGB) und Jugendstrafe (§§ 17 f. JGG), ferner die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§63 StGB), in einer Entziehungsanstalt (§§ 64 ff. StGB), in der Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff. StGB) oder in einem militärischen Strafarrest (§ 9 WSTG). Das Jugendstrafrecht unterscheidet sich in vielen Aspekten deutlich vom Erwachsenenstrafrecht. Tritt Letzteres mit einem Alter (zur Tatzeit) von 22 Jahren in Kraft, greift das Jugendstrafrecht in der Altersspanne zwischen 14 und 17 Jahren sowie unter bestimmten Umständen auch zwischen 18 und 21 Jahren. Ferner sieht das Jugendstrafrecht mit einer maximalen Haftstrafe von fünf Jahren deutlich kürzere Haftstrafen vor.2 Einer der prägendsten Unterschiede aber, der sich insbesondere auf die Gestaltung des Vollzugs auswirkt, ist der Erziehungsgedanke, der den Jugendstrafvollzug im Besonderen prägt und ihn in diesem Punkt deutlich vom Erwachsenenstrafvollzug abhebt, der eher den Bestrafungsgedanken betont. Gemeinsam ist beiden Vollzugsarten jedoch ihr Vollzugsziel in Form der Befähigung des Gefangenen zu einem sozial verantwortlichen Leben ohne Straftaten, verbunden mit dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.3

Die Ausgestaltung des Strafvollzugs wird durch die folgenden drei Grundsätze konkretisiert: 1. Angleichungsgrundsatz, 2. Gegensteuerungsgrundsatz und 3. Integrationsgrundsatz (§ 3 StVollzG). Diese Gestaltungsprinzipien verpflichten die Vollzugseinrichtungen, das System Strafvollzug in struktureller und interkommunikativer Hinsicht an menschenwürdige Lebensverhältnisse anzugleichen und die einzelnen Maßnahmen des Vollzugs so auszugestalten, dass sie den Übergang vom Vollzug in die Freiheit erleichtern können (Laubenthal 2019, S. 173). Eine wesentliche Bedeutung erhält hierbei das „Soziale Lernen“, das mithilfe vielseitiger Maßnahmen gefördert und initiiert werden soll. Neben Maßnahmen im Bereich von Arbeit, Weiterbildung et cetera können insbesondere im Freizeitbereich vielfältige Möglichkeiten geschaffen werden, soziales Lernen zu üben. Die länderspezifische Gesetzgebung sieht hier in unterschiedlicher Deutlichkeit4 vor, nicht nur sportliche, sondern auch kulturelle und kreative Aktivitäten zum Beispiel in Musik, Theater, Kunst und/oder Literatur anzubieten (siehe insbesondere die Jugendstrafvollzugsgesetzgebung des Bundeslandes Nord­rhein-Westfalen, in der die Entwicklung von Angeboten zur Förderung der Kreativität im Freizeitbereich des Jugendstrafvollzugs sogar explizit gesetzlich eingefordert wird (§ 39 Abs. 2 JStVollzG NRW).5

Angebote des aktiven Musizierens bieten ein geeignetes Feld, um soziale Umgangsformen, gegenseitige Wahrnehmung und Beziehungsgestaltung einzuüben und schließlich ästhetische Erfahrungen zu machen und sich als selbstwirksam zu erleben. Je nach spezifischer Zielsetzung verfolgen solche Angebote eher musiktherapeutische, soziale oder künstlerische Ansätze. Während musiktherapeutisch ausgerichtete Musikprojekte primär Verhaltensveränderungen wie etwa die Entwicklung von Frustrationstoleranz oder verbesserte Kritik- und Konfliktfähigkeit erwirken wollen (vgl. Zeuch 2003), dienen Projekte im Bereich des Sozialen Trainings vor allem der Förderung sozialer Beziehungen, des sozialen Lernens in der Gruppe und der Übernahme von Verantwortung. Künstlerisch ausgerichtete Projekte umfassen eine Vielfalt an Angeboten wie zum Beispiel Gefangenenchöre, Musikbands und -gruppen, Musikproduktion (zumeist im Genre HipHop) und anderes. Mit derartigen Angeboten können den inhaftierten Menschen Perspektiven einer erfüllenden Freizeitgestaltung aufgezeigt werden, die auch nach der Entlassung für sie bedeutsam sein können (siehe die deutliche Verbindung zwischen Straffälligkeit und Freizeitverhalten bei Bierschwale et al. 1995, S. 88 f. und Bukowski & Nickolai 2018, S. 115).

