Über Europa und Demokratie wird in diesen Tagen viel gesprochen – nicht alles davon ist zielgerichtet und für jedermann nachvollziehbar. Das LWL-Preußenmuseum Minden zeichnet in einer Sonderausstellung anläßlich des Kriegsendes vor 80 Jahren Wege von Preußen in das heutige Europa nach. Dabei geht es nicht nur um Kriege, sondern auch um Frieden und die schönen Künste, die in Preußen und Europa schon immer eine Heimat hatten und haben.

Willi Budde hatte zur Ausstellungseröffnung mehrere unterschiedliche Hörner mitgebracht – sie stehen gleichermaßen für den Einsatz als Signalhörner im Krieg und als Instrumente der Stadtmusiker und Orchester, die Orte einer bürgerlichen Musikkultur. Foto: Ralf-Thomas Lindner
Europa ist mehr! – LWL-Preußenmuseum in Minden zeigt „Europa in Harmonie. Preußen in Dur und Moll.“
Krieg scheint neben den unübersehbaren Schrecken und dem unermeßlichen Leid, die ihm innewohnen, eine große Faszination zu besitzen. Über Generationen hinweg haben Jungs auf der Straße und dem Schulhof Krieg gespielt. In unseren Tagen wird das Kriegsspielen und das Eliminieren von Gegnern in einem lustigen Gesellschaftssport namens Paintball betrieben. Nicht zuletzt war über lange Zeiten der Geschichtsunterricht an den Schulen fast ausschließlich geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen und den dazu gehörenden Friedensschlüssen.
Möglicherweise hätten Wissenschaftler wie Rudolf Otto und Siegmund Freud diese Kriegsliebe, das Schießen auf eine Person und Töten derselben, unter dem Phänomen „fascinosum et tremendum" als Beispiel angeführt. Sie – beide bekennende Pazifisten – hätten vielleicht einem Menschen zugestanden, dass ein eigenartiger im Menschen lebender Trieb sich das Töten eines anderen Menschen gut vorstellen könnte, gar begierig wäre, diese einmalige und unumkehrbare Tat zu begehen („fascinosum") – auszuprobieren. Gleichzeitig aber treibt den Menschen aber die Angst („tremendum") vor dem Töten der eigenen Art und eben gerade seiner Unumkehrbarkeit. Aber sie hätten sicher auch erwähnt, dass der Mensch mehr ist und kann!
Schnell gerät man in eine Schublade: Hört man das das Wort „Preußen", so denkt man quasi ferngesteuert an „Krieg" – der bereits erwähnte Geschichtsunterricht hat da sehr erfolgreich gearbeitet. Vielleicht denkt man auch noch an die preußischen Herrscher („die da oben"), die diese Kriege mit ein wenig Schnupftabak im Näschen letztlich geistig am grünen Tisch geplant haben und deren Ausführung weitestgehend den einfachen Soldaten („die da unten") unter Einsatz ihres Lebens oblag.
Preußen aber ist mehr! Lange hat es gedauert, bis ein Historiker Kriegsgeschichte einmal „von unten" her betrachtet und beschrieben hat, den einfachen Soldaten und seine familiären und sozialen Umstände und Probleme zentral in den Blick nahm. Lange hat es gedauert, bis die vielfältigen und reichen geistigen und künstlerischen Schätze Preußens thematisiert worden sind. – Hier setzt die gerade eröffnete Sonderausstellung „Europa in Harmonie. Preußen in Dur und Moll" im LWL-Preußenmuseum Minden an, die aus Anlass des Kriegsendes vor 80 Jahren bis zum 19. Juli 2026 in Minden zu sehen sein wird.
Krieg, Frieden und Musik
Grundlage des Ausstellungskonzeptes sind die fünf Keybotschaften (meint wohl als sprachliche Neuschöpfung – pseudo-intellektuell verbrämt – so etwas wie „Kernthesen"), die das Denken im LWL-Preußenmuseum bestimmen: 1. Preußen ist mehr als Pickelhaube und Wilhelm II., 2. Unser Alltag ist voll von preußischen Spuren, 3. Preußen war kein einheitlicher Staat, sondern geprägt von Vielfalt, 4. Preußen war auch weiblich und 5. Preußische Geschichte ist mehrdeutig. Durch diesen erweiterten Ansatz inspiriert wirft die Ausstellung einen Blick auf Preußens Verhältnis zu seinen europäischen Nachbarn in Krieg und Frieden – auch anhand von Musikstücken.
