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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Anpassungs-Schwierigkeiten

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Absolute Beginners 2023/10
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„Ey, soll ich mich an die Neue Musik anpassen?“ schrieb mir neulich ein Student. Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: eine karrieristische und eine künstlerische. Die wichtigste Frage ist aber: warum ist das für einen jungen Komponisten am Anfang des 21. Jahrhunderts ein Thema?

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Auch wenn immer mal wieder behauptet wird, dass die alten dogmatischen Zeiten längst vorbei sind, gibt es immer noch so etwas wie einen unausgesprochenen Standard bei der Bewertung von Partituren, der in Wettbewerben und Stipendienverfahren Anwendung findet. Wenn etwas zu weit von diesen Standards entfernt ist, fällt es meistens aus dem Raster.

Es ist eine Krux: führt man Bewertungssysteme für etwas ein, das sich eher zu einer subjektiven Bewertung eignet (Kunst), tendiert der Durchschnitt dieser Bewertungen immer dazu, einen schon bekannten ästhetischen Standard zu affirmieren. Genau dies meint mein Student mit „Neuer Musik“.

Man stelle sich zum Beispiel eine Jury vor, deren Mitglieder man am ehesten der Ästhetik der Spektralmusik oder der New Complexity zuordnen würde. Diese Ästhetiken resultieren in einem komplexen und charakteristischen Partiturbild, in dem Mikrotöne und fortgeschrittene Spieltechniken eine Rolle spielen. Würde diesen Juroren nun eine Partitur wie zum Beispiel „Piano Phase“ von Steve Reich vorgelegt, widerspräche diese allem, was sie von einer Partitur erwarten: zu simpel, zu wenige Seiten, keine komplexe Legende mit Zeichenerklärungen und so weiter Sprich: Steve Reich hätte keine Chance. Dennoch ist „Piano Phase“ mindestens genauso originell, wie Stücke von Grisey, aber wenn man die Kriterien des einen Stils auf den anderen Stil anwendet, funktioniert es nicht.

Umgekehrt kann es genauso gehen: solche „betriebsblinden“ Jurys treffen Entscheidungen, die aus ihrer Perspektive Qualität in den Vordergrund stellen, aber diese Qualität wird mit bestimmten Erscheinungsformen assoziiert, über die unausgesprochene Einigkeit besteht.

Viele Kompositionsanfänger passen sich daher tatsächlich – vielleicht auch unbewusst – an. An ihr Umfeld, an das, was ihr Lehrer oder ihre Lehrerin von ihnen erwartet, an das, was gerade in der „Szene“ en vogue ist. Was erfolgreich ist, wird gerne imitiert, auf ein spannendes geräuschhaftes Stück an der Grenze des Klangs folgen tausend kunstgewerbliche Imitationen ohne jegliche Originalität.

Womit wir beim eigentlichen Punkt sind: Originalität ist schwer zu fassen, denn wenn sie etwas erfüllen würde, das man schon kennt, wäre sie nicht mehr originell. Originalität ist aber auch immer riskant, sie verlässt ausgetretene Pfade, geht eigene Wege. Das ist verdammt schwer, aber ich sehe es als meine heilige Aufgabe an, meine Studierenden zur Originalität, nicht etwa zum Epigonentum zu ermutigen. Sätze wie „das darfst Du nicht“ oder „das macht man heutzutage nicht mehr“ sind bei mir absolut tabu, ich stelle lieber die Fragen „was willst du?“ oder „warum willst du es?“ oder „was könntest du tun, damit das, was du willst, noch besser funktioniert“?

Am Anfang von Originalität muss der Wille zum Wagnis sein. Dazu gehört auch der Mut, etwas durchzuziehen, von dem man nicht sicher ist, ob es vielleicht zu verrückt oder zu extrem ist. Denn genau da wird es ja erst künstlerisch interessant!

Ich stelle daher meinen Studierenden gerne folgende Aufgabe: Legt alle eure Ideen auf den Tisch und betrachtet sie. Sortiert alle aus, von denen ihr schon wisst, dass sie funktionieren, denn diese sind vollkommen uninteressant. Dann schaut auf die, von denen ihr nicht sicher seid, ob sie funktionieren können. Von diesen Ideen wiederum sucht genau die Idee aus, die euch am bescheuertsten, verrücktesten oder unrealisierbarsten vorkommt.

Genau diese Idee sollte die Basis für eure nächste Komposition sein.

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