Bestandsaufnahme NRW

Von Mai bis Juni 2019 habe ich eine Bestandsaufnahme zu Musikangeboten im Bundesland Nordrhein-Westfalen durchgeführt und hierbei mittels eines standardisierten Online-Fragebogens unter anderem folgende Aspekte abgefragt: Art, Arbeitsformen, Genres, Ziele, Ergebnisse, Außenauftritte, Durchführung und Finanzierung. Insgesamt nahmen 38 von 40 Vollzugseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen an der Befragung teil, die sich aus 5 Jugendarres­tanstalten, 5 Jugendjustizvollzugsanstalten, 27 Justizvollzugsanstalten und einer Sozialtherapeutischen Anstalt zusammensetzten. Die Fragebögen wurden in der Regel von einer Person ausgefüllt, die für den kreativen Freizeitbereich zuständig war (z.B. Koordinator*in des Freizeitbereichs, Gefängnisseelsorger*in, pädagogischer und psychologischer Dienst). Bejahten 61 Prozent aller befragten Personen das Vorhandensein von Musikangeboten an ihrer Vollzugseinrichtung, so beziehen sich die folgenden Ergebnisse auf diese 61 Prozent beziehungsweise 24 Vollzugseinrichtungen.

Die Musikangebote im Strafvollzug umfassen zu einem großen Teil Angebote des „Instrumentalen Musizierens“ wie zum Beispiel Musikbands und Musiziergruppen (66,7 %) sowie Musikkurse, in denen Instrumente wie vor allem Gitarre und Keyboard erlernt werden (41,7 %). Außerdem erfreuen sich Chöre (41,7 %) vor allem im Erwachsenenstrafvollzug einer besonderen Beliebtheit. Im Gegensatz hierzu kommen interdisziplinären Angeboten in Verbindung mit Bewegung (33,3 %) und Theater (29,2 %) sowie kreativ ausgerichteten Projekten (z.B. Songwriting, HipHop) (29,2 %) und der digitalen Musikproduktion (20,8 %) vor allem im Jugendstrafvollzug eine besondere Bedeutung zu.

Die Musikangebote finden in unterschiedlichen Arbeitsformen statt wie an erster Stelle in (regelmäßigen) Freizeitgruppen (70,8 %), (punktuell erfolgenden) Workshops (54,2 %), Konzerten und Künstler*innenvorträgen (50 %), Projekten (41,7 %) sowie ferner auch in Einzel-Instrumentalunterricht (25 %). Als regelmäßig stattfindende Musikangebote finden insbesondere Gefangenenchöre, Musikbands und Musiziergruppen sowie vereinzelt auch interdisziplinäre Angebote (z.B. in Verbindung mit Theater und/oder Tanz) statt. Periodisch verankert sind Konzerte, Projekte und Workshops.

Aus den Angaben zu den Genres, in denen musiziert wird, geht sehr deutlich ein Rock-Pop-Bezug hervor. So führen Popmusik (75 %) und Rockmusik (62,5 %) hier eindeutig die Spitze an, gefolgt von HipHop / Rap (45,8 %) sowie Musikgenres aus anderen Ländern und Kulturen bzw. Weltmusik (37,5 %). Ferner werden auch Schlager (33,3 %), Jazz / Blues (25 %), Funk / Soul / R’n’B (25 %), Klassik (20,8 %) und Volkslieder (8,3 %) genannt.

Künstlerische Produkte (als Ergebnisse eines musikpädagogischen Angebots) erfahren vor allem im Jugendstrafvollzug eine besondere Bedeutung und umfassen einerseits CD-Aufnahmen (z.B. mit selbst geschriebenen Songs) und andererseits Aufführungen und Konzerte, die in der Regel innerhalb der JVA stattfinden (z.B. Projektabschlussaufführungen und Gottesdienstgestaltungen). Schließlich werden auch in geringem Maße öffentlich zugängliche Dokumentationen wie etwa „Podknast“ oder YouTube-Videoaufnahmen erwähnt, über die Außenstehende einen Einblick in einzeln künstlerische Projekte erhalten.
Die Musikangebote werden zum einen von externen Akteuren wie vor allem von Musiker*innen und Musikpädagog*innen (62,5 %) und ferner auch von Musiktherapeut*innen (16,7 %) durchgeführt. Auch die Kooperation mit Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen (25 %), Kulturellen Institutionen (12,6 %) und Bildungsinstitutionen (8,3 %) spielt eine nicht unbedeutende Rolle. In vielen Vollzugseinrichtungen werden Musikangebote auch von Mitarbeiter*innen aus dem Strafvollzug angeboten, wie zum Beispiel von Gefängnisseelsorger*innen (41,7 %) und vom Allgemeinen Vollzugsdienst inkl. Sportbeamt*innen (33,3 %).