Das LWL-Preußenmuseum befindet sich derzeit noch in Umbauarbeiten für die im nächsten Jahr zu erwartende Dauerausstellung, aber der 1. und 2. Stock sind bereits fertiggestellt und nutzbar. Der wundervolle Ständersaal (abgeleitet von der auf Ständern ruhenden Holzkonstruktion des Dachgeschosses) ist dabei ein Veranstaltungsraum, den sich sicher manche andere Kultureinrichtung liebend gern hätte. Die Sonderausstellung findet der Besucher im 1. Stock. Ein langer Gang prägt den ersten Eindruck. Betritt man diesen Gang findet man vier Ausstellungszonen, die jeweils auf dessen linker Seite eine kleine Nische mit einem gemütlichen Sofa haben und auf deren rechter Seite den eigentlichen Ausstellungsraum mit einer herrlichen Gewölbedecke.
Die Ausstellung folgt dieser baulichen Situation. In vier Abschnitten erzählt sie, so liest man es im Pressetext, „dabei von der europäischen Idee die die Staaten, die die Staaten vom 18. Jahrhundert trotz aller nationaler Bestrebungen bis in die Gegenwart verbindet und vereint: Vom gemeinsamen Aufbruch der Aufklärung im 18. Jahrhundert, dem bürgerlichen Ringen um Teilhabe im 19. Jahrhundert, den Krisen des 20. Jahrhunderts sowie dem europäischen Zusammenwachsen nach 1945.“
Friedenstuch und Frauenkorsett
Jeder der Ausstellungsbereiche ist mit maximal neun präsentierten Objekten äußerst sparsam aber dafür punktgenau ausgestattet. Manche Exponate – ein Stück der Berliner Mauer oder ein Frauenkorsett – darf man als allgemein bekannt voraussetzen. Ein Kommersbuch und das Friedenstuch von 1763 sind dagegen eher nicht alltägliche Ausstellungsstücke. Der Kern der Ausstellung liegt zwischen und hinter diesen Objekten und in den begleitenden Musikstücken, die man über die Playlist in den Hörnischen abrufen und genießen kann. Der Besucher ist hier gefordert, die materiellen und akustischen Inputs zu einem Ganzen in sich zusammenzubringen. Das ist gelegentlich anspruchsvoll – aber intellektuell durchaus zu leisten! Wer „nur mal schnell“ ins Museum gehen und sich dort berieseln lassen will, sollte die Ausstellung vielleicht meiden.
Andererseits zeichnet die Ausstellung den Weg zu unserem heutigen Europa nach – eine zentral wichtige Aufgabe, die aktuell kein anderes Museum in Deutschland derart explizit im Blick hat. Von einem Ort (Minden), der in mancher Hinsicht stark an das allseits bekannte gallische Dorf erinnert, geht hier eine wichtige überregionale Botschaft aus. Eine Botschaft, die die Urgründe und die Idee eines Staatenbundes nachzeichnet, der heute von allzu vielen Seiten politisch diskreditiert wird. Hier kulturelle Phänomene als sprechende Zeugen zu wählen, unterstreicht deren gesellschaftlich formende und erhaltende Aufgaben.
Flöte, Aufklärung und Krieg
Preußen ist mehr – Preußen ist nicht nur eine kriegerische Nation gewesen. Während draußen im Feld und den Schützengräben gekämpft wurde, wurde in den Sälen von Sanssouci Musik gemacht. Friedrich der Große war selbst ein begabter Flötist und wußte die bedeutenden Musiker seiner Zeit an seinen Hof zu holen und zu würdigen. Auch pflegt Friedrich ausgiebigen Kontakt zu dem französischen Philosophen Voltaire, der über ihn sagt: „Ein Philosoph regiert ... Er ist aufgeklärt, gebildet, human.“ Aber nicht immer ist die Stimmung zwischen dem preußischen König und dem führenden Kopf der europäischen Aufklärung ungetrübt. So schreibt Voltaire während des ersten Schlesischen Kriegs an ihn: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten?“ Eine Botschaft, die in unseren modernen europäischen Zeiten täglich ausgerufen werden müßte – aber wer und wo ist der mahnende Rufer?
