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Angenehme Orte

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Festivals mit zeitgenössischer Musik – vor knapp einem Jahr wurde diesbezüglich eine breite und heftige Diskussion losgetreten. Die Frage war, ob heutige Festivalstrukturen noch den gegenwärtigen schöpferischen wie interpretatorischen Ansprüchen genügen können.

Festivals mit zeitgenössischer Musik – vor knapp einem Jahr wurde diesbezüglich eine breite und heftige Diskussion losgetreten. Die Frage war, ob heutige Festivalstrukturen noch den gegenwärtigen schöpferischen wie interpretatorischen Ansprüchen genügen können. Jetzt will sich der Deutsche Musikrat zusammen mit den polnischen Kollegen im Rahmen des Warschauer Herbstes auch dieses Themas annehmen: „Festivals Neuer Musik – eine Plattform für Kooperationen“. Man ist am richtigen Ort, denn der Warschauer Herbst, der vor allem in den 60er und 70er Jahren als Schaufenster neuer östlicher Ansätze, als Transmissionsriemen für westliche Avantgardismen und auch als subversives Element gegenüber einer quasi-sozialistisch geprägten Parteiästhetik fungierte, hat in der Folgezeit, verstärkt dann nach der Wende, erleben müssen, dass man nicht einfach weitermachen könne wie bisher. Die politische Brisanz des Anderen, gar des widerständigen Na-schens an ungern gesehenen Früchten ist dahin, des weiteren schaffen heutige ästhetische Ansätze kaum mehr den Spannungsrahmen, den die sperrigen Projekte vor 30 Jahren boten. Das aber, was heute vielleicht an deren Stelle treten könnte, die Produkte des mit Elektronik und Computertechnologien auffrisierten Undergrounds – Warschau hat hier einiges vorzuweisen – haben in Ost wie West noch nicht den Ritterschlag der etablierten Festivals und ihrer Kritikerriegen erhalten, streben ihn zumeist auch nicht an.

Hier haben die etablierten Festivals einiges an Neukonturierungs-Arbeit zu leisten, wenn sie nicht mehr und mehr ins Abseits geschoben werden wollen. Denn die Funktion der zeitgenössischen Musikbörse, die lange als zusätzliches Standbein wirkte, beginnt sich immer mehr aufzuweichen. Unübersehbar wachsen neue Festivalstrukturen mit Neuer Musik heran, die immer mehr Resonanz finden. Es sind solche, die auf den ersten Blick regionaler gebunden sind, an denen man aber immer weniger vorbei kann. Sie sind undogmatischer in ihrer Struktur und öffnen der Musik andere Räume. Zu denken wäre an Festivals wie zum Beispiel Rümlingen, Ulrichsberg, Schreyahn oder das in den letzten Jahren enorm aufgeblühte Festival im österreichischen Schwaz. Hier geht es ungezwungener zu, Musik mischt sich mit Literatur oder anderen Künsten, sie selbst ist unterschiedlichen Stilformen offen. Das Ambiente – die Landschaft, die Struktur der Bevölkerung, regionale Besonderheiten – spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle und entspannt das künstlerische Tun. Hierher kommen Menschen, die man in Konzerten mit Neuer Musik in den Ballungsräumen häufig schmerzlich vermisst: Lehrer, Ärzte, Architekten, Wirtschaftsleute, Angestellte, Arbeiter. Der Umgang mit zeitgenössischer Musik präsentiert sich auf dieser Basis sehr gelöst , gewinnt Züge des Angenehmen.

So dargeboten mag sich verwirklichen, was viele Komponisten oft vom Konzertpublikum mehr oder weniger vergeblich fordern: Vorurteilsfreies Zuhören. Das Außerordentliche (und es ereignet sich viel Außerordentliches an diesen Orten) muss sich nicht demonstrieren. Und das ist nicht das Schlechteste, wenn es um Wahrnehmung und Erfahrung von neuer Musik geht. Auch in diese Richtung gäbe es wohl für die etablierten Festivals Weitungs-Spielraum.

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