Perspektiven

Nach Beendigung ihres Strafvollzugs sehen sich die „frisch“ Entlassenen mit einer langen Phase der Re-Integration und hiermit einhergehenden Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert. Insbesondere jugendliche Straftäter mit Bewährung sind gefährdet, rückfällig zu werden (Walkenhorst 2010, S. 5), da die Rückkehr zu vertrauten delinquenten Kreisen oft unausweichlich scheint und im Widerspruch zur Wiedereingliederung in gesellschaftliche Strukturen steht.

Vor dem Hintergrund des Strebens nach Erreichung des Vollzugsziels stellt sich hier die Frage, inwieweit ästhetische Erfahrungen, die Inhaftierte während ihrer Haftzeit beispielsweise in Musikprojekten machen, bis in die Zeit nach der Entlassung „tragen“ und idealerweise den Resozialisierungsprozess mit unterstützen können. Werden inhaftierte Menschen im Rahmen eines Übergangsmanagements auf ihre Entlassung und die sich hieran anschließende Lebenssituation vorbereitet, so umfassen diese Maßnahmen vor allem Hilfestellungen bei beruflichen Fragen und der Organisation des Alltags inklusive der Wohnsituation. Nicht in diesen Maßnahmen integriert ist die Beratung und Unterstützung in Bezug auf Möglichkeiten der Weiterführung einer sinnvollen Freizeitgestaltung. In Anbetracht der engen Verbindung zwischen Freizeitverhalten und Straffälligkeit bietet sich hier eine an den persönlichen Ressourcen der Jugendlichen orientierte Möglichkeit, insbesondere Jugendlichen, die rückfallgefährdet sind, Perspektiven aufzuzeigen, wie im Vollzug begonnene Freizeitaktivitäten (hier: Musik) weiter verfolgt werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass straffällig gewordene Jugendliche nach ihrer Entlassung jedoch in Eigeninitiative musikalische Tätigkeiten fortsetzen, kann als verschwindend gering eingeschätzt werden. Zu hoch sind Barrieren wie etwa die Kos­ten von Instrumentalunterricht, die mangelnde Kenntnis von kulturellen Institutionen (z.B. Musikschule) und deren Zugängen sowie schließlich der Einfluss eines bekannten und zumeist delinquenten Umfelds. Hinzu kommt, dass viele der straffällig gewordenen Jugendlichen bereits selbst Straftaten zum Opfer gefallen sind und in ihrem Leben immer wieder „Beziehungsbrüche“ erlebt haben.

Betrachtet man das breite musikalische Angebot, das sich bundesweit (vor allem in städtischen Räumen) an Musikschulen, Jugendzentren und zahlreichen weiteren Institutionen kultureller Bildung bietet, so stellt sich die Frage, wie hier eine funktionierende „Brücke“ zur musikalischen Arbeit im Jugendstrafvollzug (z.B. im Rahmen des Übergangsmanagements) geschlagen werden kann. Ein Blick in das Leitbild der öffentlichen Musikschulen des VdM gibt diesbezüglich einige wertvolle Ansatzpunkte: So bekennen sich die öffentlichen Musikschulen in ihrem Leitbild zur „musikalisch-kulturellen Teilhabe aller Menschen“ und geben an, fachlich, räumlich und sozial offene Wege zur Musik zu schaffen (VdM 2015). Unter Anspruch und Aufgabe der Inklusion heißt es weiterhin: „Wir ermöglichen jedem Menschen, an der Musik teilzuhaben – durch diskriminierungsfreie, auch aufsuchende Angebote, durch weitgehende Selbstbestimmung jedes Einzelnen sowie eine äußere und innere Barrierefreiheit. Vielfalt und Heterogenität erkennen und nutzen wir als Chance und stellen dabei den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt.“ (ebd.)

