Neuigkeiten aus dem grenzenlosen Reich der Avantgarde gefällig? Bitte sehr: „Kunst ist nicht mehr bloß intellektuell, schön oder interessant, Kunst ist zu einer Kapitalanlageform geworden und unterliegt inzwischen marktwirtschaftlichen Gesetzen wie jede andere Branche auch.“
Das Zitat stammt aus der Financial Times Deutschland, einem Sprachrohr der wirtschaftlichen Avantgarde, und bezieht sich auf die künstlerische Avantgarde. Diese sei im Gegensatz zu den millionenschweren Klassikern noch vergleichsweise billig zu haben: „Der Anleger hat wie bei Aktien und anderen Wertpapieren die Wahl zwischen spekulativen und konservativeren Werten, also Arbeiten noch unbekannter und bereits etablierter Künstler.“
Wie alles vermeintlich Neue sind selbstverständlich auch diese Neuigkeiten nicht neu. Man kann das schon bei Balzac nachlesen, zum Beispiel in den „Verlorenen Illusionen“, wo der jugendliche Provinzdichter Lucien de Rubempré ins Haifischbecken des Pariser Kulturbetriebs gerät und grausam zugerichtet wird. Man könnte auch einwenden, das gelte nur für die bildende Kunst, wo das Original selbst auf Grund seines Objektcharakters als Ware gehandelt wird. Die Musik hingegen, ein flüchtig’ Ding, stehe näher am reinen Geist. Und sei zudem oft so komplex, dass sie sich verweigere! Doch so einfach ist es nicht. In Gestalt der Autografensammler, Festivalchefs, Preisgremien, Sponsoren, Pro- und Reproduzenten, Agenten und Empfehlungsschreiber aller Art gibt es die Institutionen mit „besonderem Einfluss auf die Wertbildung eines Künstlers“ in der Musik genauso wie in der Kunst. Machen wir uns also keine Illusionen und fallen wir nicht hinter Balzac zurück: Wir alle sind mehr oder weniger freiwillig Teil dieses Systems.
Die Art, wie die Zeitung einen Gleichklang der Interessen von wirtschaftlicher und künstlerischer Avantgarde postuliert, ist auf den ersten Blick von wohltuender Nüchternheit, weil sie die Frage des Werts von Kunst nicht mit metaphysischen Nebeln umgibt, sondern geradeaus materiell argumentiert. Kunstwert gleich Tauschwert multipliziert mit Spekulationsfaktor, basta. Aber Halt: Mit dem Aspekt der Spekulation schleicht sich durch die Hintertür die finstere Unvernunft wieder herein und breitet sich gemütlich aus. So hat jedes rationale System seine Hintertür, ob Börse oder Serialismus. Weniger pseudorational und instrumentell, dafür mit mehr Verständnis für die entscheidenden Zwischenbereiche und Grauzonen mitsamt den Widersprüchen, die in ihnen nisten, wird das Thema „Kunst und Ökonomie“ in der neusten Nummer der Zeitschrift „Passagen“ abgehandelt. Auf dem Gebiet der Kulturzeitschriften, diesem schillernden Tummelfeld intellektueller Selbstdarsteller, ist sie eine der intelligentesten Publikationen. Vielleicht weil der Herausgeber, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, selbst am Schnittpunkt von Geld und Kunst angesiedelt ist und, o Wunder, trotz quasi Behördenstatus sich den nachgerade unverschämten Luxus einer intellektuell anspruchsvollen, weitgehend unabhängigen Redaktion erlaubt.
Unter dem Hefttitel „Kultur und Management“ wird in Beiträgen internationaler Autoren der Aspekt der Verwaltbarkeit von Kunst nach allen Richtungen ausgeleuchtet, was natürlich ständig an wirtschaftliche, auch politische Fragen rührt. Dabei gerät die Frage nach dem „Eigensinn“ von Kunst auch dort nicht aus dem Blick, wo ihre notwendige Annäherung an die Wirtschaft und das Ende ihrer traditionellen Oppositionsrolle diagnostiziert werden. Trotzdem – ihre Rolle, Alternativen zu den einseitigen Gesetzen des Kapitalismus aufzuzeigen, ist geblieben, sagt etwa die französische Soziologin Eve Chiapello: „Die Kritik der Künstler erlaubt es, anderen ‚Werten’ als dem ‚Tauschwert’ oder dem ‚ökonomischen Wert’, der unsere Gesellschaft weitgehend beherrscht, eine Legitimität zu geben. Sie verweist auf künstlerische, ästhetische, intellektuelle, ja sogar kultische Werte. Sie lenkt das Augenmerk auf nicht rentable Tätigkeiten, die außerstande sind, nur dank des freien Marktes zu überleben, denen aber trotzdem ein Wert zuerkannt wird.“
Auch das ist eigentlich nichts Neues. Aber gerade deshalb ist es bedenkenswert.