Freude schöner Götterfunken
Die Ausstellung gibt zu denken – das ist nötig! Sie tut das in einer gewissen Wohlfühlatmosphäre und ohne vordergründig belehren zu wollen, traut dem aufgeklärten Europäer des 21. Jahrhunderts eigenes Denken zu. Sie zeigt in den Bildern von Otto Dix die Schrecken des Krieges und lässt in Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie die Freude des „wir“, die wir gemeinsam [sic!] das himmlische Heiligtum betreten dürfen, aufblitzen. Zur Ausstellung gibt es ein reichhaltiges hauptsächlich musikalisches Beiprogramm, dass dazu einlädt immer wieder ins LWL-Preußenmuseum, nach Minden und nach Europa zu kommen.
Zur Eröffnung der Ausstellung hatte die Leiterin des Museums geplant, auf dem einstmaligen Exerzierplatz vor dem Gebäude Beethovens Neunte aufzuführen. Ein großartiges Event! Glücklicherweise hat das Geld dafür nicht gereicht. Als „Ersatz“ konnte die in Minden ansässige OWL Kammerphilharmonie, ein professionelles Orchester, für ein Abendkonzert gewonnen werden. Sie spielten mit Werken von Jean Sibelius (Andante festivo), Felix Mendelssohn Bartholdy (Streichersinfonie Nr. 10 h-Moll), John Williams (Musik zu „Schindlers Liste“) und Béla Bartók (Divertimento für Streichorchester) ein Programm, dessen Ästhetik und Emotionalität die einzelnen Ausstellungsbereiche noch einmal explizit unterstrichen hat. Dieses Konzert war ein großer Genuss und eine seltene erlebte Untermalung historischer Zusammenhänge.
Money makes the world go round
Europa – jeder einzelne Mensch – braucht Kunst und Kultur! Kultur ist der Nektar aus dem sich unsere Gesellschaft nährt. Wird uns dieser Nektar entzogen, werden wir zu willen- und geistlosen Maschinen. – Aber es herrscht Krieg in der Kulturlandschaft. Während die Industrie in Deutschland ein politisches Zugeständnis nach dem nächsten bekommt, muss die Kultur um ihren Fortbestand bangen! Wie groß die Angst bei Kulturschaffenden ist, konnte man bei den Eröffnungsveranstaltungen in Minden erleben. Kein Grußwort, keine Rede und auch keine Konzerteinführung in der das Wort „Geld" nicht teilweise mehrfach vorkam – und das nicht nur in Minden!
Verstehen muss man diese existenzielle Angst und Verzweiflung im Kulturbereich. Die Bibel (Lukas 6,45) beschreibt das so: „Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ – Ja, es ist verständlich und notwendig, dass man seine Probleme artikuliert und in die Welt herausschreit. Andererseits darf man davon ausgehen, dass ein Publikum grundsätzlich aufnahmefähig und verständig ist. Vor dem Hintergrund einer durch und durch gelungenen Ausstellung und einem Haus, das unübersehbar gerade renoviert wird [wahrscheinlich also Gelder vorhanden sind/waren], könnte man etwas demütiger und ob des Geschafften (und wahrscheinlich Finanzierten) dankbarer sein. Wenn man am Ende eines Konzertes dem Publikum, in dem jeder Anwesende schon 30 Euro Eintritt bezahlt hat, noch mitteilt, das am Ausgang eine Sammelbüchse steht und man dann auch noch Fördermitglied des Orchesters werden könnte … Das ist – bei allen unbestreitbaren Finanzierungslücken und einem notwendigen Blick in eine kulturreiche Zukunft – zuviel!
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