Im Folgenden wird aufgezeigt, wie auf der Basis dieser Grundgedanken die Verbindung zu den straffällig gewordenen und gefährdeten Jugendlichen hergestellt werden könnte. (Eine solche Idee wird zurzeit zwischen der Bergischen Musikschule Wuppertal und der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf sowie der Bergischen Universität entwickelt). Wird im Leitbild der öffentlichen Musikschulen explizit die „musikalisch-kulturelle Teilhabe“ aller Menschen gefordert, so umfasst diese Forderung auch die Zielgruppe Jugendlicher, die eine Straftat verbüßen oder verbüßt haben. Um eben diese Zielgruppe überhaupt erreichen zu können, ist wiederum eine möglichst große fachliche, räumliche und soziale Offenheit notwendig, das heißt, die Jugendlichen müssen zunächst über Angebote informiert werden bzw. Zugänge zu diesen bekommen. Aufgrund der zuvor geschilderten Barrieren erscheint es notwendig, dass Musikschulen ihre eigenen Konzepte dahingehend überprüfen, inwiefern sie mit ihren spezifischen Angeboten auch diese gefährdeten Jugendlichen erreichen. Erreicht werden könnte dies durch die Schaffung vernetzender Angebote sowohl in Vollzugseinrichtungen und Institutionen der kulturellen Bildung sowie durch den Einsatz von Bezugspersonen aus beiden Institutionen, die als Anbieter von Musikangeboten als Vertrauensperson(en) einerseits die Beziehung zu den Inhaftierten und andererseits die Brücke zwischen den Institutionen herstellen. Diese Vertrauenspersonen müssten neben künstlerischen und pädagogischen Kompetenzen vor allem auch über die Bereitschaft verfügen, den sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden, da der Beziehungsaufbau zu den Jugendlichen in diesem Kontext von zentraler Bedeutung ist.
Eine erste konkrete Möglichkeit einer Kooperation könnte beispielsweise folgendermaßen aussehen: Eine Musikschule x (oder ein Jugendzentrum x) richtet an einer JVA y (aus der nahen Umgebung) – je nach Bedarf – ein oder mehrere Musikangebote ein und wird dadurch als Institution an der JVA „sichtbar“.

Die anleitende Lehrperson fungiert hier in vielfältiger Weise als Kontaktperson und Brücke zur „Außenwelt“. Sie fördert die Jugendlichen in der musikalischen Arbeit während ihrer Haftzeit und motiviert sie für eine Weiterführung der musikalischen Tätigkeit auch nach der Entlassung. Parallel hierzu erfolgt idealerweise die Vernetzung von Musikschulen, die sich bereit erklären, mindestens ein barrierefreies Angebot zu schaffen, in das die entlassenen Jugendlichen einsteigen können. Diese Angebote müssten wiederum möglichst kostenfrei sein und durch einen zusätzlichen Träger (JVA und Stiftung) et cetera finanziert werden. Eine Begleitforschung in Bezug auf die Wirksamkeit dieses Pilotprojekts erfolgt seitens der Bergischen Universität Wuppertal. Wenn jede Musikschule sich dieser Herausforderung im Bereich Inklusion (der ja bereits an vielen Musikschulen fest auch durch eine Stelle verankert ist) stellen würde, bekäme eine bislang ausgeblendete Zielgruppe ein faires Angebot, sich in anderen Kreisen und mit einer anderen Tätigkeit als selbstwirksam zu erleben.


Anmerkungen

1) Die Literaturliste zu diesem Text finden Sie in der Online-Version unter www.nmz.de (siehe unten)
2) Ausgenommen hiervon sind Morddelikte mit einer Haftstrafe von 10 Jahren, die im Erwachsenenvollzug in der Regel mit einer lebenslänglichen Haftstrafe bemessen werden (ggf. mit anschließender Sicherungsverwahrung).
3) Die Tatsache, dass die Gesetzgebungszuständigkeit seit der Föderalismusreform von 2006 allerdings bei den Bundesländern liegt, berechtigt diese, in Bezug auf die Rahmenvorgaben unterschiedliche Schwerpunktsetzungen vorzunehmen (z.B. in Bezug auf die Gewichtung des Aspekts der Resozialisierung oder den Schutz der Allgemeinheit).
4) Siehe hierzu die in Bezug auf die Jugendstrafe differierende länderspezifische Gesetzgebung.
5) Auch: § 14 Abs. 1 UVollzG NRW: (1) Untersuchungsgefangene erhalten Gelegenheit, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Es sollen insbesondere Angebote zur kulturellen Betätigung, zur Bildung, zum Sport sowie Angebote zur kreativen Entfaltung vorgehalten werden. Zudem: § 7 Abs. 1 JAVollzG NRW (1): Jugendliche sind anzuleiten, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Hierzu sollen handwerkliche, kreative und künstlerische Betätigungen ermöglicht werden.


