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Beckmessers Schuld

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In den Zeiten knapper werdender Kultur-Ressourcen blüht eine Ansicht auf, die, obwohl sie falsch ist, permanent und gleichsam ihre Richtigkeit beschwörend wiederholt wird. Hochgehalten wird das Primat der Tat. Immer noch besser sei es, wenn kulturell irgend etwas auf die Beine gestellt würde, als wenn alles in die Agonie des Stillstands gerate. Partiell ist daran wohl Richtiges, gleichwohl ist der Preis hoch. Keiner traut sich mehr, eine kulturelle Tat zu kritisieren – oder wenn er es tut, dann kommen von allen Seiten Einwände und Warnungen, man möge doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Sponsort also zum Beispiel ein Industriekonzern ein Jugendkonzert (beide Bereiche sind in diesem Umfeld hochempfindlich), dann wird der eingeladene Kritiker von fast allen Instanzen – seine eigene eingeschlossen – angehalten, alles gut zu finden: das spendable Wesen der Förderer, den Mut der Organisatoren und die Leistung der jungen Musiker. Selbst wenn kaum etwas stimmt, wenn eine Ästhetik verfochten wird, die der Kritiker ansonsten heftig bekämpfte (ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt), wenn das Gefühl aufkommt, daß vieles in falsche oder zumindest fragwürdige Bahnen abdriftet, wird automatisch ein Psst-Finger vor den Mund gehalten. Die Einwände seien wohl berechtigt, man könne sie auch moderat andeuten, aber nur nicht so, daß das sensible Gefüge gefährdet wird. Der strategische Schaden - der Sponsor zieht sein Geld für weitere Projekte zurück, die Organisatoren schmeißen die Sache hin, die Jugendlichen werden demotiviert – wäre auf jeden Fall schlimmer, als der kleine und letztlich unwichtige taktische Sieg einer ehrlichen und vielleicht auch berechtigten Kritik. Fatal haben sich solche Argumentationsgerüste in unserem Umgang mit Kultur, insbesondere mit Musik eingeschlichen. Der Kritiker wird zum Buhmann, der Schaden anrichtet, er – und nicht die eventuell problematische künstlerische Tat – ist schuld daran, wenn es finanziell noch schlimmer kommt. In diesem Korsett bleibt jegliche, im Grunde doch so notwendige Auseinandersetzung auf der Strecke. Schon wächst eine neue Kritiker-Generation heran, die diese Bedingungen bereits verinnerlicht hat (und die alte bildet sich um). Es gibt die Sympathie-Kritiker, die fast ausschließlich ihre Lieblinge aufsuchen und das Loblied schon in der Tasche haben. Dann gibt es die Unentschieden-Kritiker, die zum Beispiel die Tieflage eines Sängers bemängeln, dafür aber als Ausgleich eine brillante Höhenlage konstatieren. Als Ergebnis bleibt immer ein Teils-Gut und Teils-Schlecht, so als sei die Kultur stets paritätisch besetzt. Dann finden wir die Verberge-Kritiker, die kaum etwas zum Ereignis sagen, sondern Umfelder (Werkgeschichte, Biographisches etc.) ausführlich beschreiben. Schließlich gibt es die „Narcissi“, die ihre Kritik kaum mehr als Einspruch in ein künstlerisches Ereignis verstehen, sondern den Text als eigenes Kunstwerk betrachten. Die Kritik ist großartig geschrieben, sie genügt sich selbst und erachtet es fast unter ihrer Würde, als verwendbarer Gegenstand der Auseinandersetzung um das Eigentliche betrachtet zu werden. All dies mag von Fall zu Fall berechtigt und notwendig sein. Heute aber erscheinen diese Formen in ihrer Anballung als Rückzug, ja als katzbuckelnde Ergebenheitsadressen an die scheinbar wesentlichen Instanzen. Wir werden alle (die nmz nimmt sich hier nicht aus) zu Hofschreibern und basteln schon an den Erklärungsmustern für diese Entwicklung. Als Schranze vermag man zumindest überleben, obendrein erfährt man Anerkennung seitens der durch das Versteckspiel nicht Getadelten. Doch das schlechte Gewissen, die eigene Aufgabe nicht erfüllt zu haben bleibt angesichts eines Kulturbetriebs, dem das belebende Moment des streithaft Diskursiven immer mehr abhanden geht, bestehen. Eine Kultur aus sich gegenseitig anlächelnden Masken muß sterben. Letztlich liegt hierin mehr Gefahr als in einer eventuell verletzten Schonfrist.

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