Literatur

  • De Banffy-Hall, A., Eberhard, D. M. & Ziegenmeyer, A. (2020, i.V.). Jailbreak. Musik im Strafvollzug aus (inter-)nationaler Perspektive. Waxmann: Münster & New York.
  • Bierschwale, P. et al. (1995). Freizeitgestaltung im niedersächsischen Justizvollzug. 10 Punkte für ein ‚Projekt Freizeit‘. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 13(2), S. 83-92.
  • Brüning (2019). Musikalische Interventionen im Jugendgefängnis. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2, S. 170-173.
  • Bürger, L. (2016). With a little help from my friends. Musikalische Freizeitgestaltung im Strafvollzug. (Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien im Fach Musik. Kassel).
  • Bukowski, A. & Nickolai, W. (2018). Soziale Arbeit in der Straffälligenhilfe. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Cohen, M. L., & Henley, J. (2018). Music-making behind bars: The many dimensions of community music in prisons. In B. Bartleet & L. Higgins (Eds.), The Oxford Handbook of Community Music (S. 153-171). Oxford: Oxford University Press.
  • Ehlers, D. (2013). Resozialisierung durch Musik im Strafvollzug (Bachelorarbeit, Hochschule Osnabrück).
  • Gardner, A., Hager, L. L. & Hillman, G. (2014). Prison arts resource project: An annotated bibliography (Report supported by an award from the Research: Art works program at the National Endowment for the Arts). Verfügbar unter: http://www.gradyhillman.com/uploads/3/4/9/6/3496881/prison_arts_resource_project.pdf [30.10.2019].
  • Grosse, T. & Wickel, H. (2018). Musik in sozialen Arbeitsfeldern. In M. Dartsch, J. Knigge, A. Niessen, F. Platz & C. Stöger (Hrsg.), Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse (S. 142-150). Waxmann: Münster & New York.
  • Hartogh, T. & Wickel, H. H. (Hrsg.) (2019). Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit (Neuauflage). Weinheim: Juventa Beltz.
  • Hartogh, T. (2007). Musikprojekte mit jungen Straftätern. In B. Hill & E. Josties (Hrsg.), Jugend, Musik und Soziale Arbeit. Anregungen für die sozialpädagogischen Praxis (S. 107-120). Weinheim: Beltz Juventa.
  • Hendler, J. (2013). Musiktherapie im Strafvollzug Straferleichterung oder Resozialisierungshilfe? (Bachelorarbeit zur Erlangung des Grades Bachelor of Arts im interuniversitären Bachelorstudium Musikologie an der Kunstuniversität Graz, Institut für Elektronische Musik und Akustik).
  • Hickey, M. (2018). We all Come Together to Learn About Music”: A Qualitative Analysis of a 5-Year Music program in a Juvenile Detention Facility. International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology, 62(1), S. 1-21.
  • Hickey, M. (2015). Music education and the invisible youth. A summary of research and practices of music education in detention centers. In C. Benedict, P. Schmidt, G. Spruce & P. Woodford (Hrsg.), The Oxford Handbook of Social Justice in Music Education (S. 598-613). Oxford & New York: Oxford University Press.
  • Laubenthal, K. (2019). Strafvollzug. Berlin: Springer (8. Aufl.).
  • Lee, R. (2010). Music education in prisons. A historical overview. International Journal of Community Music, 3(1), S. 7-17.
  • VdM (2015). Leitbild der öffentlichen Musikschulen im Verband deutscher Musikschulen. Verfügbar unter: http://www.miz.org/dokumente/2015_leitbild_vdm-musikschulen.pdf [29.10.2019].
  • Walkenhorst, P. (2010). Jugendstrafvollzug. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/32971/jugendstrafvollzug [06.11.2019].
  • Wickel, H. H. (2018). Musik in der Sozialen Arbeit. Münster und New York: Waxmann.
  • Zeuch, A. (2003). Trommeln im Knast. Aktive Gruppenmusiktherapie im Strafvollzug. Musiktherapeutische Umschau, 24(2), 150-160.

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